Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Kulturpolitischer Rundumschlag
CDU-Landtagsfraktion stellt Regierung 238 Fragen zu allen möglichen Themen – Antworten werden wohl ein halbes Jahr brauchen
ERFURT. Michael Flohr hat festgestellt, dass „das kulturpolitische Interesse und Engagement sowohl in den Regierungsfraktionen als auch in allen Landtagsfraktionen stark eingeschränkt ist“. Ursächlich dafür sei unter anderem „die schwache Stellung der Kulturpolitiker in ihren Fraktionen“. So steht es im Buch des jungen Politikwissenschaftlers, das er jüngst unter dem Titel „Kulturpolitik in Thüringen“vorlegte; wir berichteten vor knapp drei Wochen. Dem begegnet die größte Oppositionsfraktion nun aber gleichsam mit einem großen Rundumschlag: Die CDU hat eine Große Anfrage an die Landesregierung ausgearbeitet, die insgesamt 238 „grundlegende Fragen zur qualitativen und quantitativen Weiterentwicklung der Kulturlandschaft in Thüringen“umfasst. Sie zu beantworten, sei für den politischen Diskurs im Thüringer Landtag enorm wichtig, wird das begründet.
Es ist ein Diskurs, den zu führen dem Landtag in dieser Wahlperiode nur noch bedingt gelingen wird. Die Regierung hat jetzt drei Monate Zeit für eine große Antwort; sie kann im Ältestenrat jedoch eine verlängerte Frist von einem halben Jahr beantragen. Dass erst im nächsten Mai etwas vorliegt, erwartet auch die CDU.
So wird das Papier, das zu beschreiben ist, im besten Fall dreierlei liefern: sozusagen ein nachgereichtes kulturpolitisches Konzept für dann bald fünf Jahre Rot-Rot-Grün, verbunden mit einer kritischen Bilanz von Soll und Haben sowie eine Handreichung für die kommende Regierung, welcher Couleur auch immer. In jedem Fall aber wird die Antwort in die Wahlkampfzeit fallen. Gezeichnet hat die Anfrage „Kulturland Thüringen stärken!“der Fraktionschef, Mike Mohring. Geschrieben hat sie aber der kulturpolitische Sprecher, Jörg Kellner, zusammen mit dem Fachreferenten der Fraktion, Reyk Seela, früher einmal selbst ein Landtagsabgeordneter. „Demnächst sind ja Landtagswahlen“, bestätigt Kellner unserer Zeitung ein Ziel dieser parlamentarischen Übung. „Da ist es gut, wenn man mal so eine Art Revision macht.“Es sei an der Zeit, einfach mal nachzufragen, was die Landesregierung so auf dem kulturpolitischen Plan hatte – und was sie umsetzte. Entsprechend beginnt der lange Reigen der Fragen damit, wie sich die Kultur- und Kunstlandschaft in der sechsten Legislaturperiode entwickelt habe – im Vergleich zur vierten und fünften (als die CDU alleine beziehungsweise mit der SPD regierte). Und immer wieder schaut man in den Koalitionsvertrag von Rot-RotGrün. Eine Reihe von Fragen dazu lassen sich fast schon von selbst beantworten. Zum Beispiel die, warum es kein Kulturfördergesetz gibt: Das hat Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) längst beerdigt. Die Etablierung einer kuratierten Landeskunstausstellung, nach der die CDU noch einmal fragt, „ist derzeit nicht unser Thema“, sagte Hoff schon 2016 dieser Zeitung.
Und auch in Sachen Musikschulen ist Kellner durchaus im Bilde: Wie das Land in deren Finanzierung wieder einsteigt, nachdem das Verfassungsgericht dem einst einen Riegel vorschob, soll Thema einer möglichen Neuauflage von Rot-Rot-Grün sein. Die Rede geht von fünf Millionen Euro mehr, ab 2020. Dafür bereitet die Regierung Ramelow bekanntlich schon mal einen Haushalt vor. „Das wird sich wahrscheinlich durchziehen wie ein roter Faden“, vermutet Kellner, die Antworten auf die Große Anfrage betreffend: Verweise auf die Jahre ab 2020. Aber eine mittelfristige Finanzplanung hätte er schon mal gerne vorliegen. Inzwischen erwägt die CDU, nach dem Vorbild anderer Bundesländer ein eigenes Musikschulgesetz vorzulegen, einen Lösungsvorschlag aber „auf jeden Fall“– wenn die Regierung die Antworten geliefert hat. „Man kriegt ja auch immer schwer etwas raus“, meint Kellner, wenn es um konkrete Kulturpolitik der Regierung gehe. So habe er zum Beispiel noch nichts Neues zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Kultur gehört, die laut Koalitionsvertrag beseitigt werden sollten. Also will man jetzt eben einmal „den ganzen Kulturbereich abfragen“. Da kommt dann auch gleich Artikel 30 der Thüringer Verfassung ins Spiel, den die Landesregierung für ihre Arbeit interpretieren soll. Dort heißt es: „Kultur, Kunst, Brauchtum genießen Schutz und Förderung durch das Land und seine Gebietskörperschaften“. Die Traditions- und Brauchtumspflege kommen in der Anfrage mehrfach vor, auch indirekt: „Wie definiert die Landesregierung das kulturelle Erbe einer durch Migration geprägten Gesellschaft? Wie verändert sich dieses Erbe?“
Bilanzieren soll die Regierung im Übrigen auch, was die CDU „Ressorttransfer“nennt: den Wechsel der Kulturabteilung in die Staatskanzlei. Doch dürfte nicht diese allein mit der Anfrage befasst sein. So ist das Wirtschaftsministerium angesprochen, wenn fünf Fragen zur Kultur- und Kreativwirtschaft zu beantworten sind, sowie das Kultusministerium bei kultureller Bildung. „Was hat die Landesregierung unternommen“, heißt es etwa, „um die Pflege des kulturellen Erbes noch stärker in den Schullehrplänen zu verankern?“
Ansonsten geht es, nur zum Beispiel, um: den Investitionsbedarf und die Personalentwicklung bei Theatern, Museen oder Bibliotheken, eine institutionelle Förderung der sozio-, breitenkulturellen und freien Szene, Kooperationen mit Sachsen und Sachsen-Anhalt für „die mitteldeutsche Kulturlandschaft“, die Wahrnehmung Thüringer Kultur sowohl bundesweit als auch international, die Denkmalpflege, die Digitalisierung und den Kulturtourismus. Frage 142 lautet derweil wie folgt: „Aus welchen Gründen wurde das Parlament während der Erstellung des Konzepts Museumsperspektive 2025 nicht einbezogen?“Das mag exemplarisch stehen für den Umstand, dass Kulturpolitik oft genug am Landtag vorbei betrieben wird.
Jörg Kellner macht dafür die Regierung und die sie tragenden Fraktionen verantwortlich. Die CDU sei doch die einzige Fraktion, die überhaupt entsprechende Anfragen und Selbstbefassungsanträge einbringe. „Das spricht Bände“, findet er.
Demzufolge frage er in einer jeden Sitzung des Ausschusses für Europa, Kultur und Medien nach: zum Bauhaus-Jubiläum, den Achava-Festspielen oder zum Lutherjahr zum Beispiel. „Kultur ist in diesem Ausschuss aber immer der letzte Punkt.“Auch der CDU gelang es indes nicht, den kulturpolitischen Diskurs im Landtag mit Anträgen, aktuellen Stunden oder Ähnlichem zu befeuern. So hielt sie sich in der Theaterdebatte 2015/’16 auffallend zurück.
„Kultur ist ein zentraler Grundpfeiler unseres Gemeinwesens und hat einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Werte und Normen“, schreibt sie jetzt in ihrer Großen Anfrage. Mal sehen, ob diese dazu führt, es auch der Legislative bewusst zu machen.
Kein Kulturfördergesetz, kein Musikschulgesetz