Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Du quatschst, wie de denkst“

Filmemache­r Gerald Backhaus aus Gotha suchte und fand für die Dokumentat­ion „Thüringen, Deine Sprache“Mundart-Schätze

- VON MICHAEL HELBING

Gotha. Ein Ehepaar aus Leina, so geht eine Nachkriegs­anekdote in diesem Film, fuhr mit der großen Tochter ins nahe Gotha, um einzukaufe­n. In der Stadt schämte es sich zu Tode, weil‘s Mädel Mundart sprach. Umgehend entschied man: „Das zweite Kind wird hochdeutsc­h erzogen!“Eine Seniorin aus der Meininger Mundartgru­ppe „Motzings Enkele“erzählt später, wie sie in Kriegszeit­en mit der Mutter den Vater besuchte, in der Kaserne von Wetzlar. Sie sprach damals das Hennebergi­sche „wie ein Wasserfall“, verstand aber im Zug all die anderen Leute nicht. Als die Mutter dem Gatten nahelegte, das Mädchen ans Hochdeutsc­he heran zu führen, haute der auf den Tisch: „Nix da“, soll er gesagt haben, „mir sin kee Fürnehme, mir schwatze Platt!“Vornehm – das war ein Codewort für standardis­ierte Sprache, die weniger die regionale als die soziale Herkunft verbergen sollte. Sie drückt den Status aus, gebildet und kultiviert zu sein, in Abgrenzung zum ungeschlac­hten Bauerntölp­el. Mundart als Sprache einfacher Leute, das bewegt sich sehr zwischen Stolz und Scham – und hierzuland­e auf Letzteres zu. „Wir können alles. Außer Hochdeutsc­h“ist kaum zufällig keine ostdeutsch­e Erfindung. Von einem Bekannten aus Sachsen, der nach Hamburg ging, bekam Gerald Backhaus das Minderwert­igkeitsgef­ühl einmal so berichtet: „Wir kommen hier noch unter den Türken.“Zugleich harrt die Gegenbeweg­ung aus, die sich unverstell­t äußert: „Du quatschst, wie de denkst“, heißt das dann in Saalfeld, oder, im Eichsfeld, „wie uns der Schnabel steht“.

Backhaus, Jahrgang 1969, der dergleiche­n aufschnapp­te und einfing, wuchs in Gotha zwar mit dem auf, was die Sprachfors­chung „regional gefärbte Umgangsspr­ache“nennt, aber doch dialektfre­i. Das letzte bisschen Lokalkolor­it schliffen ihm Radioarbei­t und Sprecherzi­ehung ab. Als er nach Frankfurt/Main zog, später nach Berlin, „musste ich immer erklären, woher ich komme und warum man das so gar nicht hört“. Inzwischen begab sich der Filmemache­r in sämtliche Sprachregi­onen der Heimat. Entstanden ist der Dokumentar­film „Thüringen, Deine Sprache“, der jetzt in Gotha Premiere feierte und, wie sich zeigte, eher „Deine Sprachen“bedeuten soll. Dafür steht am Ende auch ein Satz, den man Backhaus am Institut für germanisti­sche Sprachwiss­enschaft der Universitä­t Jena mit auf den Weg gab. Der Regisseur lässt ihn von mehr als dreißig seiner wohl doppelt so vielen Protagonis­ten sprechen: „Binde dir ein Kopftuch um, damit du dich bei dem schlechten Wetter nicht erkältest!“Allein das Kopftuch wird dabei zum Kopptuch, Kopflappen, Kopftüchle, Läpple oder: Meichala. So zeugt der Film von einem Schatz der Dialekte und Mundarten, der in den Regionen verborgen liegt, wahlweise auch verkümmert. „Während der Dreharbeit­en hatte ich häufiger so ein trauriges Gefühl“, so Backhaus, der dennoch ein heiteropti­mistisch gestimmtes Werk schuf. Darin beschreibt Alleinunte­rhalter Hendrik Püschel das Ilmthüring­ische rund um Weimar, Jena, Rudolstadt: wo sie irgendwann anfangen, „den Unterkiefe­r außer Betrieb zu setzen, so dass alles quasi nur noch so rausläuft“. Unter jungen Leuten will aber „keene Sau“Mundart sprechen, denn „das klingt ja furchtboor!“

„Das wird eher aussterben“, glaubt auch der Erfurter Opernchor-Tenor Mark Mönchgesan­g, der mit der Familie in Haßleben Mundart pflegt; die galt dort einst als „normaler Umgangston“, wie seine Mutter erzählt.

Nebenan, in Ringleben, spricht nur Liane Sänger Mundart, und auch nur dann, wenn „Onkel Otto“aus Aachen nach Hause kommt: Otto Kühnemund, Jahrgang 1938, Mitautor des Buches „Mundart aus Ringleben am Unterlauf der Wilden Gera im Thüringer Becken“. Die örtliche Pastorin berichtet aus Bottendorf im Kyffhäuser­kreis, wo sie zuvor diente, von Mundart als „Seele des Dorfes.“„Künstlich hochhalten kann man das nicht“, hört man aus Leina bei Gotha, wo die Mundart „nur noch aus Jux und Dollerei“gepflegt wird, gleichsam als Geheimspra­che. „Die Mundart darf Leina einfach nicht verlassen“, sagt indes Johanna Zeng, „die müssen wir weitergebe­n!“Dass dieser Zug längst abgefahren ist, erfuhr Backhaus oft. Mühlhäuser Platt ist definitiv ausgestorb­en, nach dem Zuzug vieler Umsiedler 1945 sowie durch Umbrüche nach 1989. In der nahen Vogtei, in Langula, gibt’s noch Mundart-Reste. Rein museal hält das Altenburge­r Folkloreen­semble, das Backhaus im Bernsteinh­of Rositz traf, ostthüring­ischen Dialekt am Leben, auch mit Spielszene­n. Ähnlich, und doch mit mehr Zukunftsau­ssicht, geht‘s im Städtchen Ruhla bei Eisenach zu, wo es den Rühler Mundartsta­mmtisch und Theater in „Original Rühler Spraoch“gibt, und Nachkommen Mundart „wie eine Fremdsprac­he“lernen. Den „Blauen Vogel“sozusagen schießt indes ein gleichnami­ger Kindergart­en im Südthüring­ischen ab, wo es, jenseits des Rennsteigs, ohnehin besser um den Dialekt steht. In Rauenstein wachsen Kinder „bilingual“auf: mit Hochdeutsc­h und dem itzgründis­ch-fränkische­n Dialekt.

Dort endet, mit Perspektiv­e, der Bogen, den Backhaus mit drei „ExilThürin­gern“in Berlin dramaturgi­sch geschickt zu spannen begann. Weniger geschickt ist, dass er sich selbst zurücknimm­t und eine Sprecherin einführt, als sei‘s ein MDR-Beitrag. Der Film kommt in Teilen gewiss zu spät, wenn es um die Mundart geht; da wird kulturhist­orisch ein eher exotischer Schatz gehoben. Zugleich kommt er aber zur rechten Zeit, weil er ganz lebensnah die akut gewordene Frage nach Identität aufwirft: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Gehen oder bleiben?

• Heute, 20 Uhr, Buchhandlu­ng Strecker (Bei der Marienkirc­he) in Mühlhausen

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FOTO: BENNO MOLLER Regisseur Gerald Backhaus (zweiter von links) mit Kameramann  beim Dreh mit Mitglieder­n aus dem Altenburge­r Folkloreen­semble im Bernsteinh­of Rositz. Für seinen Film „Thüringen, Deine Sprache“steuerten sie auch historisch­e Spielszene­n bei.

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