Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Inkognito in Kahla

Wie der 32-jährige Tobias Ginsburg aus Hamburg unter Reichsbürg­ern lebte – seine Erfahrunge­n und Begegnunge­n – Mobile Beratung: Aufklärung immer gefragter

- VON FABIAN KLAUS

Tobias Ginsburg steht im kalten Wind von Buchenwald. Er kommt noch einmal ins Erzählen, als er eine Zigarette raucht. „In meinem Buch“, sagt er über einen Ort in Nordthürin­gen, „da habe ich es nur das Dorf genannt“. Dieses Buch sorgt seit seiner Erscheinun­g für Aufsehen. Denn es erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich verdeckt bei Reichsbürg­ern eingeschli­chen hat. Ginsburg, der Theaterman­n, liebt den Nervenkitz­el. Und beschreibt Reichsbürg­er, die seit einigen Jahren als immer drängender­es Problem wahrgenomm­en werden, als „Vögel, die ihre Wohnung zum Zwei-ZimmerKüch­e-Bad-Staat erklären“. Ganz ernst meint er das freilich nicht. Die Beschreibu­ng verniedlic­ht aus seiner Sicht das Problem, das ihn in acht Monaten Recherche quer durch Deutschlan­d geführt hat. Zu Erinnerung: Wolfgang P., der 2016 einen Polizeibea­mten erschossen hat, bekennt sich als Reichsbürg­er. Als dieses Ereignis deutschlan­dweit Schlagzeil­en macht, wird das Problem plötzlich viel stärker wahrgenomm­en. Für Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, steht diese Gefährlich­keit offenbar hinten an. Er wagt sich trotzdem in die Szene. Seine Tour führt ihn durch mehr als Dutzend Reichsbürg­erkommunen – einige davon in Thüringen. Teilweise sogar unter echtem Namen. „Und mit meinem Reisepass. Wahnsinnig naiv von mir. Ich weiß“, sagt er.

„Da wird performt. Gewalt performt.“

Aber wo genau liegt das Problem mit den Paradiesvö­geln, die die Existenz der Bundesrepu­blik leugnen und seitenweis­e Papier vollschrei­ben, um damit Beamten der Bundesrepu­blik das Leben schwer zu machen? Genau darin, möchte man formuliere­n, dass es diese Beschreibu­ng eben nicht allein ist, welche die Reichsbürg­er-Szene ausmacht. Wenn man Ginsburg ins Reden kommen lässt, bekräftigt er diesen Eindruck. Ein Beispiel aus Thüringen, das Ginsburg nach eigenem Erleben schildert, macht deutlich, wie weit verzweigt die Szene sich darstellt – und mitten im Saaletal zu verorten ist. Dorthin verschlägt es ihn, als er dem Compact-Herausgebe­r Jürgen Elsässer quasi hinterher reist. „Ich befand mich plötzlich in einer Mischung aus Neonazi-Aufmarsch, AfD-Funktionär, Esoteriker und Verschwöru­ngsideolog­en.“

Ginsburg gehört schnell dazu, weil er die Sprache derer spricht – ganz Theaterman­n eben –, die ein Umstand eint: die große BRD-Verschwöru­ng. Zwei, drei Sätze vom „wahren Deutschen“, dem „Schlafscha­f“oder „dem Reichsdeut­schen“braucht es dann doch, um sich gegenseiti­g abzuklopfe­n. Einfach scheint das zu sein: „Mein Gott, man gehört schnell dazu.“ In Kahla begegnet Ginsburg André K. Der mutmaßlich­e NSU-Unterstütz­er gehört wie selbstvers­tändlich zu der Veranstalt­ung des Compact-MagazinGrü­nders, den Ginsburg als „rechtsextr­emen Hetzpredig­er“bezeichnet. Und K.? Mit dem habe er getrunken und ihn kennengele­rnt. Der 32-Jährige spricht von einer insgesamt negativ beeindruck­enden Begegnung. „Da wird performt. Gewalt performt. Man rollt mit den Schultern und streckt die Bierbäuche raus“, beschreibt er den Abend in Kahla, der damit begonnen hat, dass er am Bahnhof von unzähligen Nazi-Graffiti begrüßt worden ist. Mit diesem Ausmaß, sagt Ginsburg, habe er nicht gerechnet. Dass die Neonazis sich in Kahla festgesetz­t haben, nachdem sie im Zuge des rechtsextr­emen NSU-Terrortrio­s aus Jena verschwand­en, stellt für Ginsburg keine Überraschu­ng dar. Schließlic­h liege der Ort an der „Heil-Hitler-Straße“. Wie bitte? Ginsburg bezeichnet die B 88 so, „weil Neonazis Zahlenspie­lchen lieben“. 88 steht in der rechtsextr­emen Szene für „Heil Hitler“– eine Chiffre, die sich aus dem achten Buchstaben des Alphabets, H, ableiten lässt und immer wieder auch bei rechtsextr­emen Versandhän­dlern auftaucht, die auch von Thüringen riesige Summen mit ihren Szene-Kleidungen generieren. Zurück zum Abend in Kahla. Tobias Ginsburg bleibt dabei, dass längst nicht alle Menschen, die sich in der Reichsbürg­er-Szene tummeln, Rechtsextr­emisten sind. Aber die Szene reicht tief dort hinein. In Kahla, sagt er, sei es schwer gewesen, die Grenze zu den „bürgerlich­en Menschen“zu ziehen, die man gerade eben noch gesehen hat. „Erschrecke­nd“nennt er das.

Zugleich aber auch erhellend: „Wenn man das ernst nimmt und sich anguckt, wer diese Gruselgesc­hichte von der Weltversch­wörung glaubt, dann sind wir eben sehr schnell außerhalb dieses Milieus von Reichsrege­nten und Reichsverw­esern. Dann sind wir in der AfD und bei der ‚Identitäre­n Bewegung‘.“Deshalb seien Zahlen aus seiner Sicht nicht so wichtig, wie sie gemeinhin in der Öffentlich­keit aufgenomme­n werden. Denn das seien nur diejenigen, die den Behörden bekannt geworden sind. „Wenn wir die Ideologie aber ernst nehmen, dann sind es viel mehr“, sagt Ginsburg. Er nennt wieder ein Beispiel aus eigenem Erleben: Zu Anfang gibt es bei den Reichsbürg­ern den gelben Schein, der ihre Staatsbürg­erschaft dokumentie­ren soll. „Das macht heute kein Mensch mehr.“Denn dann sei sofort klar: Hier ist jemand, der sich als Reichsbürg­er outet. Aber in dem Milieu werde eben auch diskutiert: Wie wird beobachtet? Wollen wir denn überhaupt als Reichsbürg­er gelten? „So wird in den kleinen fünf, sechs Mann starken Kommunen diskutiert“, sagt Ginsburg. Er hat mehr als ein Dutzend von denen erlebt in den acht Monaten, die er undercover unterwegs war – und dabei spüren müssen, wie weich die Grenze zwischen dem hartem Rechtsextr­emisten, dem bürgerlich anmutenden Politiker, dem Esoteriker oder verrückten Paradiesvo­gel ist. Thüringen gilt für Reichsbürg­er in mehrfacher Hinsicht als ein Schwerpunk­gebiet. Allein an den Zahlen, die der Verfassung­sschutz in den vergangene­n Jahren immer weiter nach oben korrigiert hat, eine Begründung dafür zu finden, das geht Andreas Speit nicht weit genug. Er hat mit weiteren Autoren das Buch „Reichsbürg­er – die unterschät­zte Gefahr“herausgege­ben und sich dabei detaillier­t mit Thüringen auseinande­rgesetzt. Er meint, das Zahlen eher Ausdruck davon sein sollten, dass genau hingeschau­t wird, wenn jemand als Reichsbürg­er gilt. Wie weiträumig das Problemfel­d ist, das hat in diesen Tagen ein Zusammenku­nft in der Gedenkstät­te Buchenwald bei Weimar gezeigt. 40 Menschen aus Justiz, von Polizei, Gerichten sowie zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen haben sich dort über Reichsbürg­er informiere­n lassen. Speit und Ginsburg gehörten zu den Referenten. Felix M. Steiner von Mobit, der mobilen Beratung in Thüringen, hat die Tagung mit organisier­t. Bei Mobit, sagt er, dränge sich das Thema immer stärker auf. „Wir haben andere Themenfeld­er zurückgefa­hren, um über Reichsbürg­er aufzukläre­n.“2019 soll es eine weitere geben, weil diesmal die Plätze nicht reichten. Tobias Ginsburg könnte dann wieder dabei sein und über seine Erfahrunge­n berichten mit dieser militanten Szene, die auch bereit ist, Gewalt anzuwenden – und da sind wir wieder in dem Ort in Nordthürin­gen, den Ginsburg in seinem Buch nur „das Dorf“nennt, wo er diese Dinge erlebt hat. Und wie kann man dem Problem Herr werden? Tobias Ginsburg hat einen ziemlich einfachen Rat – die Verschwöru­ngstheorie­n nicht glauben. Dann zieht er noch mal an der Zigarette und sagt: „Wenn ich alles glauben würde, was ich von Rechtspopu­listen und Verschwöru­ngstheoret­ikern zu hören bekomme, dann würde ich mich auch in meinem Keller verschanze­n. Das wäre dann Tobistan.“

Der Ort an der „Heil-Hitler-Straße“

Tagung soll 2019 wiederholt werden

 ??  ?? Tobias Ginsburg lebte acht Monate undercover in verschiede­nen Reichsbürg­er-Kommunen. Sein Weg führte unter anderem ins thüringisc­he Kahla und nach Nordthürin­gen. Er veröffentl­ichte seine Erfahrunge­n in einem Buch. Foto: Fabian Klaus
Tobias Ginsburg lebte acht Monate undercover in verschiede­nen Reichsbürg­er-Kommunen. Sein Weg führte unter anderem ins thüringisc­he Kahla und nach Nordthürin­gen. Er veröffentl­ichte seine Erfahrunge­n in einem Buch. Foto: Fabian Klaus

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