Thüringische Landeszeitung (Gotha)

In der Ukraine droht ein neuer Krieg

Zuspitzung vor der Krim: Nach der Kaperung dreier Schiffe durch Russland verhängt Präsident Poroschenk­o das Kriegsrech­t

- VON MICHAEL BACKFISCH UND STEFAN SCHOLL

Die Reaktion kam sofort. Einen Tag nach dem militärisc­hen Zwischenfa­ll zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer rüffelte die Nato Moskau. „Es gibt keinerlei Rechtferti­gung für den Einsatz von militärisc­her Gewalt gegen ukrainisch­e Schiffe und Marinepers­onal“, sagte Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Montag nach einer Sondersitz­ung der Nato-Ukraine-Kommission in Brüssel. Man rufe Russland auf, die festgesetz­ten ukrainisch­en Seeleute und Schiffe unverzügli­ch freizugebe­n.

„Alle Alliierten haben bei dem Treffen ihre volle Unterstütz­ung für die Souveränit­ät und territoria­le Integrität der Ukraine zum Ausdruck gebracht“, unterstric­h Stoltenber­g. Russland sei aufgerufen, ungehinder­ten Zugang zu ukrainisch­en Häfen zu gewähren. Zudem müsse es für die Ukraine freie Schifffahr­t im Asowschen Meer und in der Meerenge von Kertsch geben. Auch Amerika schloss sich der Kritik an. Die USA warfen Russland eine „skandalöse Verletzung“der ukrainisch­en Souveränit­ät vor. Die wiederholt­en „gesetzlose­n Handlungen“Russlands machten es US-Präsident Donald Trump unmöglich, eine normale Beziehung zu Moskau aufzubauen, sagte die UN-Botschafte­rin der USA, Nikki Haley, am Montag bei einer Dringlichk­eitssitzun­g des UNSicherhe­itsrats. Am Sonntag hatte die russische Küstenwach­e drei ukrainisch­en Militärsch­iffen die Durchfahrt durch die Meerenge von Kertsch vor der von Russland annektiert­en Halbinsel Krim verweigert und ein Schiff gerammt. Nach ukrainisch­en Angaben wurden drei Besatzungs­mitglieder verletzt, insgesamt 23 gefangen genommen. Die ukrainisch­en Schiffe seien wegen Grenzverle­tzung festgehalt­en worden, hieß es beim russischen Inlandsgeh­eimdienst FSB. Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o kündigte an, ab Mittwoch solle für 30 Tage das Kriegsrech­t gelten; das Parlament billigte diesen Schritt am Abend. Zuvor war die ukrainisch­e Armee in Alarmberei­tschaft versetzt worden. „Jetzt ist Krieg mit der Russischen Föderation auf unserem Land und darüber hinaus“, sagte der ukrainisch­e Außenminis­ter Pawlo Klimkin.

Nach russischen Angaben haben die ukrainisch­en Schiffe die Aufforderu­ngen der russischen Grenzschüt­zer ignoriert und gefährlich­e Manöver veranstalt­et. Deshalb habe man das Feuer eröffnet. Zuvor hatte die russische Seite die Durchfahrt unter der Brücke von Kertsch blockiert, die die annektiert­e Krim und das russische Festland verbindet. Laut der ukrainisch­en Marine hatten die drei Schiffe die russischen Behörden von ihrer Absicht informiert, in das Asowsche Meer einzulaufe­n.

„Es handelt sich um eine sehr gefährlich­e Provokatio­n, die besonderer Aufmerksam­keit und Klärung bedarf“, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. „Wir fordern die westlichen Sponsoren Kiews in aller Schärfe auf, die zur Räson zu bringen, die jetzt versuchen, mit kriegerisc­her Hysterie politische Punkte bei den kommenden Wahlen in der Ukraine zu sammeln“, verlangte der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow.

Allerdings sind die russischen Argumente völkerrech­tlich heftig umstritten. Nach Angaben aus Moskau verletzten die drei ukrainisch­en Schiffe, die aus Odessa kamen, schon auf der Fahrt durchs Schwarze Meer ständig die russische Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste der Krim. Jedoch erkennen weder die Ukraine noch die große Mehrheit der UN-Mitgliedss­taaten die Annexion der Halbinsel durch Russland an, also auch nicht seinen Anspruch auf die Hoheit über die dortigen Ufergewäss­er. Außerdem unterzeich­neten beide Länder 2003 einen Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meers. Dort heißt es: „Handels- und Kriegsschi­ffe (…) unter der Flagge Russlands oder der Ukraine (…) besitzen im Asowschen Meer und in der Straße von Kertsch das Recht auf freie Schifffahr­t.“Auch die Moskauer Zeitung „Kommersant“konstatier­t, dass die ukrainisch­en Schiffe demnach Anspruch auf ungehinder­ten Zugang durch die Meerenge ins Asowsche Meer gehabt hätten.

Die ukrainisch­e Regierung übte scharfe Kritik an dem Vorgehen Moskaus. „Russland provoziert, um die Ukraine zu destabilis­ieren“, sagte der Politische Direktor im ukrainisch­en Außenminis­terium, Oleksii Makeiev, unserer Redaktion. Der Kreml wolle vor den ukrainisch­en Präsidents­chaftswahl­en im März und den Parlaments­wahlen im Herbst Unruhe schüren. Es sei mit weiteren Provokatio­nen Moskaus zu rechnen. Makeiev sprach sich für eine militärisc­he Präsenz der Nato im Schwarzen Meer aus – etwa durch Schiffe der Nato-Mitgliedss­taaten Türkei, Bulgarien oder Rumänien. Zudem sollten die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland verschärft werden. „Präsident Wladimir Putin versteht nur die Sprache des Drucks“, so der Diplomat. Westliche Beobachter sehen einen weiteren Grund für die Aktionen des Kremlchefs. Sie verweisen auf eine Umfrage des unabhängig­en Moskauer Lewada-Meinungsfo­rschungsze­ntrums. Demnach sind 33 Prozent der Russen mit Putins Politik nicht mehr zufrieden – der negativste Wert seit der Krim-Annexion im März 2014.

Die Bundesregi­erung rief zur Zurückhalt­ung auf. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sagte: „Die Entwicklun­gen rund um das Asowsche Meer sind sehr besorgnise­rregend. Es ist nicht akzeptabel, dass es dort eine Blockade durch Russland gibt.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) telefonier­te mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Poroschenk­o. Die Kanzlerin habe ihre Besorgnis über die Lage geäußert, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Nun seien Deeskalati­on und Dialog nötig.

Ukraine will Präsenz der Nato im Schwarzen Meer

 ??  ?? Über der Brücke, die die Krim mit Russland verbindet, fliegen russische Kampfjets. Zuvor waren in der Straße von Kertsch drei ukrainisch­e Marineschi­ffe von Russland gekapert worden. Foto: Pavel Rebrov/rtr
Über der Brücke, die die Krim mit Russland verbindet, fliegen russische Kampfjets. Zuvor waren in der Straße von Kertsch drei ukrainisch­e Marineschi­ffe von Russland gekapert worden. Foto: Pavel Rebrov/rtr

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