Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Seemannsga­rn und Wohnungsno­t

Das Theater Rudolstadt widmet dem Poeten Joachim Ringelnatz ein knapp zweistündi­ges Programm

- VON ULRIKE KERN

„Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht/ Uns aus der Wohnung jagen. / Was soll ich ihr denn noch sagen – /Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?“1923 schrieb Joachim Ringelnatz sein „Angstgebet in Wohnungsno­t.“Da lebte er gemeinsam mit seiner Frau bereits als Schwarzmie­ter in eine Münchner Wohnung – zehn Jahre lang, bis zum Umzug des Ehepaares nach Berlin im Februar 1930. Die beiden erlebten ständige Geldnot, konnten nie finanziell sorgenfrei leben. Insofern wusste Ringelnatz (1883-1934) mit seinem Gedicht genau, worüber er sprach.

Er, der ernsthafte Künstler mit Doppelbega­bung, der Dichter heiter skurriler Verse und Maler seiner schweren Gedanken, der als komischer Kauz verkannte Tausendsas­sa mit dem markanten Gesicht, kannte das Leben. Mit zahlreiche­n Gelegenhei­tsjobs hat er sich über Wasser gehalten, war Leichtmatr­ose, Wahrsager, Schaufenst­erdekorate­ur, Buchhalter, Fremdenfüh­rer und vieles mehr. Sein Leben war ein Füllhorn an Erlebnisse­n, die in seinen feinsinnig­en Versen, in seinen Romanen, Kinderbüch­ern und Bühnenstüc­ken Eingang fanden.

Nach Wilhelm Busch, Heinz Ehrhardt und Christian Morgenster­n ist Joachim Ringelnatz nun der vierte große deutsche Humorist, dem das Theater Rudolstadt in seiner kleinen Reihe einen eigenen Abend im Schminkkas­ten widmet. Jetzt feierte „Reise, Reise, Ringelnatz“als Produktion des Künstlerdu­os Alexander Stillmark (Regie) und Volker Pfüller (Bühnenbild und Kostüme) ihre Premiere. Knapp zwei Stunden lang hauchen Ulrike Gronow, Rayk Gaida und Johannes Arpe sowie Thomas Voigt am Klavier den Ringelnatz­schen Versen Leben ein.

Eine seiner beliebten Figuren ist der Seemann namens Kuttel Daddeldu teilen. In dieser Rolle, standesgem­äß im Seemannsan­zug, spann Ringelnatz einst selbst auf den Bühnen Deutschlan­ds fleißig Seemannsga­rn. In gleicher Aufmachung präsentier­en sich deshalb auch die drei Rudolstädt­er Schauspiel­er, führen ihr Publikum grandios durch verschiede­ne Versformen, zu belebten Dingen („Ein männlicher Briefmark“, „Der kleine Stein“, „Arm Kräutchen“) und sprechende­n Tieren („Die Ameisen“) und bringen ihren Zuhörern Ringelnatz‘ kunstvolle­s Spiel mit der Sprache nahe. Mal parodieren­d und karikieren­d oder ohne jeglichen Sinn, mitunter auch bissig und mit fröhlicher Anarchie – wie im Turngedich­t „Am Barren“, in dem er die aufkommend­e disziplini­erte Körperlich­keit in der Turnbewegu­ng mit einem Augenzwing­ern bewertet: „Mußt dich keck emanzipier­en/Und mit kindlichem „Ätsch-Ätsche“/ Über Männer triumphier­en,/ Mußt wie Bombe und Kartätsche/Deine Kräfte demonstrie­ren./Deutsches Mädchen-Grätsche! Grätsche!“

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