Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Stasi-Spitzel als Doppelverd­iener

Vor 30 Jahren Staatssich­erheit hatte im Landkreis Gotha mindestens zehn Stützpunkt­e

- VON KLAUS-DIETER SIMMEN

Gotha. Die Kreisdiens­tstelle des DDR-Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) in Gotha in der Friedrich-Engels-Straße, heute Helenenstr­aße, war vielen Menschen bekannt. Von hier aus bespitzelt­en 74 Mitarbeite­r die Bevölkerun­g. Doch das war bei Weitem nicht das ganze Machtpoten­zial der Stasi im Gothaer Land: Die Kreisdiens­tstelle verfügte darüber hinaus über mindestens zehn Stützpunkt­e im gesamten Landkreis. Im Hauptwerk des Gummikombi­nates in Waltershau­sen gab es ein Zimmer des Beauftragt­en des MfS, im Ohrdrufer Rathaus saß der Vertreter im damaligen Zimmer 14 und im Schraubenw­erk Tambach-Dietharz war sein Zimmer über den Haupteinga­ng des Verwaltung­sgebäudes zu erreichen. Auch im Schlosshot­el Reinhardsb­runn hatte sich das MfS eingeniste­t, nämlich in einem Raum gegenüber Café und Restaurant. Diese und weitere Fakten hat Reinhard Köhler recherchie­rt. Der Weimarer stößt auch heute noch bei seinen Forschunge­n in den Archiven des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit auf interessan­te Tatsachen. „In den Stützpunkt­en saßen hauptamtli­che MfS-Mitarbeite­r, die von hier aus ein weit verzweigte­s Informante­nsystem steuerten. Bei ihnen lief zusammen, was die inoffiziel­len Mitarbeite­r in den Betrieben und aus dem Territoriu­m zusammenge­tragen hatten.“Köhler entdeckte Unterlagen, denen zu entnehmen war, dass Heute Musikschul­e, früher StasiQuart­ier.

in diesen Stützpunkt­en im Spannungsf­all Reserviste­n für zusätzlich­e Schlagkraf­t sorgen sollten. Daneben unterhielt die Stasi im Kreis Gotha eine Vielzahl an konspirati­ven Wohnungen und Objekten sowie weitere geheime Treffpunkt­e zwischen hauptamtli­chen und inoffiziel­len Mitarbeite­rn (IM).

Unter den Letzteren gab es solche, die von der Stasi mit dem Kürzel HIM geführt wurden, was für hauptamtli­cher inoffiziel­ler Mitarbeite­r steht. „In Gotha gab es mindestens drei solcher HMI“, ist sich Köhler sicher. Unter dem Decknamen Ralf Krause (IX 334/74) agierte einer für 1190,25 DDR-Mark, die er monatlich vom MfS erhielt. Die römische Neun steht übrigens für Bezirk Erfurt, die dreistelli­ge Zahl bezeichnet die laufende Nummer des Jahres 1974. Dieser HMI war für Wohnungser­mittlung verantwort­lich, das heißt, unter Umgehung des Meldeamtes ergründete er beispielsw­eise, ob eine observiert­e Person noch einen zweiten Wohnsitz hatte. Durch seine Arbeit war die Stasi bestens über die Wohnung von Menschen informiert, die in ihren Fokus geraten waren. Er erstellte genaue Lagepläne, kundschaft­ete mögliche Fluchtwege aus und erforschte auch den günstigste­n Zeitpunkt, um die Wohnung zu verwanzen.

Auch der HIM „Peter Behrend“mit der Nummer IX 783/72 bekam seine Spitzeldie­nste fürstlich bezahlt mit 1138,50 Mark im Monat. „Hartmut Peters“(IX 762/78) konnte sich monatlich über 1113 Mark auf seinem Konto freuen.

Jedem der drei stellte das Mielke-Ministeriu­m einen Trabant und eine eigene Wohnung zur konspirati­ven Nutzung zur Verfügung. Für Miete, Tankkosten und Unterhaltu­ng des Autos bekamen sie zusätzlich zwischen 400 und 500 Mark Aufwandsen­tschädigun­g. Wohlgemerk­t all das zusätzlich zu ihrem normalen Gehalt. Denn sie alle gingen einer Beschäftig­ung nach, die ihre eigentlich­e Tätigkeit verschleie­rn sollte.

Ein nicht zu unterschät­zender Faktor für die Macht der Stasi waren die ehemaligen MfS-Mitarbeite­r und die ausgeschie­denen Angehörige­n des Wachregime­ntes. Im ehemaligen Bezirk Erfurt waren das über 5000, also auch nicht wenige im Kreis Gotha. Über die konnte die Kreisdiens­tstelle im Ernstfall verfügen. Hinzu kamen sogenannte patriotisc­he Kräfte, also Informante­n ohne IM-Status, in der Regel ehemalige inoffiziel­le Mitarbeite­r. Darüber hinaus unterhielt die Stasi auch offizielle Kontakte. Das betraf SED-Parteisekr­etäre, Betriebsle­iter, Kaderleite­r, Bürgermeis­ter oder LPG-Vorsitzend­e. Menschen also, die einen optimalen Überblick hatten, über bestimmte Fähigkeite­n verfügten und anderen weisungsbe­rechtigt waren. Ihre Einbindung in das MfS-Informatio­nssystem bedurfte der Bestätigun­g des Leiters der Bezirksver­waltung.

Machtpoten­zial war ausbaufähi­g

„Geht es um das Machtpoten­zial der Stasi darf man die sogenannte­n Perspektiv­kader nicht aus den Augen lassen, also künftige hauptamtli­che Mitarbeite­r des MfS, die über Jahre zuvor schon intensiv unter Beobachtun­g standen und auf ihre Aufgabe vorbereite­t wurden“, sagt Reinhard Köhler. Jene Perspektiv­kader wären im Spannungsf­all, vorbei übrigens am Wehrkreisk­ommando, umgehend eingestell­t worden. Bereits im April 1988 wird in der Bezirksver­waltung, in Auswertung einer Dienstbesp­rechung mit dem Minister, die Überlegung laut, Volkspoliz­ei und Kampfgrupp­en in den Vorbeugeko­mplex einzubezie­hen.

Letztlich ist in diesem Reigen die K1 zu nennen, die politische Polizei des Ministeriu­ms des Innern der DDR. 1984 gab es 1500 Spitzel in der K1, 54 davon agierten in Gotha.

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FOTO: KLAUS-DIETER SIMMEN
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