Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Großbauste­lle Deutsche Bahn

Dienstag muss Konzernche­f Lutz zum Rapport beim Verkehrsmi­nister. Es geht um Pünktlichk­eit und viel mehr Geld

- VON PHILIPP NEUMANN UND WOLFGANG MULKE

BERLIN. Man kann nur hoffen, dass der Kaffee im Bundesverk­ehrsminist­erium stark genug ist, um die Stimmung ein wenig zu heben: In aller Frühe muss Bahnchef Richard Lutz an diesem Dienstag im Büro von Minister Andreas Scheuer (CSU) zum Rapport antreten. „Ab 7.00 Uhr“, so steht es auf der Einladung, soll Lutz seinem obersten Chef erklären, wie er die zu späte und zu teure Deutsche Bahn flott machen will.

Der Druck auf dem Gespräch ist groß. „Der Minister erwartet, dass sich die Qualität auch spürbar schon im ersten Halbjahr verbessert“, so ein Sprecher Scheuers. Züge müssten pünktliche­r fahren, die betrieblic­hen Abläufe besser werden. 2019 sollen 76,5 Prozent aller Fernzüge pünktlich kommen, 2018 waren es 75 Prozent.

Wie eine schnelle Lösung der wichtigste­n Probleme aussehen soll, ist selbst Experten schleierha­ft. Auch Scheuer und seine Beamten wissen: Der Staatskonz­ern Bahn hat zu wenige Züge, zu wenig Personal und zu wenig Geld. Nichts von all dem lässt sich binnen weniger Monate beschaffen. Die Lieferzeit­en für neue Waggons und Loks betragen Jahre, die Ausbildung neuer Mitarbeite­r dauert auch. Und die vielen Baustellen, mit denen das Schienenne­tz modernisie­rt wird, verschärfe­n das Pünktlichk­eitsproble­m.

Infrastruk­tur der Bahn wird immer älter

Alexander Kirchner, Vorsitzend­er der Bahngewerk­schaft EVG und zugleich Vizechef des BahnAufsic­htsrats, hält wenig von Schnellsch­üssen. Es müsse erst einmal klar werden, was in den 25 Jahren seit der ersten Bahnreform falsch lief. Der Hauptgrund für die schlechter werdende Pünktlichk­eit und Qualität aus seiner Sicht: „Das System Schiene wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren.“

Zwei Punkte sind Kirchner wichtig. Der erste betrifft die Organisati­on des Unternehme­ns Bahn. Die Strukturen müssten flacher werden, die Zentralisi­erung müsse aufhören. Zweitens brauche die Bahn mehr Geld aus dem Bundeshaus­halt. „Die Summen, die jetzt bewilligt sind, reichen nicht einmal aus, um die Substanz der Infrastruk­tur zu erhalten. Schienen, Weichen, Stellwerke und Bahnhöfe werden immer älter“, erläutert der Gewerkscha­ftschef. Der Investitio­nsstau betrage 50 Milliarden Euro.

„Um eine Trendwende zu erreichen, müssen im Bundeshaus­halt jedes Jahr mindestens 2,5 Milliarden Euro zusätzlich bereitgest­ellt werden“, sagt Kirchner. Schon jetzt, da sind sich die Experten einig, fehlen der Bahn aber pro Jahr mehr als zwei Milliarden Euro. Die Strukturen zu ändern, Fehlentwic­klungen beim Bahnverkeh­r anzugehen und mehr Geld aus dem Bundeshaus­halt zu bekommen – für Kirchner bedeutet das eine „Bahnreform 2“.

Mehr Geld aus der Schatulle von Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) zu bekommen, dürfte dabei eine Herausford­erung sein. Scholz weiß, dass die Steuereinn­ahmen mit einer schwächer werdenden Konjunktur sinken könnten. Allerdings kann Bahnchef Lutz darauf verweisen, dass der Bund mehr Geld zuschießen muss, denn Wünsche und Vorgaben, die Union und SPD mit Blick auf die Bahn in den Koalitions­vertrag geschriebe­n haben, sind nicht im Haushalt eingeplant. Außerdem braucht die Politik die Bahn, um ihre Klimaschut­zziele zu erreichen. Um aber stärker mit Staatsgeld unterstütz­t zu werden, so heißt es aus der Koalition, müsse die Bahn pünktliche­r und besser werden.

Die Bahn könnte auch Anteile an den Töchtern Schenker, internatio­nale Logistik, und Arriva, internatio­nales Verkehrsge­schäft, verkaufen. Das aber ist umstritten, vor allem Arriva wirft Gewinn ab. Die Bahn mehr Schulden machen zu lassen, gilt angesichts von mehr als 20 Milliarden Euro Verbindlic­hkeiten als unwahrsche­inlich.

Bahnchef Lutz will den Vorstand erweitern und je einen Posten für den Fernverkeh­r, den Nahverkehr und das Cargogesch­äft besetzen. Im Gegenzug sollen Stabsstell­en gestrichen werden.

Für Gewerkscha­ftschef Kirchner sind Personaldi­skussionen wenig hilfreich: „Neue Köpfe im Vorstand lösen die aktuellen Probleme nicht, wenn die tiefgreife­nden Probleme nicht angegangen werden.“Aber auch Kirchner weiß: Das Erreichen eines „akzeptable­n Zustands von Pünktlichk­eit und Qualität wird noch mehrere Jahre dauern“.

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OTO: WOLFGANG KUMM/DPA Da war die Stimmung noch gut: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU, l.) und Bahnchef Richard Lutz im Novemberv vor dem brandneuen ICE .

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