Thüringische Landeszeitung (Gotha)
In der Ukraine droht ein neuer Krieg
Zuspitzung vor der Krim: Nach der Kaperung dreier Schiffe durch Russland verhängt Präsident Poroschenko das Kriegsrecht
Die Reaktion kam sofort. Einen Tag nach dem militärischen Zwischenfall zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer rüffelte die Nato Moskau. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für den Einsatz von militärischer Gewalt gegen ukrainische Schiffe und Marinepersonal“, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag nach einer Sondersitzung der Nato-Ukraine-Kommission in Brüssel. Man rufe Russland auf, die festgesetzten ukrainischen Seeleute und Schiffe unverzüglich freizugeben.
„Alle Alliierten haben bei dem Treffen ihre volle Unterstützung für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zum Ausdruck gebracht“, unterstrich Stoltenberg. Russland sei aufgerufen, ungehinderten Zugang zu ukrainischen Häfen zu gewähren. Zudem müsse es für die Ukraine freie Schifffahrt im Asowschen Meer und in der Meerenge von Kertsch geben. Auch Amerika schloss sich der Kritik an. Die USA warfen Russland eine „skandalöse Verletzung“der ukrainischen Souveränität vor. Die wiederholten „gesetzlosen Handlungen“Russlands machten es US-Präsident Donald Trump unmöglich, eine normale Beziehung zu Moskau aufzubauen, sagte die UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley, am Montag bei einer Dringlichkeitssitzung des UNSicherheitsrats. Am Sonntag hatte die russische Küstenwache drei ukrainischen Militärschiffen die Durchfahrt durch die Meerenge von Kertsch vor der von Russland annektierten Halbinsel Krim verweigert und ein Schiff gerammt. Nach ukrainischen Angaben wurden drei Besatzungsmitglieder verletzt, insgesamt 23 gefangen genommen. Die ukrainischen Schiffe seien wegen Grenzverletzung festgehalten worden, hieß es beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko kündigte an, ab Mittwoch solle für 30 Tage das Kriegsrecht gelten; das Parlament billigte diesen Schritt am Abend. Zuvor war die ukrainische Armee in Alarmbereitschaft versetzt worden. „Jetzt ist Krieg mit der Russischen Föderation auf unserem Land und darüber hinaus“, sagte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin.
Nach russischen Angaben haben die ukrainischen Schiffe die Aufforderungen der russischen Grenzschützer ignoriert und gefährliche Manöver veranstaltet. Deshalb habe man das Feuer eröffnet. Zuvor hatte die russische Seite die Durchfahrt unter der Brücke von Kertsch blockiert, die die annektierte Krim und das russische Festland verbindet. Laut der ukrainischen Marine hatten die drei Schiffe die russischen Behörden von ihrer Absicht informiert, in das Asowsche Meer einzulaufen.
„Es handelt sich um eine sehr gefährliche Provokation, die besonderer Aufmerksamkeit und Klärung bedarf“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Wir fordern die westlichen Sponsoren Kiews in aller Schärfe auf, die zur Räson zu bringen, die jetzt versuchen, mit kriegerischer Hysterie politische Punkte bei den kommenden Wahlen in der Ukraine zu sammeln“, verlangte der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Allerdings sind die russischen Argumente völkerrechtlich heftig umstritten. Nach Angaben aus Moskau verletzten die drei ukrainischen Schiffe, die aus Odessa kamen, schon auf der Fahrt durchs Schwarze Meer ständig die russische Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste der Krim. Jedoch erkennen weder die Ukraine noch die große Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten die Annexion der Halbinsel durch Russland an, also auch nicht seinen Anspruch auf die Hoheit über die dortigen Ufergewässer. Außerdem unterzeichneten beide Länder 2003 einen Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meers. Dort heißt es: „Handels- und Kriegsschiffe (…) unter der Flagge Russlands oder der Ukraine (…) besitzen im Asowschen Meer und in der Straße von Kertsch das Recht auf freie Schifffahrt.“Auch die Moskauer Zeitung „Kommersant“konstatiert, dass die ukrainischen Schiffe demnach Anspruch auf ungehinderten Zugang durch die Meerenge ins Asowsche Meer gehabt hätten.
Die ukrainische Regierung übte scharfe Kritik an dem Vorgehen Moskaus. „Russland provoziert, um die Ukraine zu destabilisieren“, sagte der Politische Direktor im ukrainischen Außenministerium, Oleksii Makeiev, unserer Redaktion. Der Kreml wolle vor den ukrainischen Präsidentschaftswahlen im März und den Parlamentswahlen im Herbst Unruhe schüren. Es sei mit weiteren Provokationen Moskaus zu rechnen. Makeiev sprach sich für eine militärische Präsenz der Nato im Schwarzen Meer aus – etwa durch Schiffe der Nato-Mitgliedsstaaten Türkei, Bulgarien oder Rumänien. Zudem sollten die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland verschärft werden. „Präsident Wladimir Putin versteht nur die Sprache des Drucks“, so der Diplomat. Westliche Beobachter sehen einen weiteren Grund für die Aktionen des Kremlchefs. Sie verweisen auf eine Umfrage des unabhängigen Moskauer Lewada-Meinungsforschungszentrums. Demnach sind 33 Prozent der Russen mit Putins Politik nicht mehr zufrieden – der negativste Wert seit der Krim-Annexion im März 2014.
Die Bundesregierung rief zur Zurückhaltung auf. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Die Entwicklungen rund um das Asowsche Meer sind sehr besorgniserregend. Es ist nicht akzeptabel, dass es dort eine Blockade durch Russland gibt.“Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Die Kanzlerin habe ihre Besorgnis über die Lage geäußert, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Nun seien Deeskalation und Dialog nötig.
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