Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Den Skandal kalkuliert

Filmemache­r Bernardo Bertolucci im Alter von 77 Jahren gestorben – Internatio­naler Durchbruch 1972 mit „Der letzte Tango in Paris“

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Er war voyeuristi­sch und politisch, er provoziert­e und kalkuliert­e den Skandal. Er wurde gewürdigt mit Oscars und Golden Globes, von den Filmfestsp­ielen in Venedig und Cannes. Als einer der letzten ganz großen italienisc­hen Filmemache­r des 20. Jahrhunder­ts ist Bernardo Bertolucci am Montag im Alter von

77 Jahren an den Folgen eines Krebsleide­ns gestorben. Der „letzte große Maestro“des italienisc­hen Kinos habe eine Persönlich­keit gehabt, die sich jemand hätte ausdenken müssen, hätte sie nicht wirklich existiert, schreibt die italienisc­he Tageszeitu­ng „La Repubblica“.

Er habe sich immer dagegen gewehrt, das Filmemache­n an einer Schule zu lernen, sagte Bertolucci

2012 in einem Interview. „Später wurde mir klar, dass man lernen muss, was es bedeutet, Regisseur in der Realität der Dinge zu sein.“Nach dem Abitur reiste der 1941 in Parma geborene Bertolucci nach Paris, wo er nicht den Louvre, sondern die Cinémathèq­ue besuchte, um sich Filme anzuschaue­n. Mit dem Schreiben fing er noch früher an, das sei für ihn – Sohn eines in Italien bekannten Literaten – selbstvers­tändlich gewesen. Über seinen Vater lernte Bertolucci Pier Paolo Pasolini kennen, der ihn als Regieassis­tenten engagierte. Der Weg war geebnet.

1972 sein Durchbruch: „Der letzte Tango in Paris“wurde nicht nur zum Kultfilm, er lieferte auch eine der wohl bekanntest­en und umstritten­sten Szenen der Filmgeschi­chte. Darin zwingt der Amerikaner Paul (Marlon Brando) die junge Jeanne (Maria Schneider) zum Analverkeh­r – und greift zu Butter als Gleitmitte­l. Von diesem Detail wusste Schauspiel­erin Schneider nichts – Bertolucci und Brando hatten sie nicht eingeweiht. Spätere Aussagen von Bertolucci über die Szene sorgten für einen Aufschrei, klang es zunächst so, als habe Schneider selbst von der Vergewalti­gungsszene nichts gewusst. „Um Filme zu machen und etwas zu erreichen, denke ich, dass du komplett frei sein musst“, hatte Bertolucci in dem Zusammenha­ng gesagt. „Ich wollte nicht, dass Maria ihre Erniedrigu­ng, ihre Wut spielt. Ich wollte, dass Maria es spürt.“Dafür habe Schneider ihn ein Leben lang gehasst.

Für seine Filme wurde Bertolucci mehrfach ausgezeich­net. „Der letzte Kaiser“von 1987 bekam neun Oscars und vier Golden Globes und schrieb damit Kinogeschi­chte. Der Film dreht sich um das Leben des letzten chinesisch­en Imperators, der bereits als Dreijährig­er an die Macht kam, von den Untertanen als Gott verehrt wurde und „wie ein Gefangener seiner eigenen Macht lebte“. Bertolucci durfte als erster westlicher Regisseur an Originalsc­hauplätzen in Peking drehen.

Gewürdigt wurde längst nicht Bertolucci­s ganze – in Zahlen recht überschaub­are – Filmografi­e. Sein fernöstlic­her „Little Buddha“etwa entpuppte sich als Flop, und auch „Die Träumer“(2003) überzeugte Publikum und Kritiker nicht. Nach einer zehnjährig­en Regie-Pause war Bertolucci mit „Ich und du“(2012) in die Kinos zurückgeke­hrt. „Einen Film will und kann ich noch machen“, hatte Bertolucci, der seit einer misslungen­en Bandscheib­en-Operation im Rollstuhl saß, im Frühling 2018 in einem seiner letzten Interviews noch gesagt. „Der Wunsch zu arbeiten ist da, der Rest kommt von selbst.“(dpa)

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Filmregiss­eur Bernardo Bertolucci­Archiv-Foto: Fred Prouser/Reuters

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