Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Der Künstler im Menschen, der Mensch im Künstler
Klassik-Stiftung beendet nach 17 Ausgaben die poetischen Liedertage „MelosLogos“– Bunter Abend versuchte, aus dem Schießhaus ein Brettl zu machen
Als Thomas Bernard den Grillparzer-Preis erhält, sind Pullover und Hose, die er immer und überall trug, ihm plötzlich nicht genug; er kauft noch schnell einen englischen Anzug – der ihm aber eine Nummer zu klein ist. Und auch sonst will an diesem Tag nichts so recht passen.
Das ist, aus „Meine Preise“, nur ein Kultivierungsversuch unter vielen, von denen der Burg-Schauspieler Peter Simonischek an diesem Abend im Schießhaus Weimar liest. Eine andere, süffisant vorgetragen, geht so: „Als der Affe erkannte, dass er ein Mensch werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Affe-Seins hinwegzuschwemmen.“Das stammt vom Wiener Kaffeehausdichter Peter Altenberg – und es bereitet hier gleichsam Kafka vor.
„Nicht mehr als Verzweifelter, sondern als Künstler“gelingt dem Schimpansen Rotpeter endlich, eine Schnapsflasche zu handhaben, bevor er sich gegen den Zoo, fürs Varieté entscheidet. Ganz hoch und spitz spricht Simonischek „Künstler“, im „Bericht für eine Akademie“. Nach dem Künstler im Menschen und Menschen im Künstler suchte „Ein bunter Abend“: eine von vier Veranstaltungen, mit denen sich am Wochenende die poetischen Liedertage „MelosLogos“verabschiedeten.
Das kleine, exklusive Festival für Musik und Dichtung, bei der KlassikStiftung angesiedelt, hatten die Pianistin Liese Klahn-Albrecht und der Stiftungspräsident Hellmut Seemann 2002 ersonnen und jährlich gemeinsam programmiert. Da nun Seemanns Ära im nächsten Sommer endet, setzten sie den Schlusspunkt.
Der brauchte, anders als in den Jahren zuvor, kein Leitmotiv als allenfalls dieses: Was wir noch zu sagen und singen hätten. Das schloss eine Entscheidung fürs Varieté, oder jedenfalls fürs Brettl, fürs literarische Kabarett alter Schule also, ein. Und es brachte Peter Simonischek zusammen mit zehn Sopranen und einem Bariton aus der exzellenten und sehr erfolgreichen Meisterklasse von Kammersängerin Christiane Iven, die in München Liedgestaltung lehrt. Nun ist aber ein Chanson oder auch Couplet kein Kunstlied, eine Sopranistin auch keine Diseuse und nicht mal unbedingt eine Soubrette. Insofern waren Zweifel angebracht, ob das nicht zu aseptisch würde, ob nicht ein enger Anzug, oder ein enges Abendkleid, bald Sehnsucht nach weiten Pullovern wecken würde – und auch die nach Schnapsflaschen. Die „Diven der Iven“, wie man in der Szene anerkennend flachst, antworteten ambivalent. Das klang tatsächlich mitunter zu schön, um aufregend zu sein. Ein subtiler Humor sowie der Wille, ein Lied nicht allein stimmlich zu gestalten, waren gleichwohl vorhanden. Frechheit lugte hinter Unschuldsmienen insbesondere bei zwei Hollaender-Chansons hervor: in Ilme Stahnkes „Kleptomanin“und noch mehr im „Wiener Schmarrn“mit Samantha Gaul. Vier Brettl-Lieder Arnold Schönbergs gerieten dann doch etwas zu süßlich, Kurt Weills „Youkali“zu kunstvoll. „War das nicht hinreißend!?“, fragte eine Dame die andere, als der Abend geendet hatte. Darauf diese: „Bezaubernd!“Eben! – Und doch war da Verführungskunst am Werk, die nachhallt: die Verführung, sich Melos und auch Logos hinzugeben.