Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Ich weiß, dass ich keine Chancen habe“
Der frühere Tennisprofi Tommy Haas freut sich auf das Einladungsturnier, das heute in Berlin beginnt
Die 600 Kilometer von München, wo er seine Eltern und Schwestern besucht hatte, nach Berlin fuhr Tommy Haas (42) selbst. „Ich fahre gern Auto, wenn ich in Deutschland bin“, sagt der frühere Tennisprofi, der in der Hauptstadt in dieser Woche am Einladungsturnier „bett1ACES“teilnimmt. Im Interview spricht er über die Corona-Zeit, seine Wahlheimat Kalifornien und Alexander Zverev.
Herr Haas, Sie leben im CoronaHotspot Kalifornien. Was mussten Sie tun, um nach Deutschland einreisen zu dürfen?
Ich musste mich in den USA zweimal testen lassen und in Deutschland innerhalb von 48 Stunden nach Ankunft nachweisen, dass ich negativ bin. In Quarantäne musste ich nicht, sonst wäre ich auch nicht angereist. Eigentlich wollte ich schon im Mai mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern nach Europa kommen. Das war nun leider nicht möglich. Ich hoffe, wir können es im August nachholen.
Haben Sie sich in den vergangenen Monaten manchmal gewünscht, in Europa zu leben? Man hört ja viel Negatives aus Amerika, was den Umgang mit Corona angeht.
Es war sicher keine einfache Zeit, aber manches wird auch übertrieben dargestellt. Der Corona-Ausbruch war zwischenzeitlich unter Kontrolle, dann gab es mit den Lockerungen und auch den vielen Demonstrationen wegen der Rassismus-Thematik schnell wieder mehr Fälle. Die Lage im Land ist aufgrund des Wahljahres sehr schwierig, es geht schon manchmal drunter und drüber. Wir müssen viel stärker aufpassen, weil niemand weiß, welche Folgen eine Infektion vor allem auch langfristig haben kann. Für uns war die Phase sehr intensiv, wir haben so viel Zeit miteinander verbracht wie sonst im ganzen Jahr nicht. Im Großen und Ganzen haben wir die Familienzeit genossen.
Sie sind seit vier Jahren Turnierdirektor in Indian Wells. Haben Sie Existenzängste verspürt, weil ja niemand weiß, wann und ob überhaupt der Sportbetrieb wieder normal weitergehen kann?
Ja und nein. Natürlich machen wir alle uns Gedanken, wie und wann es gelingen kann, in die Normalität zurückzukehren, die sicherlich eine neue Normalität werden wird. Und wenn ich sicher wüsste, dass es die nächsten fünf oder zehn Jahre kein Turnier geben würde, müsste ich mir ernsthaft Gedanken darüber machen, was eine Alternative wäre. Aber ich bin seit fast 25 Jahren im Profitennis unterwegs und bin zuversichtlich, dass wir schon 2021 Lösungen haben werden.
Wie sehr hat es Sie geärgert, als Sie die Bilder von der Adria-Tour sahen, auf der sich mehrere Spieler mit Corona infizierten?
Ärger ist das falsche Wort. Nach allem, was ich weiß, haben sich die Organisatoren an alle Regeln gehalten, die in Serbien galten. Ich glaube, Novak Djokovic (als Mitorganisator, d. Red.) hatte beste Absichten, er wollte seinen Teil dazu beitragen, Tennis wieder nach vorn zu bringen. Als ich die Bilder sah, war ich allerdings schon geschockt und dachte im ersten Moment, dass es alte Aufnahmen sein müssten. Im Nachhinein lässt sich dieser Leichtsinn
leicht kritisieren. Aber es sind junge Burschen, die wie viele Menschen auf der Welt einfach auch den Drang hatten, mal wieder rauszukommen. War das clever? Nein. Aber ich bin nicht derjenige, der mit dem Finger auf andere zeigt.
Welchen Stellenwert hat das Turnier in Berlin, gerade auch hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die es wegen der Vorfälle in Serbien bekommen wird?
Einen hohen, keine Frage. Die Spielerinnen und Spieler sind heiß, auf die Tour zurückzukehren. Aber ich glaube, alle haben verstanden, dass wir uns den neuen Vorgaben stellen müssen. Es ist nicht zu viel verlangt, dass wir so wenig wie möglich rausgehen und natürlich auch keine Partys feiern dürfen. Corona stellt uns alle vor Herausforderungen, die wir noch nicht kannten. Deshalb ist es gut, Events wie das in Berlin zu haben, auf denen wir testen können, wie diese Herausforderungen optimal umgesetzt werden können.
Glauben Sie daran, dass die ATPTour im August wieder startet?
Ich hoffe es, und ich glaube, dass es mit allen nötigen Maßnahmen auch gelingen kann. Allerdings wird man sich immer wieder den Gegebenheiten stellen und Fragen neu beantworten müssen. Es geht ja nicht nur um die Spieler, sondern auch um Mitarbeiter und Zuschauer, deren Vertrauen in Großveranstaltungen wir erst zurückgewinnen müssen.
Können Sie verstehen, dass manche Profis einen Start bei den US Open ablehnen?
Generell sollte jeder, der im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers steht, diese Chance wahrnehmen. Aber natürlich verstehe ich auch diejenigen, die sich in Europa derzeit sicherer fühlen und deshalb zögern, in New York anzutreten.
Alexander Zverev, Deutschlands aktuell bester Tennisprofi, steht als einer der Teilnehmer der Adria-Tour in der Kritik. Er hat für Berlin abgesagt. Halten Sie das für richtig?
Ich werde nicht für ihn sprechen, er ist alt genug und hat seine Berater. Ich kann sagen, dass ich sehr enttäuscht bin, dass ich ihn nicht sehen werde. Und für das Turnier und die Zuschauer, die kommen dürfen, ist es sehr schade. Er sollte bald wieder sein Tennis für sich sprechen lassen.
Hätten Sie gern ausprobiert, ob Sie mit ihm noch mithalten können?
Ich hätte das gern zu meiner besten Zeit ausprobiert. Jetzt ist es doch eher so, dass ich weiß, wo meine Grenzen sind und dass ich mit der aktuellen Generationen nicht mehr mithalten kann. Für mich ist es phänomenal zu sehen, mit welcher Kraft Tennis heute gespielt wird.
Was erwarten Sie von Berlin?
Dass ich das beste Tennis spiele, das ich noch in mir habe. Ich will, dass die Zuschauer sagen: Der kann es ja noch ganz gut. Ich weiß aber, dass ich keine Chancen habe, zu gewinnen, wenn die Jungs ernst machen.
Wie oft trainieren oder spielen Sie denn noch Tennis?
Trainieren tue ich gar nicht mehr. Ich halte mich fit, indem ich mit Freunden Tennis spiele, vier-, fünfmal in der Woche. Und ich bin von Zeit zu Zeit auf der Seniorentour aktiv. In den USA spiele ich gegen Leute wie Jim Courier, Andy Roddick, James Blake, aber das sind Matches über einen Satz. Wenn ich in Europa spiele, wird Best-of-three gespielt. Dann weiß ich wieder, was mir nicht gefehlt hat.
Hält Ihr von Verletzungen gebeutelter Körper überhaupt noch die Belastung von bis zu sechs Matches innerhalb einer Woche durch?
Ich habe einen meiner ehemaligen Physios dabei, der auf mich aufpasst. Ich muss aber tatsächlich zusehen, dass ich mich nicht blöd verletze. In den vergangenen Tagen habe ich Aufschlag geübt, damit sich meine Schulter an die Belastung gewöhnt. Mal schauen, wie es wird.