Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Eine Million Bahn-Billigtickets
Bahn-Chef Lutz kündigt ein Schnäppchen-Angebot zum Jubiläum des ICE an. Zugleich muss er Einbußen in der Pandemie einräumen
Die Deutsche Bahn verkauft von heute bis zum 14. Juni eine Million zusätzliche Tickets für jeweils 17,90 Euro. Das kündigte BahnChef Richard Lutz in einem Interview mit dieser Zeitung an. Die Fahrkarten sollen für Reisen in den kommenden sechs Monaten erhältlich und nicht auf eine bestimmte Streckenlänge begrenzt sein. Der Verkauf findet nach Bahnangaben am Bahnhofsschalter, Automaten und online statt.
Die Züge sind halb leer und der Schuldenberg riesig. Trotzdem glaubt Bahn-Chef Richard Lutz an eine glänzende Zukunft der Bahn. Zum 30. Jubiläum des ICE hat das Unternehmen für die Kunden ein Schnäppchen im Angebot. Der ICE wird 30. Die Kritik am Hochgeschwindigkeitsverkehr ist verstummt. Ziehen Sie bitte mal eine kleine Bilanz des Flaggschiffs.
Die Kritik ist verstummt, weil wir gleichzeitig das regionale Angebot gestärkt haben. Vom ICE profitieren nicht nur ein paar große Städte. Alles rückt näher zusammen. Viele Menschen können täglich zwischen Berlin und Wolfsburg oder zwischen Mannheim und Stuttgart pendeln – das würde ohne ICE und ohne Hochgeschwindigkeitsstrecken fast niemand machen. Wir sind daher froh, dass die ICE-Familie und das Streckennetz weiter wachsen. Steht der Plan noch, alle Städte über 100.000 Einwohner bis 2025 wieder an den Fernverkehr anzubinden?
Wir haben dieses Ziel 2015 ausgegeben – damals haben uns viele das nicht zugetraut. Mittlerweile haben wir mit dem Deutschlandtakt eine beeindruckende Übereinstimmung zwischen dem, was die Politik verkehrlich will, und dem, was wir als Unternehmen strategisch umsetzen. Wir schließen mit jedem Fahrplanwechsel neue, auch kleinere Städte an. Zum Beispiel mit der neuen IC-Linie Dresden–Berlin– Rostock, die vor 18 Monaten ans Netz ging. Oder mit der neuen ICLinie Frankfurt–Siegen–Münster– Norddeich ab Dezember 2021. Wie lief das Pfingstgeschäft? Steigen die Fahrgäste wieder in die Züge ein?
Wir hatten zuletzt trotz der Kontaktbeschränkungen viel Zuspruch. Man spürt, dass die Menschen rauswollen, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Mobilität ist eines der Grundbedürfnisse der Menschen. Wir werden auch 2021 – wie im Vorjahr – wieder einen Sommer mit vielen Reisenden sehen. Die Vorfreude darauf ist überall bei der DB zu spüren. Die Bahn soll billiger werden, um dem Flugverkehr und dem Auto Paroli bieten zu können. Ist das wirtschaftlich realistisch?
Zum Jubiläum des ICE werden wir vom 5. bis zum 14. Juni eine Million zusätzliche Tickets für 17,90 Euro anbieten. Sie gelten für Reisen in den kommenden sechs Monaten. Da müssen wir uns nicht verstecken. Das wird sicherlich nicht nur die junge Generation interessant finden. Übrigens: Wir sind mit unseren Preissteigerungen in den letzten Jahren stets unter der Inflationsrate geblieben. Und im letzten Jahr konnten wir durch die Mehrwertsteuersenkung für Fahrten des Fernverkehrs die Preise zudem um beträchtliche zehn Prozent senken. Davon können andere Verkehrsträger nur träumen. Wie läuft es wirtschaftlich?
Wie viele andere Mobilitätsunternehmen auch leiden wir darunter, dass die Pandemie länger dauert und die Erholung später kommt als erwartet. Kurzfristig sind unsere Einbußen höher als prognostiziert. Aber langfristig mache ich mir keine Sorgen, auch weil der Pfingstverkehr rege war und seither die Buchungszahlen deutlich anziehen. Unsere Güterverkehrssparte erweist sich als ausgesprochen stabil, und DB Schenker entwickelt sich ausgezeichnet. Kurzum: Auf lange Sicht sprechen alle Megatrends für die klimafreundliche Bahn. Wie viele Milliarden wird denn eine moderne Bahn den Steuerzahler noch kosten?
Die alte Bundesbahn hat drei Milliarden Euro im Jahr investiert. Bis 2030 erwarten wir pro Jahr im Schnitt rund das Fünffache. Wir müssen investieren, modernisieren und rekrutieren, um das Eisenbahnsystem fit für Wachstum und Verkehrsverlagerung zu machen. Und um unseren Beitrag für Klima und Umwelt zu leisten. Eine grüne Zukunft ist im Moment wichtiger als eine schwarze Null. Könnte die Bahn zugunsten des Klimas nicht vorzeitig aus der Kohle aussteigen?
Wir sind und bleiben Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Ökostrom. Schon heute haben wir über 60 Prozent Ökostromanteil, 2030 werden es 80 Prozent sein. Einseitig aus bestehenden Verträgen auszusteigen, würde uns Milliarden kosten. Dieses Geld ist viel besser angelegt in den zahlreichen Maßnahmen für mehr Klima-, Natur-, Ressourcenund Lärmschutz. Ich kann nur sagen: Mit der Nachhaltigkeit meinen wir es ernst. Das ist unser Markenkern und mit das höchste Gut, das wir haben. Überfordert das die Bahn nicht finanziell?
Niemand kann auf Dauer mehr Geld ausgeben als einnehmen. Auch das ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit. Aber eine starke Schiene für das Klima und eine bessere Bahn für die Menschen gibt es nicht zum Nulltarif. Deshalb investieren wir jetzt in eine nachhaltige Zukunft und akzeptieren auch einen vorübergehenden Anstieg der Verschuldung. Da bin ich Überzeugungstäter: Wir müssen jetzt handeln und dürfen nicht zögern. Zeit ist kostbar, und der Klimawandel wartet nicht.