Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Abwehr als Hühnerhaufen
Beim 4:5-Spektakel gegen Unterhaching erweist sich die Jenaer Defensive als nicht drittligatauglich
Torsten Scherer hat es sich bequem gemacht. Der treueste aller treuen Fans des FC Carl Zeiss Jena darf gegen Unterhaching direkt neben der Trainerbank auf einem Sponsorensofa Platz nehmen. Ein neues Kniegelenk hat Scherer gerade erhalten. Ausfallzeit: null Wochen. Scherer ist immer da. Selbst die Gehhilfen hat er mit dem FCC-Emblem beklebt. Was er am Samstagnachmittag dann aber hautnah erleben muss, dieses spektakuläre 4:5, lässt den Zeulenrodaer nur mit dem Kopf schütteln: „Sinnlos!“
Mark Zimmermann, der Jenaer Trainer, rang ebenso nach den passenden Worten. „Unterhaching ist nicht unsere Kragenweite“, sagt er. Und: „Unsere Defensivleistung war nicht drittligatauglich“. Da nützte es wenig, dass Hachings Trainer Claus Schromm hernach den mutigen Auftritt der Gastgeber lobte, ihnen attestierte „ein geiler Haufen“zu sein. Wobei Haufen nicht despektierlich gemeint sei, eher die sprichwörtliche mannschaftliche Geschlossenheit näher beschreibe.
Noch Glück hätten seine Jenaer gehabt, dass die Hachinger nicht noch höher gewonnen haben, bemerkt dagegen Zimmermann. „Die schießen ja noch viermal ans Aluminium“, sagt er. Dazu hätte sich Guillaume Cros nicht beschweren dürfen, nach seinem Tritt gegen die Brust von Luca Marseiler nicht mit Rot vom Feld geflogen zu sein. Einen Elfmeter hätte es obendrein gegeben (30.). Zu langsam – im Kopf und auf den Beinen – waren die Zeiss-Kicker an diesem Nachmittag. So, das stellt Zimmermann klipp und klar, werde man am Saisonende absteigen. Die Gegentore sind allesamt auf eigenem Mist gewachsen: Bei einem Freistoß von Sascha Bigalke konnte Marc Endres fast unbewacht sechs Meter vor dem Tor einschießen (16.). Danach drehte Jena die Partie: Erst Dominik Bock wuchtig aus spitzem Winkel (36.), dann Phillip Tietz mit Kopfballbogenlampe (42.). So weit, so gut. Wenn da nicht zwölf Sekunden nach dem Treffer die Hachinger zurückschlagen durften. Über die rechte Seite lief der Angriff, den Stephan Hain mit seinem ersten Tor ins Eck abschloss (43.). Dilettantisch!
Doch der FCC war im Spiel. „Wir haben auch in der Pause angesprochen, dass wir enger an den Leuten stehen müssen. Wenn man Unterhaching Raum gibt, dann nutzen die den auch“, sagt Kapitän René Eckardt. Und zunächst sah es alles ganz gut aus: Julian Günther-Schmidt spielte den Doppelpass mit Hachings Alexander Winkler – und nahm den halbhohen Rebound direkt, zirkelte ihn traumhaft in den Winkel: 3:2 (54.).
Es folgte die Hain-Show, bei der Jenas Abwehr blöd aussah: Doppelschlag (60., 63.). Plötzlich lagen die Gäste 4:3 vorn. Jena im Glück, weil Gästekeeper Lukas Königshofer dem gerade eingewechselten Felix Brügmann das Leder servierte, der zum 4:4 ins leere Tor einschoss (70.). Jena im Pech, weil Lucas Hufnagel mit Wucht die letzte Führung des Tages erzielte: 5:4 (81.). Wieder erwies sich Jenas Abwehr als Hühnerhaufen. Und Torsten Scherer? Der schüttelte weiter ungläubig mit dem Kopf. Zum letzten Mal, dass er so etwas erlebt habe, das sei im November 1983 gewesen. Jena verlor gegen Stahl Riesa daheim mit 4:6. Es war das erste Oberliga-Spiel nach der Entlassung von Hans Meyer. Scherer weiß es noch. „Sinnlos!“