Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Angeklagter bestreitet Tötung von Stephanie
27 Jahre alter Mordfall: 66-Jähriger verstrickt sich bei seiner Aussage am Landgericht Gera in Widersprüche – an diesem Freitag soll das Urteil fallen
Der Angeklagte zerfließt in Selbstmitleid, als er seine Einlassung zum Tod der zehnjährigen Stephanie aus Weimar abgibt: Das Sondereinsatzkommando habe ihn brutal zu Boden gestreckt. Die Ermittler hätten ihm einen Arzt verweigert und verschwiegen, dass sie ihn eines Mordes bezichtigen. Er solle nur schnell alles zugeben, damit er rechtzeitig zur Urlaubsreise wieder zu Hause sei. „Normalerweise wäre ich seit gestern in Dubai“, sagt der in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte, der sich nicht erklären kann, wie das kleine Mädchen aus Weimar ums Leben gekommen ist. Er räumt ein, das Kind im August 1991 entführt zu haben. Wegen seiner pädophilen Neigung war er bereits zu DDR-Zeiten verurteilt worden. Er habe im Ilmpark unter einem Vorwand zwei Mädchen angesprochen. Doch nur Stephanie ließ sich überreden, ihm für 50 Mark das Schloss Belvedere zu zeigen.
Der Berufskraftfahrer fuhr mit dem Kind nach Eisenberg zur A 9, wechselte auf die B 173. . Nach Schwarzenbach sei er in den Wald gebogen und mit dem Kind ausgestiegen. Das Mädchen habe sich ausziehen sollen, damit er Fotos machen könne. Doch er habe sich geekelt, weil sie eingenässt habe. Zudem habe er festgestellt, dass er die Polaroid-Kamera vergessen habe.
Sein Ziel sei gewesen, das Mädchen nach Weimar zurückzubringen. Doch er habe Beruhigungsmittel geschluckt und auch dem Kind Tabletten in die Cola gemixt. Auf der Heimfahrt habe er nahende Ausfallerscheinungen gespürt. Auch Stephanie habe nicht mehr gesprochen, nur noch mit „Hmmm, hmmm“auf Fragen geantwortet. „Ich hatte Panik, einen Unfall zu bauen, und wollte deshalb das Mädchen absetzen.“Am Rastplatz Hermsdorfer Kreuz habe er das wegen des Andrangs verworfen. Deshalb habe er auf dem Standstreifen vor der Teufelstalbrücke gehalten. Das Mädchen habe er gestützt ein paar Meter auf die Brücke begleitet und ans Geländer gesetzt. Sie sollte zum Rastplatz laufen. „Ich habe noch eine Decke geholt und ihr gegeben. Sie saß zur Fahrbahn gebeugt“, berichtet der Angeklagte. „Als ich ins Auto eingestiegen bin, war sie nicht mehr da.“Er habe vermutet, das Kind habe sich versteckt. In Schlangenlinien sei er bis zu einer Haltebucht kurz vor Jena gefahren und habe dort übernachtet, bevor er am nächsten Morgen nach Berlin zurückfuhr. Tage später habe er in den Nachrichten vom Fund des toten Mädchens erfahren. Ein Gutachter hatte im Prozess bereits belegt, dass ein einfacher Unfall ausgeschlossen ist. Durch versehentliches Fallen über das flache Geländer konnte das Mädchen nicht jene Position unter der Brücke erreichen, an der Stephanie zwei Tage später tot gefunden wurde.
Dem Vorsitzenden Richter Uwe Tonndorf fällt auf: Freitag habe sich das alles ereignet, sagt der Angeklagte. Doch das Mädchen war Samstag entführt worden. Zudem widersprach sich der Angeklagte in Details: Mal will er dem Kind die 50 Mark erst auf der Brücke wieder abgenommen haben, mal schon im Wald. Angaben zu den Medikamenten variieren. Den forensischen Psychiater Georg Stolpmann irritiert, dass der Angeklagte trotz hoher Dosis Beruhigungsmittel Panik verspürt haben will. „Er stellt sich als Opfer dar“, sagt Stolpmann in seinem Gutachten. Er diagnostiziert eine pädophile Neigung und eine Persönlichkeitsstörung, die nicht die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigte. Auch das überlegte Vorgehen zeige, dass keine verminderte Schuldfähigkeit vorliege. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in Sicherungsverwahrung seien aus seiner Sicht nicht gegeben, weil der inzwischen kastrierte Angeklagte nicht mehr auffällig war. Am Freitag soll das Urteil fallen. Entscheidet das Gericht auf Mord, kommt der Angeklagte lebenslänglich in Haft.