Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein bisschen Koalitionskrach
Die Umweltministerin trägt die Tierwohlstrategie der Sozialministerin mit – und distanziert sich gleichzeitig davon
Erfurt. Das thüringische Kabinett begab sich am Dienstag mal wieder auf Klassenfahrt. Nachdem die Minister vorige Woche im Altenburger Schloss mit der sächsischen Staatsregierung geplauscht hatten, tagten sie gestern in Sömmerda. Dort findet bekanntlich am Wochenende der Thüringentag statt, wofür die Regierung Reklame machte. Ein bisschen Eigenwerbung ist natürlich bei derlei Ereignissen immer dabei, zumal jetzt, im Vorwahlkampf. Und so gab es schon mal sonnige Sömmerdabilder vom rot-rot-grünen Kabinett. Besonders harmonisch präsentierten sich Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) und Sozialministerin Heike Werner (Linke). Die beiden teilten kameragerecht Brot und Salz und lachten ausgelassen. Dabei haben die beiden, zumindest auf der fachlichen Ebene, gerade einen kleinen Koalitionskrach miteinander. Zwar stimmte Siegesmund im Kabinett der neuen Tierwohlstrategie zu, die Werner zusammen mit Agrarministerin Birgit Keller (Linke) verantwortet. Allerdings gab sie parallel dazu eine schriftliche Erklärung zu Protokoll, die sich teilweise wie eine Anklage liest. Das Papier liegt dieser Zeitung vor.
Zentraler Kritikpunkt: Die Strategie, mit der die Massentierhaltung in Thüringen reformiert werden soll, komme zu spät. Schließlich stehe im Koalitionsvertrag, dass die Strategie in dieser Wahlperiode nicht nur erarbeitet, sondern auch umgesetzt werden solle. Doch dafür bleibe nun keine Zeit mehr. Zweitens: Es fehle an Geld. So seien bisher nur 50.000 Euro für die Tierwohlstrategie im Etat für 2020 eingeplant, und zwar für Schulung oder Beratung.
Tatsächlich beziffert das 86seitige Strategiepapier, das am heutigen Mittwoch von Werner und Keller vorgestellt wird, sehr genau die Kosten für den gewünschten Um- und Ausbau der Ställe und die vielen Einzelmaßnahmen, mit denen der Tierschutz verbessert werden soll. Auf gut 236 Millionen Euro summiert sich alles. Doch bei der Frage, wie das alles bezahlt werden soll, gibt die Strategie keine konkrete Antwort. Es wird auf die bestehenden Förderprogramme der EU verwiesen. Alles andere steht unter dem Haushaltsvorbehalt: Das heißt, es muss erst noch per Parlamentsbeschluss in den Etat. Doch dort stehen nur die 50.000 Euro. Per Änderungsantrag wurden bei den Haushaltsberatungen auf Drängen der Grünen noch 1,2 Millionen Euro für 2020 genehmigt, um die Weidehaltung von Kühen und die Strohlagerung von Schweinen zu fördern. Die restliche Finanzierung besitzt eher Empfehlungscharakter. Nachdem sich Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) intern mächtig über die Protokollerklärung erregt hatte, gab sich Regierungssprecher Günter Kolodziej offiziell entspannt. Entscheidend sei, dass die Strategie einstimmig beschlossen sei, sagte er auf Anfrage. Dass einzelne Minister ihre spezielle Ressortsicht per Erklärung fixierten, sei üblich und bewährte Praxis.
Dazu passt, dass auch Ministerin Werner noch eilig ein Papier aufsetzte, in der sie ihre Strategie verteidigte. Nach dem Disput setzte das Kabinett die Klassenfahrt fort und reiste nach Berlin weiter, zum jährlichen Straßenfest vor der Landesvertretung, mit Bier und Bratwurst – aber ohne Bundeskanzlerin. Seit der Linke Bodo Ramelow Thüringen regiert, findet die Christdemokratin Angela Merkel leider partout nicht mehr die Zeit, um mal schnell auf ein kleines Köstritzer vorbeizukommen.
Vorwurf: Es fehlt Geld