Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Sicherheitsrisiko Stromausfall
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz sieht gravierende Versorgungsmängel und warnt: Ein großer Blackout könnte katastrophale Folgen haben
Von der einen Sekunde zur anderen geht nichts mehr – Licht, Kühlschrank, Internet, alles aus. Wenn der Strom nicht mehr fließt, steht der Alltag still. Hunderttausende haben in Deutschland allein in diesem Jahr die Folgen eines Blackouts zu spüren bekommen. In Lübeck etwa, als im Mai für
190.000 Haushalte der Strom fürvierStundenausfiel–einDefekt im Umspannwerk war die Ursache.
Rein statistisch muss jeder Deutsche im Durchschnitt
12,8 Minuten pro Jahr ohne fließende Elektrizität auskommen. Das ist vergleichsweise wenig, Deutschland rühmt sich einer stabilen Energieversorgung. Doch staatliche Experten wollen Vorkehrungen treffen, falls es zum großen Knall kommt: zu einem Blackout, der über Tage, Wochen und Monate anhalten kann, ausgelöst durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder einen physischen Angriff auf die Stromversorgung. Wie diese Vorkehrungen aussehen und wo der Staat noch handeln muss, ist in einem internen Positionspapier des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) nachzulesen, das unserer Redaktion vorliegt. Es enthält eine Warnung: In Deutschland könnte es bei einem längeren und großräumigen Stromausfall zu gravierenden Versorgungsmängeln kommen. Die Auswirkungen wären „katastrophal“, heißt es in dem Papier. „Solche Ereignisse können zur Zerstörung von wichtigen Anlagen in der Stromversorgung führen“, ist weiter zu lesen. „Würde dies eintreten, müssten wir mit Stromausfällen über Tage, Wochen oder Monate rechnen.“Die Autoren warnen vor einem „erheblichen Verteilungsproblem für wichtige, teils lebenswichtige Güter“. Besonders auf der Ebene der Länder und Kommunen gebe es Bedarf an Notfallplänen für die Verteilung von Kraftstoff, Lebensmitteln und Medikamenten. Laut dem BBKPapier ist Deutschlands Stromversorgung „grundsätzlich sehr sicher“. Dennoch könne es zu lang anhaltenden und großräumigen Stromausfällen kommen.
Wie sich so ein richtig großer Stromausfall anfühlt, wissen die Menschen im Münsterland. Im November 2005 knickten
82 Strommasten in der Region nach heftigen Schneefällen ein.
250.000 Menschen mussten zum Teil tagelang ohne Strom auskommen. Das öffentliche Leben fror buchstäblich ein. Der Gesamtschaden stieg auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Ein regionaler Katastrophenfall mit positivem Nebeneffekt: Neun Monate später wurden im Münsterland viele Kinder geboren – die „Schnee-Babys“. Die chaotischen Zustände damals gelten bis heute als Lehrstunde für deutsche Katastrophenschützer. Denn die kalten Tage im Münsterland veranschaulichen, wie verwundbar die hoch technisierte Gesellschaft ist. Welche Folgen hätte ein Blackout für die Privathaushalte? Die Antwort des Behörden-Papiers: „Aufzüge, Heizungen und Licht würden zu Hause sofort ausfallen. Auch der Kühlschrank in der Wohnung oder die Kühlung in Supermärkten wären sofort betroffen.“Weiter heißt es: „Die meisten Tankstellen könnten keinen Treibstoff mehr herausgeben. Innerhalb von Stunden könnten Telefone und Internet nicht mehr genutzt werden. An Bargeld würde man nicht mehr herankommen.“Auch die medizinische Versorgung würde demnach nur für kurze Zeit aufrechterhalten werden können. „Nach 24 Stunden käme es zu weitgehenden Einschränkungen in Krankenhäusern und der Wasserversorgung. Arzneimittel und Medizinprodukte könnten nicht mehr oder nicht mehr in ausreichendem Maße nachgeliefert werden. Impfstoffe und Blutprodukte würden verderben.“Das Amt ist überzeugt, dass nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche betroffen wären. Verwundbar mache man sich auch durch die Digitalisierung.
Ein Lehrstück aus dem Münsterland
Energiewirtschaft investiertinIT-Sicherheit
Dass Cyberattacken zur realen Bedrohung geworden sind, ist den Sicherheitsbehörden seit Jahren bewusst. Ihre Warnungen wurden zuletzt lauter. Ein Ereignis in der Ukraine vor drei Jahren wirkte als Weckruf: Am 23. Dezember 2015 saßen Hunderttausende Ukrainer auf einmal im Dunkeln – und das stundenlang. Ein Hackangriff auf einen regionalen Stromversorger hatte das System kollabieren lassen. Per E-Mail hatten Unbekannte eine Schadsoftware eingeschleust. Zeitgleich wurde ein Angriff auf deutsche Einrichtungen festgestellt. Für die Attacke machten die deutschen Sicherheitsbehörden Täter aus Russland verantwortlich.
Die deutsche Energiewirtschaft sieht sich heute gut gewappnet. Die Branche investiert massiv in die IT-Sicherheit, und die deutschen Sicherheitsstandards gehen weit über die Mindestanforderungen der EU-Cybersicherheitsrichtlinie hinaus. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) verspricht, alles gegen den möglichen Blackout durch einen Cyberangriff zu unternehmen. „Die Gefahr möglicher Sicherheitsbedrohungen wird sehr ernst genommen“, erklärt BDEW-Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer auf Anfrage. Und versichert, dass die Vorkehrungen für die IT-Sicherheit in der Energiewirtschaft „höchste Priorität“hätten.