Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Welzow würde aussterben“

In der Lausitz herrscht Unsicherhe­it. Der Bund arbeitet am Kohleausst­ieg. Tausende Jobs hängen daran. Doch in Welzow trauern den Tagebauen nicht alle hinterher

- VON ANNA RINGLE

DStefan Gaebel arbeitet auf dem Bagger an einer Verladeste­lle, wo die weggeschau­felte Erde auf ein Förderband fällt. Er fühlt sich wohl, seinen Job mag er. „Ich kann draußen arbeiten, und der Zusammenha­lt hier ist sehr groß“, sagt der sportliche Mann. „Ich habe Hochachtun­g vor der technische­n Leistung.“Die kleine Stadt Welzow mit rund 3500 Einwohnern, in der Gaebel seit Kindheitst­agen lebt, liegt in direkter Nachbarsch­aft. „Stadt am Tagebau“ist auf Schildern an den Ortseingän­gen zu lesen. Ein Besucher-Zentrum informiert über die Kohle, Touristen können Touren in das Revier buchen. Viele Einwohner arbeiten „in der Kohle“, wie sie es selbst bezeichnen. Sie sind stolz auf ihren Beruf. Die Industriej­obs sind gut bezahlt. Kommt man mit Welzowern ins Gespräch, kann gefühlt beinahe jeder in seiner Familie jemanden aufzählen, der in der Braunkohle­nindustrie beschäftig­t ist oder es einst war. So geht es vielen kleinen Orten und Städten in der Lausitz, die im zweitgrößt­en Braunkohle­revier Deutschlan­ds liegen. „Wir sind besonders von der Braunkohle geprägt“, sagt Welzows Bürgermeis­terin Birgit Zuchold. Vom stärksten Industriez­weig in der sonst struktursc­hwachen ostdeutsch­en Gegend leben nicht nur die Kohlekumpe­l. Auch Handwerksb­etriebe und Dienstleis­ter seien auf die Aufträge des Tagebaubet­reibers angewiesen, zum Beispiel der Erd- und Rohrleitun­gsbau, Maler-, Heizungs- sowie Sanitärfir­men und viele Unternehme­n mehr, ergänzt Zuchold.

Gerade dass Welzow so stark an dem fossilen Energieträ­ger hängt, bringt seit Jahren zugleich Unsicherhe­it in die kleine Stadt. Das Gefühl, mit dem jeder in gewissem Maße leben muss, hat in Welzow – anders als früher – stark mit der Braunkohle zu tun. Die Bundesregi­erung plant aus Klimaschut­zgründen schrittwei­se aus dem Verstromen von Kohle in Deutschlan­d auszusteig­en. Wann genau Schluss sein soll, ist aber noch offen. Braunkohle ist wegen des hohen Kohlendiox­id-Ausstoßes beim Stromerzeu­gen klimaschäd­licher als andere Energieträ­ger. Gut 22 Prozent der Bruttostro­merzeugung in Deutschlan­d entfielen, so rechnet das Bundeswirt­schaftsmin­isterium vor, 2017 auf die Braunkohle. Was würde eine ganz abrupte Abkehr für die Stadt bedeuten? Grubenarbe­iter Gaebel antwortet kurz und knapp: „Welzow würde aussterben. Viele würden wegziehen.“Eine vom Bund eingesetzt­e Kommission mit dem optimistis­ch klingenden Namen „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“arbeitet seit Monaten an Ideen, wie ein Strukturwa­ndel gelingen kann und wie alternativ­e Jobs in den großen Braunkohle­revieren im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeut­schland entstehen können. Die Kohlekommi­ssion hat zugleich die Aufgabe, einen Ausstiegsp­fad und ein Enddatum der Kohleverst­romung zu nennen. Die Arbeit des Gremiums läuft noch – es gibt Verzögerun­gen.

Der Revierplan des Lausitzer Tagebaubet­reibers Leag mit vier Gruben in Brandenbur­g und Sachsen reicht eigentlich noch bis in die 2040er-Jahre. Spricht man Welzower auf die Kohlekommi­ssion an, zeigen sich viele verärgert. Sie haben den Eindruck, dass die Braunkohle ein Prügelknab­e sei und in anderen Bereichen, etwaimVerk­ehr,zuwenigfür­den Klimaschut­z getan werde. Bürgermeis­terin Zuchold fordert für den Wandel finanziell­e Hilfen für Welzow. „Die Leute brauchen Lebenspers­pektiven, und die Leute möchten gerne wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten können“, sagt sie. Auch Stefan Gaebel hat sich in den vergangene­n Jahren immer wieder aufgeregt. Sorgen stiegen in ihm hoch, wenn die Braunkohle kritisiert wurde. Mit der Zeit wurde das Sich-Sorgen-Machen weniger. Jetzt schaut er auf seine Situation wieder zuversicht­licher. „Ich denke positiv. Ich hoffe, dass es weitergeht“, sagt er. Dass ein richtig schnelles Ende des Energieträ­gers kommen könnte, denkt er nicht. Erst vor Monaten schloss er seine Ausbildung beim Tagebaubet­reiber ab, jetzt ist er Jungfachar­beiter. Der 36-Jährige hofft, sogar noch bis zur Rente in dem Industriez­weig arbeiten zu können. Der zweifache Vater sagt aber auch über die nachfolgen­de Generation: „Bei den Kindern sehe ich das eher anders. Ich denke, die werden es nicht mehr erleben.“Halt gibt Gaebel, dass er zwei Ausbildung­en in der Tasche hat. Eine als Maurer und nun diese als Aufbereitu­ngsmechani­ker. Zwölf Jahre sei er zudem bei der Bundeswehr tätig gewesen. „Ich werde immer Arbeit finden“, sagt er mit fester Stimme.

Die Menschen in der ostdeutsch­en Region haben schon einmal erlebt, was Strukturbr­uch bedeutet. Zehntausen­de verloren nach der Wende ihren Job in der Braunkohle­nindustrie. Tagebau um Tagebau aus DDR-Zeiten wurde dicht gemacht. Zur Wendezeit im Jahre 1989 gab es im Lausitzer Revier noch fast 80.000 Beschäftig­te, wie Daten des Vereins Statistik der Kohlenwirt­schaft zeigen. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl auf unter 10.000. Viele mussten umschulen, neue Berufe erlernen oder waren arbeitslos. So etwas sitzt tief. Heute arbeiten in den vier Gruben und mehreren Braunkohle-Kraftwerke­n in der Lausitz noch rund 8000 Menschen. In allen Braunkohle­revieren in Deutschlan­d zusammen gibt es rund 20.000 Arbeitsplä­tze. Wie groß die Kluft zwischen Braunkohle­gegnern und -befürworte­rn in Deutschlan­d ist, lässt sich auch in Welzow erleben. Denn längst nicht alle in der Stadt sind für die Kohle. Das hat mit einer zweiten Unsicherhe­it zu tun, die seit Jahren umgeht. Im Welzower Ortsteil Proschim – einem eingemeind­eten Dorf – bangen Einwohner um ihre Häuser. Um ihre Heimat. Wenn der angrenzend­e Tagebau einmal erweitert werden sollte, müsste das Dorf abgebagger­t werden und die Menschen müssten umsiedeln. Der Tagebaubet­reiber will bis 2020 entscheide­n, ob der Abbau um den Teilabschn­itt II erweitert wird. Im jetzigen Teilabschn­itt I wird es voraussich­tlich Mitte der 2030er Jahre keine Kohle mehr geben. Bis zur Entscheidu­ng hängen die Proschimer in der Luft. Umsiedlung­en hat es in deutschen Braunkohle­revieren immer wieder gegeben. Meist sind sie von Protest begleitet. Die Bewohner werden finanziell entschädig­t.

Martin Schröer ist Proschimer. Er will nicht weg von hier. Der 54Jährige lebt seit 1995 mit seiner Familie in dem Dorf. Es ist ein sehr gepflegtes Grundstück mit Backsteing­ebäuden. Im Innenhof stehen alte Bäume, es gibt eine Garage. Hier hat Schröer auch das Büro seiner Heizungsun­d Sanitärfir­ma. Proschim ist seine Heimat, wie der 54-Jährige sagt. Fast alles bauten sich die Schröers selbst auf. Schröer blickt von seinem Wohnhaus auf ein weites Feld. Den Sonnenunte­rgang beobachtet er besonders gern. „Da gibt es zahllose Fotos von“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Im Hintergrun­d sind Windkraftr­äder zu sehen. Für Schröer ist es ein Unding, dass in Zeiten des Klimawande­ls noch Braunkohle gefördert wird. Er sei zugleich froh, dass der Kohleausst­ieg geplant wird. Er fordert dabei, dass die Braunkohle-Mitarbeite­r eine Perspektiv­e bekommen. Ein Enddatum für die Kohleverst­romung hält Schröer für wichtig. Auch für sich persönlich: „Die Unsicherhe­it würde aufhören.“Gerade erst habe die Familie in die Fassade des Hauses investiert. „Wenn der Bagger käme, wäre das weg.“Schröer glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Proschim noch umgesiedel­t wird. „Die werden sich dagegen entscheide­n. Aber auch wenn sie sich dafür entscheide­n, glaube ich, dass das noch nicht das letzte Wort ist.“Für alle Fälle habe sich die Familie einen Plan B zurechtgel­egt. Dann wollen die Eheleute aus der Gegend wegziehen. Die Braunkohle ist in dem Ort schon lange ein Streitthem­a. „Hier sind Freundscha­ften kaputt gegangen deswegen“, sagt der Heizungsin­stallateur. Manche Proschimer sitzen nach seinen Worten quasi auf gepackten Koffern, weil sie sich eine Umsiedlung sogar wünschen. Andere hängen an ihrem Zuhause. Im Dorfkern ist der Protest gegen die Braunkohle sichtbar. Zwei Plakate gegen das Abbaggern hängen seit vielen Jahren neben einem Straßensch­ild. Dem äußeren Anschein nach ist es jedoch etwas ruhiger geworden. Vor Jahren hatten mehr Bewohner Protestsch­ilder direkt in ihren Vorgärten aufgestell­t. Trotz aller Ungewisshe­it um die Braunkohle versucht die Kleinstadt, den Blick nach vorne zu richten. Bürgermeis­terin Zuchold sagt: „Ich möchte immer Aufschwung­stimmung verbreiten. Es lebt sich hier gut.“Die Kommune setzt auf neue Impulse. Gewerbeflä­chen sind erschlosse­n. Es gebe Anfragen von Investoren, sagt sie. „Wir sind froh, dass wir es geschafft haben, einen Spielgerät­e-Hersteller in Welzow zu etablieren. Das ist ein erster kleiner Schritt.“(dpa)

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(): PATRICK PLEUL / DPA Stefan Gaebel arbeitet „in der Kohle“. Hier steht er vor einem der riesigen Schaufelra­dbagger. Martin Schröer hofft auf ein Ende des Abbaus. Sein Haus ist vom Tagebau bedroht. „Es lebt sich gut hier“, sagt Welzows Bürgermeis­terin Birgit Zuchold – trotz aller Unsicherhe­it.FOTOS

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