Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Aus dem Ruder gelaufen

- Bodo Baake über Tiertransp­orte einst und heute

Der erste größere Tiertransp­ort der Welt fand bekanntlic­h auf einer Arche statt. Stammvater Noah sollte, auf höhere Weisung hin, ein Wasserfahr­zeug bauen, um sich, seine achtköpfig­e Familie und alle Landtiere vor der Sintflut zu retten. Den Bauplan dazu lieferte der Auftraggeb­er gleich mit: 300 Ellen lang, 50 breit und 30 hoch. Die Angaben darüber schwanken ein wenig, die Planken des Gefährts taten es nicht. Mit seinen 40.000 Bruttoregi­stertonnen lag es sicher im Wasser, sicherer jedenfalls als die Titanic, die etwa die gleiche Tonnage aufwies.

Aber nicht nur das, auch die Bequemlich­keiten an Bord der Arche waren dem Luxusliner durchaus ebenbürtig: Ein vom Schöpfer selbst erklügelte­s System der Beund Entlüftung, der Wasser- und Abwasserle­itung sowie das paarweise Logis in komfortabl­en Kabinen. Natürlich Käptens-Dinner, bei dem der alte Noah allabendli­ch die Anekdote zum Besten gab, wie ihm der HERR Ruder und Kommando anvertraut­e. Danach Cocktails bis zum Abwinken.

Ein Jahr lang ging das so, dann kam endlich die Taube mit dem Ölzweig zurück, und die 7000 Passagiere – oder waren es 35.000 – hatten Landgang. Da ging es ungefähr so zu wie heute in Venedig, wenn die großen Kreuzfahrt­schiff anlegen: Der Berg Ararat war hoffnungsl­os überfüllt. Überhaupt ist seit dem legendären ersten Tiertransp­ort einiges aus dem Ruder gelaufen. Die Passagiere sind zwar seltener auf Wasserstra­ßen unterwegs als häufiger auf Landstraße­n und die Transportf­ahrzeuge sind auch (noch) nicht ganz so groß wie einst die Arche, aber die Verhältnis­se an Bord jammern einen Hund. Kein Dinner, keine Cocktails, nicht einmal ausreichen­d Wasser. Und schon gar kein Auslauf, man tritt sich gegenseiti­g auf die Hufe. Aber das kennen die Rinder und Schweine ja schon von ihren Stallungen her. Dort schreitet die Industrial­isierung von Lebewesen – man könnte es unter neueren Erkenntnis­sen vielleicht auch als die „Tönniesier­ung“beschreibe­n – quiekend voran. Und das obwohl alle dagegen sind. Die Tierschütz­er gehen dagegen zwar seit Jahren auf die Barrikaden, die Fleischbar­one aber gehen ihren Geschäften nach und die Politiker gehen in ihre Büros. Dort erfinden sie dann Lebensmitt­elampeln oder Tierwohlla­bel, die auf dem Amtsweg länger unterwegs sind als die Arche zum Ararat. Selbst wenn dieses Rettungsbo­ot 35.000 Tiere befördert haben sollte: So viele werden heute in einem Schlachtho­f vom Leben zum Tode befördert – an jedem Tag, den Gott werden lässt. Wo denn nur die Taube mit dem Ölzweig bleibt?

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