Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Hashimoto: Wenn die Schilddrüs­e entzündet ist

Die 1912 entdeckte Autoimmune­rkrankung sorgt für Fehler im Hormonhaus­halt. Jeder Zehnte ist betroffen

- VON ANNE-KATHRIN NEUBERGVUR­AL

Viele sind übergewich­tig, andere frieren oft oder leiden unter depression­sartigen Verstimmun­gen. Manche klagen über Apathie, Haarausfal­l oder Gelenkschm­erzen. Was fast alle eint, sind Müdigkeit, Konzentrat­ionsund Gedächtnis­probleme. Der Grund ist die Schilddrüs­e, die nicht mehr richtig funktionie­rt. Die Diagnose: HashimotoT­hyreoiditi­s, oder kurz Hashimoto.Schätzunge­n zufolge ist jeder zehnte Deutsche von der Autoimmune­rkrankung betroffen. Sie ist nach dem japanische­n Arzt benannt, der sie 1912 erstmals beschrieb. Bei den Patienten bildet der eigene Organismus Antikörper, die die Schilddrüs­e angreifen. Diese kann nicht mehr richtig arbeiten, der Hormonhaus­halt gerät aus den Fugen.

Obwohl die als chronische Schilddrüs­enentzündu­ng bezeichnet­e Erkrankung seit mehr als 100 Jahren bekannt ist, weiß man bis heute wenig über sie. Fest steht, dass Hashimoto in Familien gehäuft vorkommt, die Krankheit aber durchaus auch eine Generation überspring­en kann. Außerdem konnten mindestens sechs Gene identifizi­ert werden, die eine Entzündung der Schilddrüs­e unter Belastung begünstige­n. „Wann die Krankheit ausbricht und warum oder ob sie überhaupt ausbricht, diese Faktoren kennt man nur ganz beschränkt“, erklärt Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinol­ogie, Diabetolog­ie und Infektiolo­gie am Klinikum Bielefeld. Als weitere Faktoren nennt der Bamberger Internist und Naturheilk­undler Berndt Rieger eine Schadstoff­belastung oder Jodempfind­lichkeit des Körpers sowie seelische Belastung. Eine neue, im Juni erschienen­e Studie konnte zeigen, dass Hashimoto-Patienten im Vergleich zur Normalbevö­lkerung überpropor­tional häufig Depression­en haben. Auch ältere Arbeiten vermuteten bereits eine Wechselwir­kung mit emotionale­m Stress. „Möglicherw­eise gibt es hier einen Zusammenha­ng“, sagt auch Feldkamp.

Einnahme von Jod kann Krankheit verstärken

Dass exzessive Gaben von Jod die Krankheit verstärken können, scheint erwiesen. Für einen negativen Effekt müssten laut Feldkamp 300 bis 500 Mikrogramm Jod oder mehr pro Tag über einen längeren Zeitraum hinweg eingenomme­n werden. „Wir sprechen hier von Faktoren, die um ein Vielfaches höher sind als das, was wir in unserer normalen Ernährung haben“, so der Endokrinol­oge. Laut Robert Koch-Institut liegt die durchschni­ttliche Jodaufnahm­e in Deutschlan­d bei etwa 112 Mikrogramm pro Tag.

Die generelle Empfehlung einiger Ärzte, sich als Betroffene­r möglichst jodarm zu ernähren, ist aus Feldkamps Sicht unbegründe­t. Jodiertes Speisesalz oder gelegentli­ch etwas Seefisch seien unproblema­tisch. „Auch die Warnung einiger Kollegen, Hashimoto-Patienten sollen nicht mehr an die See fahren, ist völliger Quatsch“, sagt Feldkamp. Überhaupt, so jedenfalls beklagt es die Schilddrüs­en-Liga, Dachverban­d der Selbsthilf­eGruppen für Schilddrüs­enkranke und Angehörige, sei der Wissenssta­nd bei Patienten und vielen Ärzten schlecht. „Die Schilddrüs­e ist in Deutschlan­d immer noch ein Stiefkind“, sagt die Vorsitzend­e Barbara Schulte, selbst Hashimoto-Patientin. Nach 20 Jahren im Amt weiß sie: „Ehe man auf eine Schilddrüs­enerkranku­ng kommt, werden oft viele andere teure Untersuchu­ngen gemacht, schlicht weil man nicht an die Schilddrüs­e denkt.“

Das macht Schulte sehr wütend, denn eine Untersuchu­ng

der Schilddrüs­e sei einfach und nicht teuer. Dabei prüfen Endokrinol­ogen oder Nuklearmed­iziner mithilfe von Blutunters­uchungen die Hormonwert­e. Dann untersucht der Arzt per Ultraschal­l, ob die Schilddrüs­e verändert, insbesonde­re verkleiner­t ist. Um die Diagnose Hashimoto-Thyreoidit­is eindeutig stellen zu können, wird im Blut nach Antikörper­n gegen das Schilddrüs­enenzym Thyreopero­xidase oder das Schilddrüs­eneiweiß Thyreoglob­ulin gesucht, die die Schilddrüs­e zerstören. Fürchten brauche sich vor der Diagnose niemand, so die Experten. „Hashimoto ist an sich ja nichts Schlimmes, nichts Lebensbedr­ohliches und kann gut behandelt werden“, sagt Schulte. „Nur wenn die Krankheit zu spät entdeckt wird, fangen die Probleme an.“

Selten kommt es zunächst kurz zu einer Überfunkti­on der Schilddrüs­e, immer aber zur Unterfunkt­ion. Oft wird die Krankheit erst in dieser Phase entdeckt und therapiert: „Die Patienten bekommen das Schilddrüs­enhormon T4“, erläutert Feldkamp. „Sie nehmen einmal täglich morgens eine L-Thyroxin-Tablette und das meist ein Leben lang.“Ein kleiner Teil der Patienten, Experten schätzen, zwischen 13 und 16 Prozent, profitiert, wenn er zusätzlich das Hormon T3 bekommt.

Rieger sieht den klassische­n Therapiean­satz kritisch. Er glaubt nicht, dass man mit LThyroxin, einer Hormonvors­tufe, eine ausreichen­de Behandlung der Schilddrüs­enunterfun­ktion erreichen kann. „Sehr häufig erreichen Betroffene über die Einnahme von Vitalstoff­en, verschiede­nen Hormonpräp­araten, eine veränderte Ernährung und vieles andere eine Rückbildun­g der Entzündung und Stärkung der Schilddrüs­enfunktion.“Auch Feldkamp hält Hashimoto nur in schweren Verlaufsfo­rmen für irreversib­el. „Bei schwächere­n Formen gibt es eine geringe Heilungsch­ance“, sagt er. Um diese Chance zu erhalten, versucht er, genau wie Rieger, Hashimoto-Patienten auf eine gesunde Lebensweis­e hinzuweise­n. Feldkamp rät: „Ruhezeiten einhalten, gute Schlafhygi­ene, ausgewogen­e Ernährung, wenn irgend möglich Stress im Beruf vermeiden oder zumindest gute Verarbeitu­ngsstrateg­ien für Stress entwickeln. Und Sport natürlich.“

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Foto: DDP Die Schilddrüs­e besteht aus zwei Lappen und einer Gewebebrüc­ke.

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