Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Besuch im zentralen Impfstofflager Thüringens, das Kliniken und Heime beliefert
Der Ort, dessen Name nicht genannt werden darf, ist in diesen Wochen vielleicht Thüringens wichtigster. Denn dort lagert der Stoff, der im Moment wegen seiner Knappheit noch wertvoller ist als Gold: der Impfstoff gegen das Coronavirus. Aus Angst vor Attacken von Impfgegnern, die das rare Gut gefährden könnten, soll geheim bleiben, wohin die jeweils erst von Bundes-, dann von Landespolizei begleiteten Transporte gehen, die die für Thüringen bestimmten Impfdosen bringen.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag kam an diesem Ort die erste Lieferung von BioNTech/Pfizer an, zwei Tage später die zweite, am 30. Dezember eine dritte. Weitere 19.500 Impfdosen trafen am frühen Freitagmorgen ein. Verpackt in vier Kartons, umhüllt von Styroporplatten und 20 Kilogramm Trockeneis pro Paket. Die beiden Behördenmitarbeiterinnen – die eine Tierärztin, die andere Lebensmittelchemikerin – die die tiefgekühlte Ware entgegennehmen, sind hochkonzentriert. Nichts darf schiefgehen, keine unbedachte Handlung den Impfstoff in Gefahr bringen. Ehe sie die Kartons öffnen und die Schachteln mit den kostbaren Ampullen, sogenannten Vials, in einem Ultra-Tiefkühlschrank verstauen, prüfen Sie, ob die Sendungen unbeschädigt sind und die Frachtpapiere stimmen.
Ihr nächster Blick gilt den Temperaturloggern, kleinen Messinstrumenten zur Transportüberwachung, die per Kabel mit Temperaturfühlern im Inneren der Pakete verbunden sind: Zeigen sie an, dass während der Fahrt durchweg um die minus 80 Grad Celsius herrschten, ist alles in bester Ordnung. Denn der Impfstoff ist ein extremes Sensibelchen: Wird er nicht lückenlos tiefgekühlt, gefährdet das die Stabilität gegen mechanische Belastung und damit seine Wirksamkeit. Sobald die Temperatur auf über minus 60 Grad Celsius steigt, läuft die Uhr - und der Impfstoff muss binnen 120 Stunden verimpft sein.
„Zügig“, so wie es der Hersteller als oberste Prämisse ausgegeben hat, wandert der Impfstoff schließlich vom Karton in den Ultra-Tiefkühlet. Nun beginnt die sogenannte Kommissionierung, die Verteilung auf die Krankenhäuser und Pflegeheime, die zum Impfstart als Erste drankommen. Dazu bekleben die beiden Behördenmitarbeiterinnen stabile kleine Aufbewahrungsboxen, in die bis zu 25 Vials passen, auf jeder Seite mit tiefkühltauglichen Etiketten. Darauf sind der Bestimmungsort, die Anschrift, das Datum und die Menge vermerkt. Die Chargennummer ist auf dem Lieferschein dokumentiert. Die aktuelle Liste der Empfänger bekommt die Behörde jeweils von der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, die die Bedarfsmeldungen aus den Einrichtungen sammelt und in einer übersichtlichen Tabelle übermittelt. Zum Ende dieser Woche wird der Impfstoff bereits an insgesamt 55 Thüringer Einrichtungen gegangen sein. „Wichtig ist, dass Heime und Kliniken möglichst so viele Impfdosen bestellen, dass es genau aufgeht“, sagt der stellvertretende Behördenchef. „Denn wenn ein Vial, aus dem jetzt mit einer Spritze sechs Impfdosen entnommen werden können, für nur eine oder zwei Dosen zubereitet und nicht binnen sechs Stunden verwendet würde, müsste
der Rest des Impfstoffs verworfen werden.“Das aber wäre bei der jetzigen Impfstoff-Knappheit ein Frevel.
Nun beginnt das Füllen der Schachteln: Zügig, aber nicht hektisch zählen die Mitarbeiterinnen die benötigte Anzahl Ampullen ab und stellen sie vorsichtig in die Trennfächer. Mal nur fünf, dann wieder zehn oder auch 25. Es gilt das Vier-AugenPrinzip: Fertig ist nur, was beide in Augenschein genommen haben. Zugleich bekommt jede Bestellung ihren Zwilling - den notwendig zurückgestellten Bedarf für die zweite Impfung -, der sofort zurück in den Ultra-Tiefkühlschrank wandert. Den Stoff für die Erstimpfung versenken die beiden Mitarbeiterinnen derweil in vorgekühlten und geprüften transportablen Kühlboxen, die noch an allen Seiten mit Kühlakkus ausgestattet und mit Schaumstoffmatten ausgepolstert werden, damit den Vials während des Transports nichts zustößt.
Zuletzt wird jede Box mit einer roten Kunststoff-Plombe versehen, die erst am Bestimmungsort geöffnet werden darf, dann wird sie in eine Kühltruhe gestellt. 40 solcher Boxen sind derzeit im Umlauf, bald sollen es 100 sein.
Kurierfahrer holen schließlich die Boxen mit dem gefrorenen Impfstoff ab, der vor Ort nach dem Auftauen maximal fünf Tage bei zwei bis acht Grad im Kühlschrank lagern darf. Alles, was sonst noch zum Impfen benötigt wird – Kanülen, Spritzen, Tupfer und Pflaster, aber auch die Schutzausrüstung für die Ärzte und die medizinischen Fachangestellten – wurde für den Impfstart bereits vorsorglich an die 30 Thüringer Impfstellen und die mobilen Impfteams geliefert.
Auch der zweite Impfstoff ist ein extremes Sensibelchen
Weiteres Material liegt in großen Mengen in einem zweiten Pandemielager in Erfurt bereit. Bis genügend Corona-Impfstoff verfügbar und an eine Regelversorgung wie bei anderen Impfungen zu denken ist, muss diese kleinteilige Verteilkette eingehalten werden: Anlieferung der für ganz Thüringen bestimmten Menge im zentralen Impfstofflager, das mit unterbrechungsfrei betriebenen Kühlgeräten auch über die nötige technische Ausstattung verfügt, dort dann Umverteilung auf die Kommunen und schließlich Auslieferung an Heime, Kliniken und Impfstellen. Von dort werden nicht nur die leeren Plastikboxen zurück ins Impfstofflager gebracht, sondern auch die leeren Vials. Eine vorsorgliche Maßnahme, damit nicht skrupellose Kriminelle auf die Idee kommen, sich die Fläschchen anzueignen, mit Wasser oder Kochsalzlösung zu befüllen und für viel Geld im Internet anzubieten.
Dass an so vieles gedacht und jeder Schritt mit der größtmöglichen Präzision vollzogen wird, zeigt für den Behörden-Vize an, wie genau es die Verantwortlichen damit nehmen, größtmögliche Impf-Sicherheit zu gewähren. „Es geht schließlich darum, dass hier Menschen etwas injiziert wird“, betont er. Die ebenfalls für Freitag angekündigte erste Lieferung des zweiten Impfstoffs Moderna trifft indes erst in dieser Woche ein. Doch die Behördenmitarbeiter haben sich längst auch für diesen Stoff gewappnet, der wiederum ganz andere Ansprüche an Lagerung und Transport stellt: Moderna begnügt sich zwar mit minus 20 Grad Celsius während des Transports, dafür kann er aufgetaut keine Erschütterungen vertragen und muss behandelt werden wie ein rohes Ei.