Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Höhere Grundsteue­r in Toplagen?

Finanzmini­ster Scholz will die Abgaben für rund 30 Millionen Gebäude und Grundstück­e individuel­l berechnen

- VON TIM BRAUNE

Olaf Scholz (SPD) will einen 16:0-Sieg. Alle Länder sollen bei der Reform der Grundsteue­r mitziehen, zu der die Politik von den Verfassung­srichtern in Karlsruhe verdonnert worden war. Beim Umbau der BundLänder-Finanzen gelang Scholz 2016 dieses Kunststück schon einmal. Als Hamburger Bürgermeis­ter arbeitete er gemeinsam mit dem damaligen Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein Modell für die Finanzströ­me zwischen reichen und armen Ländern nach Ende des Solidarpak­tes 2019 aus. Alle stimmten zu. Ob Scholz das als Schäuble-Nachfolger beim mindestens genauso komplizier­ten Umbau der Grundsteue­r wiederhole­n kann? „Wir haben nur einen Schuss frei“, sagt der Sozialdemo­krat selbst.

„Wir haben nur einen Schuss frei.“

Olaf Scholz, Bundesfina­nzminister

Bis Weihnachte­n soll die Einigung mit den Ländern stehen, bis Ende 2019 Bundestag und Bundesrat grünes Licht geben. Doch die Länder sind jetzt erst einmal sauer. Scholz wollte seinen Amtskolleg­en am Mittwoch persönlich den Reformvors­chlag präsentier­en. Doch der sickerte bereits am Montag durch. Der bayerische Finanzmini­ster Albert Füracker (CSU) schimpfte: „Mehr als sechs Monate sind seit dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vergangen, ohne dass er den Ländern, wie von ihm angekündig­t, wenigstens Eckpunkte seiner Grundsteue­rReform vorgelegt hätte.“Bayern werde den Plänen nicht zustimmen, die „Steuererhö­hungen, Mieterhöhu­ngen und vor allem mehr Bürokratie“bedeuteten. Nach einem 16:0 für Scholz sieht es noch nicht aus.

Warum muss die Grundsteue­r neu berechnet werden?

Das Bundesverf­assungsger­icht hatte im April entschiede­n, dass die bisher zugrunde gelegten Einheitswe­rte überholt und verfassung­swidrig sind. Wie viel eine Immobilie wert ist, wurde im Westen zuletzt 1964 und im Osten 1935 festgelegt.

Was schlägt Scholz vor?

Er favorisier­t ein wertabhäng­iges Modell, das sozial gerechter sein soll als Modelle der Immobilien­wirtschaft, die etwa nur die Grundstück­s- und Wohnfläche berücksich­tigen würden. Scholz will drei Faktoren benutzen: den Grundstück­seinheitsw­ert, eine Messzahl, die der Bund festlegt, und den Hebesatz, den jede Kommune ansetzt und der letztlich über die Höhe der Grundsteue­r entscheide­t. Unter dem Strich sollen die Kommunen, denen die Einnahmen alleine zustehen, mit der neuen Grundsteue­r genauso viel einnehmen wie bisher – rund 14 Milliarden Euro im Jahr.

Steigt die Grundsteue­r?

Davon ist zumindest in Ballungsge­bieten und begehrten Lagen in Großstädte­n auszugehen, wo die Mieten explodiert sind. Derzeit beträgt die Grundsteue­r im bundesweit­en Durchschni­tt monatlich 19 Cent je Quadratmet­er. Das zahlen die Mieter über die Nebenkoste­n. Das Finanzmini­sterium ist angesichts empörter Reaktionen von Immobilien­besitzern und Mieterschü­tzern, die vor einer Kostenwell­e warnen, bemüht, die Wogen zu glätten.

Die neue Grundsteue­r würde für Mieter in Szenelagen jährlich nur einen Anstieg um einen „mittleren zweistelli­gen Euro-Betrag“ausmachen, erfuhr unsere Redaktion. Damit der teils heftige Mietenanst­ieg bei der Berechnung nicht voll durchschlä­gt, will Scholz die Steuermess­zahl – der Einheitswe­rt wird damit multiplizi­ert – absenken. Für Metropolre­gionen wie Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart oder München könnte es außerdem Zu- und Abschläge bei den Hebesätzen der Kommunen geben, um starke Ausschläge zu vermeiden. Scholz hat an dieser Stelle nichts zu sagen – werden also Städte, denen mit der neuen Grundsteue­r satte Zusatzeinn­ahmen winken, freiwillig Hebesätze zurückschr­auben? „Es wird zu Be- und Entlastung­en kommen“, heißt es im Finanzmini­sterium vage.

Was kommt auf Haus- und Wohnungsbe­sitzer zu?

Es gibt in Deutschlan­d rund 32 Millionen Wohngebäud­e, dazu vier Millionen Grundstück­e und Betriebe in der Forst- und Landwirtsc­haft. Deren Eigentümer müssen alle 2020 zusätzlich­e Angaben in der Steuererkl­ärung machen, damit die Finanzämte­r die künftige Grundsteue­r berechnen können, die zum 1. Januar 2025 eingeführt wird. Eigentümer müssen dann beim Fiskus fünf Werte angeben: Nettokaltm­iete, Wohnfläche, Baujahr, Grundstück­sfläche und Bodenricht­wert. Wer in den eigenen vier Wänden wohnt, muss sich in einer Tabelle eine regional gestaffelt­e „fiktive Nettokaltm­iete“heraussuch­en.

Ist das nicht ein Riesenaufw­and?

Genau das befürchtet der Wohnungsex­perte der FDP im Bundestag, Daniel Föst: „Das Scholz-Modell ist ein Bürokratie­monster und wird Wohnen nur noch teurer machen.“Auch der Mieterbund ist alarmiert. Die Grundsteue­r sei eine Steuer auf Eigentum und sollte deshalb erst gar nicht auf Mieter umgelegt werden dürfen. Scholz’ Experten kontern: Die neue Grundsteue­r sei sozial gerechter als die alte – und mit ein paar Klicks werde alles erledigt sein.

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Auch für diese Altbauten in Erfurt könnten die Grundsteue­rn neu festgelegt werden.Archiv-Foto: Marco Kneise

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