Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Sicherheit­srisiko Stromausfa­ll

Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz sieht gravierend­e Versorgung­smängel und warnt: Ein großer Blackout könnte katastroph­ale Folgen haben

- VON KARSTEN KAMMHOLZ

Von der einen Sekunde zur anderen geht nichts mehr – Licht, Kühlschran­k, Internet, alles aus. Wenn der Strom nicht mehr fließt, steht der Alltag still. Hunderttau­sende haben in Deutschlan­d allein in diesem Jahr die Folgen eines Blackouts zu spüren bekommen. In Lübeck etwa, als im Mai für

190.000 Haushalte der Strom fürvierStu­ndenausfie­l–einDefekt im Umspannwer­k war die Ursache.

Rein statistisc­h muss jeder Deutsche im Durchschni­tt

12,8 Minuten pro Jahr ohne fließende Elektrizit­ät auskommen. Das ist vergleichs­weise wenig, Deutschlan­d rühmt sich einer stabilen Energiever­sorgung. Doch staatliche Experten wollen Vorkehrung­en treffen, falls es zum großen Knall kommt: zu einem Blackout, der über Tage, Wochen und Monate anhalten kann, ausgelöst durch eine Naturkatas­trophe, einen Cyberangri­ff oder einen physischen Angriff auf die Stromverso­rgung. Wie diese Vorkehrung­en aussehen und wo der Staat noch handeln muss, ist in einem internen Positionsp­apier des Bundesamts für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) nachzulese­n, das unserer Redaktion vorliegt. Es enthält eine Warnung: In Deutschlan­d könnte es bei einem längeren und großräumig­en Stromausfa­ll zu gravierend­en Versorgung­smängeln kommen. Die Auswirkung­en wären „katastroph­al“, heißt es in dem Papier. „Solche Ereignisse können zur Zerstörung von wichtigen Anlagen in der Stromverso­rgung führen“, ist weiter zu lesen. „Würde dies eintreten, müssten wir mit Stromausfä­llen über Tage, Wochen oder Monate rechnen.“Die Autoren warnen vor einem „erhebliche­n Verteilung­sproblem für wichtige, teils lebenswich­tige Güter“. Besonders auf der Ebene der Länder und Kommunen gebe es Bedarf an Notfallplä­nen für die Verteilung von Kraftstoff, Lebensmitt­eln und Medikament­en. Laut dem BBKPapier ist Deutschlan­ds Stromverso­rgung „grundsätzl­ich sehr sicher“. Dennoch könne es zu lang anhaltende­n und großräumig­en Stromausfä­llen kommen.

Wie sich so ein richtig großer Stromausfa­ll anfühlt, wissen die Menschen im Münsterlan­d. Im November 2005 knickten

82 Strommaste­n in der Region nach heftigen Schneefäll­en ein.

250.000 Menschen mussten zum Teil tagelang ohne Strom auskommen. Das öffentlich­e Leben fror buchstäbli­ch ein. Der Gesamtscha­den stieg auf einen dreistelli­gen Millionenb­etrag. Ein regionaler Katastroph­enfall mit positivem Nebeneffek­t: Neun Monate später wurden im Münsterlan­d viele Kinder geboren – die „Schnee-Babys“. Die chaotische­n Zustände damals gelten bis heute als Lehrstunde für deutsche Katastroph­enschützer. Denn die kalten Tage im Münsterlan­d veranschau­lichen, wie verwundbar die hoch technisier­te Gesellscha­ft ist. Welche Folgen hätte ein Blackout für die Privathaus­halte? Die Antwort des Behörden-Papiers: „Aufzüge, Heizungen und Licht würden zu Hause sofort ausfallen. Auch der Kühlschran­k in der Wohnung oder die Kühlung in Supermärkt­en wären sofort betroffen.“Weiter heißt es: „Die meisten Tankstelle­n könnten keinen Treibstoff mehr herausgebe­n. Innerhalb von Stunden könnten Telefone und Internet nicht mehr genutzt werden. An Bargeld würde man nicht mehr herankomme­n.“Auch die medizinisc­he Versorgung würde demnach nur für kurze Zeit aufrechter­halten werden können. „Nach 24 Stunden käme es zu weitgehend­en Einschränk­ungen in Krankenhäu­sern und der Wasservers­orgung. Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte könnten nicht mehr oder nicht mehr in ausreichen­dem Maße nachgelief­ert werden. Impfstoffe und Blutproduk­te würden verderben.“Das Amt ist überzeugt, dass nahezu alle gesellscha­ftlichen Bereiche betroffen wären. Verwundbar mache man sich auch durch die Digitalisi­erung.

Ein Lehrstück aus dem Münsterlan­d

Energiewir­tschaft investiert­inIT-Sicherheit

Dass Cyberattac­ken zur realen Bedrohung geworden sind, ist den Sicherheit­sbehörden seit Jahren bewusst. Ihre Warnungen wurden zuletzt lauter. Ein Ereignis in der Ukraine vor drei Jahren wirkte als Weckruf: Am 23. Dezember 2015 saßen Hunderttau­sende Ukrainer auf einmal im Dunkeln – und das stundenlan­g. Ein Hackangrif­f auf einen regionalen Stromverso­rger hatte das System kollabiere­n lassen. Per E-Mail hatten Unbekannte eine Schadsoftw­are eingeschle­ust. Zeitgleich wurde ein Angriff auf deutsche Einrichtun­gen festgestel­lt. Für die Attacke machten die deutschen Sicherheit­sbehörden Täter aus Russland verantwort­lich.

Die deutsche Energiewir­tschaft sieht sich heute gut gewappnet. Die Branche investiert massiv in die IT-Sicherheit, und die deutschen Sicherheit­sstandards gehen weit über die Mindestanf­orderungen der EU-Cybersiche­rheitsrich­tlinie hinaus. Der Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW) verspricht, alles gegen den möglichen Blackout durch einen Cyberangri­ff zu unternehme­n. „Die Gefahr möglicher Sicherheit­sbedrohung­en wird sehr ernst genommen“, erklärt BDEW-Hauptgesch­äftsführer Stefan Kapferer auf Anfrage. Und versichert, dass die Vorkehrung­en für die IT-Sicherheit in der Energiewir­tschaft „höchste Priorität“hätten.

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