Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Der Künstler im Menschen, der Mensch im Künstler

Klassik-Stiftung beendet nach 17 Ausgaben die poetischen Liedertage „MelosLogos“– Bunter Abend versuchte, aus dem Schießhaus ein Brettl zu machen

- VON MICHAEL HELBING

Als Thomas Bernard den Grillparze­r-Preis erhält, sind Pullover und Hose, die er immer und überall trug, ihm plötzlich nicht genug; er kauft noch schnell einen englischen Anzug – der ihm aber eine Nummer zu klein ist. Und auch sonst will an diesem Tag nichts so recht passen.

Das ist, aus „Meine Preise“, nur ein Kultivieru­ngsversuch unter vielen, von denen der Burg-Schauspiel­er Peter Simonische­k an diesem Abend im Schießhaus Weimar liest. Eine andere, süffisant vorgetrage­n, geht so: „Als der Affe erkannte, dass er ein Mensch werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Affe-Seins hinwegzusc­hwemmen.“Das stammt vom Wiener Kaffeehaus­dichter Peter Altenberg – und es bereitet hier gleichsam Kafka vor.

„Nicht mehr als Verzweifel­ter, sondern als Künstler“gelingt dem Schimpanse­n Rotpeter endlich, eine Schnapsfla­sche zu handhaben, bevor er sich gegen den Zoo, fürs Varieté entscheide­t. Ganz hoch und spitz spricht Simonische­k „Künstler“, im „Bericht für eine Akademie“. Nach dem Künstler im Menschen und Menschen im Künstler suchte „Ein bunter Abend“: eine von vier Veranstalt­ungen, mit denen sich am Wochenende die poetischen Liedertage „MelosLogos“verabschie­deten.

Das kleine, exklusive Festival für Musik und Dichtung, bei der KlassikSti­ftung angesiedel­t, hatten die Pianistin Liese Klahn-Albrecht und der Stiftungsp­räsident Hellmut Seemann 2002 ersonnen und jährlich gemeinsam programmie­rt. Da nun Seemanns Ära im nächsten Sommer endet, setzten sie den Schlusspun­kt.

Der brauchte, anders als in den Jahren zuvor, kein Leitmotiv als allenfalls dieses: Was wir noch zu sagen und singen hätten. Das schloss eine Entscheidu­ng fürs Varieté, oder jedenfalls fürs Brettl, fürs literarisc­he Kabarett alter Schule also, ein. Und es brachte Peter Simonische­k zusammen mit zehn Sopranen und einem Bariton aus der exzellente­n und sehr erfolgreic­hen Meisterkla­sse von Kammersäng­erin Christiane Iven, die in München Liedgestal­tung lehrt. Nun ist aber ein Chanson oder auch Couplet kein Kunstlied, eine Sopranisti­n auch keine Diseuse und nicht mal unbedingt eine Soubrette. Insofern waren Zweifel angebracht, ob das nicht zu aseptisch würde, ob nicht ein enger Anzug, oder ein enges Abendkleid, bald Sehnsucht nach weiten Pullovern wecken würde – und auch die nach Schnapsfla­schen. Die „Diven der Iven“, wie man in der Szene anerkennen­d flachst, antwortete­n ambivalent. Das klang tatsächlic­h mitunter zu schön, um aufregend zu sein. Ein subtiler Humor sowie der Wille, ein Lied nicht allein stimmlich zu gestalten, waren gleichwohl vorhanden. Frechheit lugte hinter Unschuldsm­ienen insbesonde­re bei zwei Hollaender-Chansons hervor: in Ilme Stahnkes „Kleptomani­n“und noch mehr im „Wiener Schmarrn“mit Samantha Gaul. Vier Brettl-Lieder Arnold Schönbergs gerieten dann doch etwas zu süßlich, Kurt Weills „Youkali“zu kunstvoll. „War das nicht hinreißend!?“, fragte eine Dame die andere, als der Abend geendet hatte. Darauf diese: „Bezaubernd!“Eben! – Und doch war da Verführung­skunst am Werk, die nachhallt: die Verführung, sich Melos und auch Logos hinzugeben.

 ??  ?? Peter Simonische­k las beim Brettl-Abend im Schießhaus Weimar Franz Kafka, Peter Altenberg und Thomas Bernhard. Foto: Maik Schuck
Peter Simonische­k las beim Brettl-Abend im Schießhaus Weimar Franz Kafka, Peter Altenberg und Thomas Bernhard. Foto: Maik Schuck

Newspapers in German

Newspapers from Germany