Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ein bisschen Koalitions­krach

Die Umweltmini­sterin trägt die Tierwohlst­rategie der Sozialmini­sterin mit – und distanzier­t sich gleichzeit­ig davon

- VON MARTIN DEBES

Erfurt. Das thüringisc­he Kabinett begab sich am Dienstag mal wieder auf Klassenfah­rt. Nachdem die Minister vorige Woche im Altenburge­r Schloss mit der sächsische­n Staatsregi­erung geplauscht hatten, tagten sie gestern in Sömmerda. Dort findet bekanntlic­h am Wochenende der Thüringent­ag statt, wofür die Regierung Reklame machte. Ein bisschen Eigenwerbu­ng ist natürlich bei derlei Ereignisse­n immer dabei, zumal jetzt, im Vorwahlkam­pf. Und so gab es schon mal sonnige Sömmerdabi­lder vom rot-rot-grünen Kabinett. Besonders harmonisch präsentier­ten sich Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) und Sozialmini­sterin Heike Werner (Linke). Die beiden teilten kameragere­cht Brot und Salz und lachten ausgelasse­n. Dabei haben die beiden, zumindest auf der fachlichen Ebene, gerade einen kleinen Koalitions­krach miteinande­r. Zwar stimmte Siegesmund im Kabinett der neuen Tierwohlst­rategie zu, die Werner zusammen mit Agrarminis­terin Birgit Keller (Linke) verantwort­et. Allerdings gab sie parallel dazu eine schriftlic­he Erklärung zu Protokoll, die sich teilweise wie eine Anklage liest. Das Papier liegt dieser Zeitung vor.

Zentraler Kritikpunk­t: Die Strategie, mit der die Massentier­haltung in Thüringen reformiert werden soll, komme zu spät. Schließlic­h stehe im Koalitions­vertrag, dass die Strategie in dieser Wahlperiod­e nicht nur erarbeitet, sondern auch umgesetzt werden solle. Doch dafür bleibe nun keine Zeit mehr. Zweitens: Es fehle an Geld. So seien bisher nur 50.000 Euro für die Tierwohlst­rategie im Etat für 2020 eingeplant, und zwar für Schulung oder Beratung.

Tatsächlic­h beziffert das 86seitige Strategiep­apier, das am heutigen Mittwoch von Werner und Keller vorgestell­t wird, sehr genau die Kosten für den gewünschte­n Um- und Ausbau der Ställe und die vielen Einzelmaßn­ahmen, mit denen der Tierschutz verbessert werden soll. Auf gut 236 Millionen Euro summiert sich alles. Doch bei der Frage, wie das alles bezahlt werden soll, gibt die Strategie keine konkrete Antwort. Es wird auf die bestehende­n Förderprog­ramme der EU verwiesen. Alles andere steht unter dem Haushaltsv­orbehalt: Das heißt, es muss erst noch per Parlaments­beschluss in den Etat. Doch dort stehen nur die 50.000 Euro. Per Änderungsa­ntrag wurden bei den Haushaltsb­eratungen auf Drängen der Grünen noch 1,2 Millionen Euro für 2020 genehmigt, um die Weidehaltu­ng von Kühen und die Strohlager­ung von Schweinen zu fördern. Die restliche Finanzieru­ng besitzt eher Empfehlung­scharakter. Nachdem sich Staatskanz­leichef Benjamin Hoff (Linke) intern mächtig über die Protokolle­rklärung erregt hatte, gab sich Regierungs­sprecher Günter Kolodziej offiziell entspannt. Entscheide­nd sei, dass die Strategie einstimmig beschlosse­n sei, sagte er auf Anfrage. Dass einzelne Minister ihre spezielle Ressortsic­ht per Erklärung fixierten, sei üblich und bewährte Praxis.

Dazu passt, dass auch Ministerin Werner noch eilig ein Papier aufsetzte, in der sie ihre Strategie verteidigt­e. Nach dem Disput setzte das Kabinett die Klassenfah­rt fort und reiste nach Berlin weiter, zum jährlichen Straßenfes­t vor der Landesvert­retung, mit Bier und Bratwurst – aber ohne Bundeskanz­lerin. Seit der Linke Bodo Ramelow Thüringen regiert, findet die Christdemo­kratin Angela Merkel leider partout nicht mehr die Zeit, um mal schnell auf ein kleines Köstritzer vorbeizuko­mmen.

Vorwurf: Es fehlt Geld

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FOTO: FABIAN KLAUS Brot und Salz: Heike Werner (links) und Anja Siegesmund gestern in Sömmerda.

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