Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Auf dem Sprung ins digitale Zeitalter
Bernhard Post sieht am Ende seines Berufslebens die Thüringer Archive gut aufgestellt – Lob für die rechtlichen Regelungen, die deutlich besser sind als auf Bundesebene
Bernhard Post ist seit einem Vierteljahrhundert in Weimar. Das Hauptstaatsarchiv im Marstall hat es ihm bereits in den frühen 1990ern angetan. Und als dann ein Angebot kam, hier zum 1. September 1993 tätig werden, nahm er es gerne an, zog mit seiner Frau und den damals noch kleinen Söhnen an die Ilm. Mittlerweile ist er Leitender Archivdirektor – und zum Jahresende geht er in Ruhestand. An diesem Mittwoch wird er vom Land verabschiedet. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin wird da noch nicht unter den Feiernden sein: Noch ist die Stelle nicht neu besetzt. Die Auswahl laufe, sagt er. Post ist im Frühjahr 65 geworden – und verlässt ein gut bestelltes Haus. Aus dem Hauptstaatsarchiv und den Staatsarchiven im Freistaat wurde das Landesarchiv. Und anders als eine Reihe anderer Archivare im Freistaat hat Bernhard Post in dieser Entwicklung frühzeitig Chancen erkannt; geantwortet hat seinerzeit auf die Kritiker aber immer die für die Archive zuständige Kulturstaatssekretärin Babette
Winter (SPD). Heute sagt Post, dass Befürchtungen, man müsse jeden Bleistift in Weimar bestellen, natürlich nie einen realen Hintergrund gehabt hätten. Und noch lieber spricht er darüber, dass Thüringen nicht nur die Struktur neu geordnet, sondern vor allem auch das Archivgesetz reformiert hat. Thüringen habe nun das modernste Archivgesetz – und das sei vor allem für die Nutzer von Belang, macht der scheidende Chef deutlich. Archive dokumentieren Verwaltungshandeln. Das heißt jeder Bürger, jedes Gericht, jedes Amt muss gegebenenfalls auf diese Informationen zugreifen können. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bewertungshoheit der Archive. Das heißt, nicht der Verfassungsschutz entscheidet, was aufbewahrenswert ist und was geschreddert wird, sondern die Archivare treffen die Auswahl – in der Regel in Abstimmung mit der Fachbehörde. Gegen dieses Prinzip stellt sich allerdings das Bundesarchivgesetz, denn es entbindet Geheimdienste von der Anbietepflicht. „Deshalb sind wir sehr stolz und glücklich, dass Thüringen diesen Weg nicht gegangen ist, sondern die Bewertungshoheit der Archive weiter festgeschrieben hat“, sagt Bernhard Post. Wichtig sei dies, wenn etwa Justiz oder Parlamentarische Untersuchungsausschüsse Einblick in solche Akten benötigen, erinnert er an die Untersuchungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ NSU. Daher sei diese Anbietepflicht „im demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar“, bringt Post die Bedeutung dieser Regelung auf den Punkt. Verbessert haben sich auch der Zugang für Forscher, Journalisten oder anderen Personen mit berechtigtem Interesse an einer frühen Akteneinsicht. Normalerweise sind sie 30 Jahre lang gesperrt; personenbezogene Akten dürfen sogar erst zehn Jahre nach dem Tod vorgelegt werden. Schutzfristenverkürzungen gab es zwar auch schon früher. Allerdings mussten diese Fälle, nachdem sie vom Archiv befürwortet worden waren, von der Staatskanzlei genehmigt werden. Im neuen Archivgesetz fällt dieser Umweg weg. „Die Entscheidung wird an die Archive delegiert.“Auch hier hebe sich das Thüringer Archivgesetz positiv vom Bundesarchivgesetz ab: Dort müssen die Ressorts einem Forschungsvorhaben zustimmen, in Thüringen nicht. Post sieht darin eine Stärkung der Wissenschaft. Denn gesetzt den Fall, jemand möchte über den Bau der Thüringer Waldautobahn und den damit zusammenhängenden Umweltschutzbelangen
„Die große Herausforderung wird bei den Mengen an digitalen Daten künftig sein, die passenden Recherchestrategien zu entwickeln.“Bernhard Post, Direktor des Landesarchivs Thüringen, geht jetzt in den Ruhestand
forschen, müssten eine Hand voll Ministerien um ihre Zustimmung gefragt werden, wenn die Bundesregelung angewandt würde. Post hält das für realitätsfern, denn ehe die Genehmigungen vorlägen, wäre schon die meiste Zeit, die für die Arbeit etwa während eines Semesters zur Verfügung stehe, vorbei. „Bei uns sind die Wartefristen bei Genehmigungen im Vergleich extrem kurz“, macht er deutlich.
Wobei eines nicht unter die Räder kommen darf: der Schutz personenbezogener Daten. Bernhard Rost schildert einen Fall, in dem Frauen im Eichsfeld weibliche Opfer der NSZwangssterilisierung würdigen wollten – und zwar namentlich. Im Archiv sind für die Region 21 Fälle nachweisbar. „Aber wir haben gesagt: Die Namen können wir nicht herausgeben. Erstens wissen wir nicht, wer von den Betroffenen noch lebt. Und zweitens betrifft das in diesem Fall in erheblichem Umfang auch die Angehörigen“, erklärt er mit Blick auf die zum Teil über Stammbäume nachweisbaren Erbkrankheiten. Das Ansinnen sei bis zum Petitionsausschuss gelangt. „Der Landtag ist zum Glück unserer Auffassung gefolgt. Das war für uns eine große Erleichterung“, erinnert Post sich. Das heiße nun aber nicht, dass die Akten unter ständigem Verschluss bleiben. Käme etwa ein Medizinforscher, würde er Einblick erhalten, müsste aber die Anonymisierung zusichern. „Wir haben da eine große Verantwortung“, macht Bernhard Post deutlich.
Akten und Urkunden als papierene Zeugen der Vergangenheit sind das eine. Das andere ist die Herausforderung der Digitalisierung. „Im Zuge des E-Government findet die Verwaltung zunehmend elektronisch statt. Das heißt, dass wir immer mehr Digitalisate übernehmen müssen – also Verwaltungsvorgänge, die nie in Papierform existiert haben“, so Post. Das digitale Archiv der Landesverwaltung sei „gerade in der Endabnahme“, bis zum Jahresende soll es soweit sein. Das wird – wie bereits berichtet – zusammen mit dem Landesrechenzentrum auf die Beine gestellt. Schließlich gibt es dort die nötigen Sicherheitsvorkehrungen bis dahin, dass das Gebäude speziell gebaut ist und die nötige Spiegelung der Daten stattfindet.
Künftig gehören die dienstlichen E-Mail der Regierenden zum Archivgut. Und es gibt in dieser Sache bereits ein Grundsatz-Urteil, ausgehend von Baden-Württemberg, wo ein ExMinisterpräsident meinte, er dürfe seine Mails löschen und habe auch Anspruch auf die Sicherungskopie, da neben dienstlichen auch private Mails über den Dienstaccount gelaufen seien. Damit unterlag er.
Einfaches Beispiel, wie sehr sich die Welt gewandelt hat mit Blick auf die Aufzeichnungen: Goethe hat seine Wetterbeobachtung von Hand notiert, aber wer sich künftig mit Gewässergüte befasst, wird nicht mehr nach handschriftlichen Vermerken suchen können, sondern muss zu digitalisierten Daten greifen, sagt er. „Eine moderne Verwaltung braucht den schnellen Rückgriff auf die archivierten Daten – und deshalb müssen wir uns in diesem Bereich sehr gut aufstellen, damit wir diese Anforderungen sehr gut bedienen können“, sagt der scheidende Landesarchiv-Chef. Und betont, dass das auch immer wichtiger auf kommunaler Ebene und für dortige Archive werde. „Ich sehe die Archive auf zwei Säulen stehen. Einerseits seien sie ‚Bewahrer kulturellen Erbes‘“, wobei das natürlich gerade in Weimar sehr im Fokus stehe. Schließlich sind hier die Akten zu Bauhaus, Reformation und Buchenwald zu finden, aber „wir sind zugleich eine Säule des demokratischen Rechtsstaats“, unterstreicht Bernhard Post. Stolz verweist er auf die UnescoDeklaration: An der „weltweiten allgemeinen Erklärung der Archive“hat er mitgearbeitet. „Und das Thüringer Archivgesetz folgt dieser Unesco-Deklaration und erfüllt die darin enthaltenen Forderungen“, macht Post deutlich.
Für den Ruhestand hat er einige Forschungen mit Blick auf Weimar vorgenommen, so einerseits zu Jenny Fleischer-Alt, die sich, um nicht deportiert zu werden, das Leben nahm, und andererseits zu Johannes Trautloft, der unter den Nazis als Luftwaffenoffizier und später bei der Bundeswehr Karriere machte.