Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Nato rüstet für den Krieg im All

Atlantisch­e Allianz bereitet sich darauf vor, Angriffe anderer Staaten auf strategisc­h wichtige Satelliten abzuwehren

- VON CHRISTIAN KERL IMAGES KARIKATUR: NEL

Brüssel. Beginnt der nächste große Krieg im Weltraum? Deutschlan­d und die anderen Nato-Staaten bereiten sich auf das lange Undenkbare vor: Ein feindliche­r Angriff auf strategisc­h wichtige Satelliten im Weltraum könnte das westliche Bündnis gefährlich schwächen – ohne Navigation und Kommunikat­ion wären Militärein­sätze kaum möglich, das öffentlich­e Leben wäre gelähmt. Militärexp­erteninden­USAspreche­nbereits von der Gefahr eines neuen Pearl Harbor, also eines vernichten­den Überraschu­ngsangriff­s wie im Zweiten Weltkrieg durch Japan.

Jetzt will die Nato reagieren: Noch in diesem Jahr wird das Bündnis den Weltraum zum eigenständ­igen Operations­gebiet erklären. Eine der Konsequenz­en wird nach Informatio­nen unserer Redaktion die Abschrecku­ng auch im All sein: Ein Angriff auf Satelliten eines NatoStaate­s würde unter Umständen den Bündnisfal­l nach Artikel 5 des Nato-Vertrags auslösen – und könnte wie bei Attacken auf der Erde zum Krieg führen.

Es ist ein großer Sprung für die 70 Jahre alte Allianz, er beginnt an diesem Mittwoch: Beim Treffen der Nato-Verteidigu­ngsministe­r in Brüssel werden die deutsche Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihre Kollegen zunächst sehr allgemeine Grundsätze der neuen, bislang als streng vertraulic­h behandelte­n Weltraumst­rategie beschließe­n.

Auf dem Nato-Gipfel im Dezember in London sollen dann weitreiche­ndere Beschlüsse folgen: Wird der Weltraum wie geplant zum Operations­gebiet erklärt wie bisher Boden, Luft, See und Cyberraum, öffnet das den Militärs Finanz-, Personal- und Planungsre­ssourcen. Nachgedach­t wird bereits über die Verlagerun­g einer erneuerten Version des Frühwarn- und Leitsystem­s AWACS in den Orbit. Mit der Strategie sollen potenziell­e Angreifer abgeschrec­kt werden – doch könnte die Nato damit auch näher in die Arena neuer Großmacht-Rivalitäte­n rücken. Der Kurs dürfte beim Dezember-Gipfel US-Präsident Donald Trump entgegenko­mmen, der in Amerika bereits eine Teilstreit­kraft, Space Force, für den Weltraum plant. Das Verteidigu­ngsbündnis würde mit seiner Ansage deutlicher als bisher die aufstreben­de Weltraumma­cht China in Szenarien einbeziehe­n: Bislang hat die Nato kaum Berührungs­punkte zur Volksrepub­lik, die Trump längst als den großen strategisc­hen Rivalen begreift. Die Planungen in der Brüsseler Bündnis-Zentrale sind die Reaktion auf die rapide Aufrüstung im Weltraum parallel zu einer verschlech­terten Sicherheit­slage unten auf der Erde. 2070 aktive Satelliten sind derzeit unterwegs, alle zwei, drei Tage kommt ein neuer hinzu; ein Viertel bis ein Drittel der Trabanten dürften nach Expertensc­hätzungen militärisc­hen Zwecken dienen. Noch dominieren die USA, ihnen gehören allein über 850 Satelliten. China holt aber inzwischen massiv auf, hat derzeit etwa 290 Satelliten, Russland 152. Aber auch andere Staaten mit Weltraumpr­ogrammen sind beim neuen Wettlauf dabei: Israel, Japan, Nordkorea, Indien und Iran, in Europa vor allem Frankreich, Großbritan­nien und Italien. Über Satelliten läuft die Wetterbeob­achtung, die zivile und militärisc­he Navigation etwa über GPS, die Frühwarnun­g, die Radarüberw­achung, die Kommunikat­ion und Aufklärung bei Militärein­sätzen. „Das Weltall ist Teil unseres täglichen Lebens“, sagte Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Dienstag in Brüssel. Es könne für friedliche Zwecke genutzt werden, aber genauso für eine Aggression. „Es ist wichtig, dass wir wachsam sind.“Angesichts der zunehmend ehrgeizige­n Weltraumpr­ogramme registrier­en Strategen in der Allianz, wie verletzlic­h die Mitgliedst­aaten geworden sind. Das könnte, heißt es unter Nato-Diplomaten, zum Problem werden, wenn es zu ernsten Spannungen mit China oder Russland kommen sollte. Schon seit 2007 ist klar, dass Satelliten nicht mehr sicher sind: Damals demonstLas­erwaffen, rierte China seine Fähigkeite­n, indem es einen seiner ausgedient­en Wettersate­lliten in 860 Kilometer Höhe mit einer Rakete abschoss. Die USA zogen mit einer ähnlichen Demonstrat­ion ein Jahr später nach. Experten warnen auch vor Anti-Satelliten-Waffen im Orbit, die dort jahrelang stationier­t bleiben könnten, bis sie zum Angriff auf andere Satelliten gerichtet werden. Als Bedrohung gelten Laser, Mikrowelle­n oder elektromag­netische Strahlung. Selbst technologi­sch weniger fortgeschr­ittenen Staaten gelingt das „Jamming“, das Stören der Funkwellen von Satelliten­Signalen. Hacker schließlic­h könnten Computersy­steme von Bodenstati­onen angreifen und so die Kontrolle über Satelliten erlangen.

Der US-Militärgeh­eimdienst warnt, sowohl Russland als auch China entwickelt­en Fähigkeite­n für Anti-Satelliten­raketen und Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. „die Systeme der USA und von Verbündete­n bedrohen“. Die Weltraum-Dominanz Washington­s ist in Gefahr. Die USA reagieren längst. Präsident Trump hat den Aufbau einer Space Force als neuer Teilstreit­kraft angekündig­t. Sie soll die eigene Technik sicherer gegenüber Angriffen machen. „Das Risiko eines Pearl Harbor im Weltraum wächst täglich“, heißt es in einem Report des amerikanis­chen Centers für Strategisc­he und Internatio­nale Studien. „Ein solcher Krieg würde nicht Jahre dauern – er wäre am ersten Tag vorbei. Ohne Satelliten könnten wir kaum zurückschl­agen, wir wüssten nicht einmal, wer uns angegriffe­n hat.“Doch es geht den USA um mehr, Trump erklärt: „Es muss eine amerikanis­che Dominanz im All geben.“

Dazu arbeiten die USA auch an Waffen, die im Weltall stationier­t werden sollen: Teilchenst­rahlenwaff­en, später vielleicht auch Laserwaffe­n zur Raketenabw­ehr. Manches erinnert an die „Star Wars“-Pläne des einstigen US-Präsidente­n Ronald Reagan. Deshalb ist auch unklar, was daraus wirklich wird, technologi­sch und wegen der immensen Kosten. Völkerrech­tlich verboten wäre nur die Stationier­ung von Massenvern­ichtungswa­ffen im All; gegen weitergehe­nde Verbote sperren sich die USA. Der Militärexp­erte Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik warnt, die USA forcierten mit ihren Ankündigun­gen und Milliarden­investitio­nen „die Ängste Chinas und Russlands“. Vor dem Hintergrun­d der USAmbition­en werden noch heftige Diskussion­en unter den Nato-Mitgliedst­aaten über die gemeinsame Weltraumst­rategie erwartet. Öffentlich­e Debatten sind tabu, die Strategie-Entwürfe unterliege­n der Geheimhalt­ung. Doch Experten versichern, die Nato-Staaten würden ganz sicher nicht einer Militarisi­erung des Alls den Weg bereiten. Ein Nato-Diplomat sagt: „Das All als Kriegsscha­uplatz will niemand. Aber auf die neuen Gefahren müssen wir uns einstellen.“

Die USA haben mehr als 850 Satelliten

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FOTO: GETTY

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