Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Großbaustelle Deutsche Bahn
Dienstag muss Konzernchef Lutz zum Rapport beim Verkehrsminister. Es geht um Pünktlichkeit und viel mehr Geld
BERLIN. Man kann nur hoffen, dass der Kaffee im Bundesverkehrsministerium stark genug ist, um die Stimmung ein wenig zu heben: In aller Frühe muss Bahnchef Richard Lutz an diesem Dienstag im Büro von Minister Andreas Scheuer (CSU) zum Rapport antreten. „Ab 7.00 Uhr“, so steht es auf der Einladung, soll Lutz seinem obersten Chef erklären, wie er die zu späte und zu teure Deutsche Bahn flott machen will.
Der Druck auf dem Gespräch ist groß. „Der Minister erwartet, dass sich die Qualität auch spürbar schon im ersten Halbjahr verbessert“, so ein Sprecher Scheuers. Züge müssten pünktlicher fahren, die betrieblichen Abläufe besser werden. 2019 sollen 76,5 Prozent aller Fernzüge pünktlich kommen, 2018 waren es 75 Prozent.
Wie eine schnelle Lösung der wichtigsten Probleme aussehen soll, ist selbst Experten schleierhaft. Auch Scheuer und seine Beamten wissen: Der Staatskonzern Bahn hat zu wenige Züge, zu wenig Personal und zu wenig Geld. Nichts von all dem lässt sich binnen weniger Monate beschaffen. Die Lieferzeiten für neue Waggons und Loks betragen Jahre, die Ausbildung neuer Mitarbeiter dauert auch. Und die vielen Baustellen, mit denen das Schienennetz modernisiert wird, verschärfen das Pünktlichkeitsproblem.
Infrastruktur der Bahn wird immer älter
Alexander Kirchner, Vorsitzender der Bahngewerkschaft EVG und zugleich Vizechef des BahnAufsichtsrats, hält wenig von Schnellschüssen. Es müsse erst einmal klar werden, was in den 25 Jahren seit der ersten Bahnreform falsch lief. Der Hauptgrund für die schlechter werdende Pünktlichkeit und Qualität aus seiner Sicht: „Das System Schiene wird seit Jahren auf Verschleiß gefahren.“
Zwei Punkte sind Kirchner wichtig. Der erste betrifft die Organisation des Unternehmens Bahn. Die Strukturen müssten flacher werden, die Zentralisierung müsse aufhören. Zweitens brauche die Bahn mehr Geld aus dem Bundeshaushalt. „Die Summen, die jetzt bewilligt sind, reichen nicht einmal aus, um die Substanz der Infrastruktur zu erhalten. Schienen, Weichen, Stellwerke und Bahnhöfe werden immer älter“, erläutert der Gewerkschaftschef. Der Investitionsstau betrage 50 Milliarden Euro.
„Um eine Trendwende zu erreichen, müssen im Bundeshaushalt jedes Jahr mindestens 2,5 Milliarden Euro zusätzlich bereitgestellt werden“, sagt Kirchner. Schon jetzt, da sind sich die Experten einig, fehlen der Bahn aber pro Jahr mehr als zwei Milliarden Euro. Die Strukturen zu ändern, Fehlentwicklungen beim Bahnverkehr anzugehen und mehr Geld aus dem Bundeshaushalt zu bekommen – für Kirchner bedeutet das eine „Bahnreform 2“.
Mehr Geld aus der Schatulle von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu bekommen, dürfte dabei eine Herausforderung sein. Scholz weiß, dass die Steuereinnahmen mit einer schwächer werdenden Konjunktur sinken könnten. Allerdings kann Bahnchef Lutz darauf verweisen, dass der Bund mehr Geld zuschießen muss, denn Wünsche und Vorgaben, die Union und SPD mit Blick auf die Bahn in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, sind nicht im Haushalt eingeplant. Außerdem braucht die Politik die Bahn, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen. Um aber stärker mit Staatsgeld unterstützt zu werden, so heißt es aus der Koalition, müsse die Bahn pünktlicher und besser werden.
Die Bahn könnte auch Anteile an den Töchtern Schenker, internationale Logistik, und Arriva, internationales Verkehrsgeschäft, verkaufen. Das aber ist umstritten, vor allem Arriva wirft Gewinn ab. Die Bahn mehr Schulden machen zu lassen, gilt angesichts von mehr als 20 Milliarden Euro Verbindlichkeiten als unwahrscheinlich.
Bahnchef Lutz will den Vorstand erweitern und je einen Posten für den Fernverkehr, den Nahverkehr und das Cargogeschäft besetzen. Im Gegenzug sollen Stabsstellen gestrichen werden.
Für Gewerkschaftschef Kirchner sind Personaldiskussionen wenig hilfreich: „Neue Köpfe im Vorstand lösen die aktuellen Probleme nicht, wenn die tiefgreifenden Probleme nicht angegangen werden.“Aber auch Kirchner weiß: Das Erreichen eines „akzeptablen Zustands von Pünktlichkeit und Qualität wird noch mehrere Jahre dauern“.