Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Ein perfektes Spiel gibt es nicht“
Fußballer Dirk Orlishausen über den Rostocker Aufstieg, seine Trainerrolle und die beste zweite Liga aller Zeiten
Die ehemalige Nummer 1 des FC Rot-Weiß Erfurt, Dirk Orlishausen, ist als Torwarttrainer mit Hansa Rostock in die 2. Fußball-Bundesliga aufgestiegen. Wir sprachen mit dem 38-Jährigen über den Erfolg, seine Arbeit mit Top-Keeper Kolke, Schiedsrichter Gräfe und kommende Spieltage als Festtage. Haben Sie die Feierlichkeiten unbeschadet überstanden?
Der Tag danach war hart. Man wird ja nicht jünger. Außerdem habe ich in dem ganzen Trubel vergessen, genug zu essen. Das hat sich gerächt. Aber es bestand nicht die Gefahr, dass Sie, wie 2013 beim Aufstieg mit Karlsruhe, morgens im PhysioRaum geweckt werden müssen?
Nein. Man wird vernünftiger. Diesmal habe ich alles mitbekommen. Was bedeutet die Zweitliga-Rückkehr für Hansa und die Region?
Die Menschen sind so glücklich, es nach neun Jahren geschafft zu haben. In den Wochen zuvor war die Stimmung eher verhalten. Als wir es dann aber gepackt hatten, herrschte Ausnahmezustand in der Stadt. Wären die Bars geöffnet gewesen, hätten wir eine Woche lang gefeiert. Worin lag das Erfolgsgeheimnis der Mannschaft?
Ganz klar in der Mentalität. Verglichen mit unserer Karlsruher Aufstiegstruppe damals, die völlig von sich überzeugt war, egal gegen wen es geht, mussten sich die Jungs ihr Selbstbewusstsein in jedem Spiel neu erarbeiten. Wie sie das getan haben, mit welchem brutalen Siegeswillen, war echt beeindruckend. Welchen Anteil daran hatte Ihr Schützling, Torhüter Markus Kolke?
Er war unglaublich stabil, hat kaum Fehler gemacht und die Truppe gepusht. Und in der Rückrunde hat er dann auch Punkte für uns geholt. Wie meinen Sie das?
Es war immer gut, was „Kolle“gemacht hat. Doch mal so ein Spiel allein hatte er nicht gewonnen. Das nervte ihn. Dann kam seine Wahnsinnsparade im Februar in München, mit der er das 0:0 gerettet hat.
Und danach holte er uns bestimmt sieben, acht Punkte im Alleingang. Was können Sie ihm eigentlich noch beibringen?
Es geht darum, an Details zu feilen und die Basics immer wieder zu trainieren, so dass man sie im Spiel intuitiv anwendet. Auch wenn er mir gern vorwirft, ich sei zu kritisch: Ein perfektes Spiel gibt es nicht. Es gibt immer etwas zu verbessern. Vor drei Jahren hatte Sie Pavel Dotchev nach Rostock geholt. Stand Ihr Verbleib zur Debatte, als er im Januar 2019 entlassen wurde?
Nein, mein Job hier ist nicht vom jeweiligen Cheftrainer abhängig. Ich bin mir mit dem Verein auch einig, dass es seine Zeit braucht, um Torhüter zu entwickeln und auf ein gewisses Niveau zu bringen. Deshalb haben wir auch meinen Vertrag im März um drei Jahre verlängert. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Jens Härtel?
Das passt. Er äußert seine Vorstellungen deutlich, lässt mir im Torwarttraining aber freie Hand. Ansonsten ist er sehr detailverliebt. Die Spieler werden akribisch vorbereitet, müssen viel lesen, viel zuhören, viel anschauen. Und dass Jens Aufstieg kann, hat er ja schon auf seinen vorherigen Stationen bewiesen. Jetzt erwartet Rostock die beste zweite Liga aller Zeiten.
Am liebsten würde ich die Uhr noch mal zurückdrehen und mich selbst ins Tor stellen. Die Liga ist ja eine Ansammlung von ehemaligen Erstligisten und gestandenen Zweitligisten. Da wird jedes Spiel ein Fest. Was ist drin in dem illustren Feld?
Es kann für Hansa nur darum gehen, drei Vereine hinter sich zu lassen. Ich hoffe, dass uns die Euphorie
im Umfeld ein Stück weit durch die Saison trägt. Es sind wohl schon 10.000 Dauerkarten verkauft. Auf Manuel Gräfe, für den mit 47 Schluss ist, werden Sie nicht mehr treffen. Sein umstrittener Freistoßpfiff im Relegationsrückspiel hatte Ihnen 2015 den Bundesligaaufstieg mit dem KSC gekostet. Wie haben Sie die Diskussion um die Altersgrenze für Schiedsrichter verfolgt?
Ich verstehe nicht, warum jemand aufhören muss, wenn die Leistung noch stimmt. Mit Rostock hat er uns zweimal gepfiffen. Wie gelassen er da kommuniziert hat, war schon stark. Und ich hatte nicht den Eindruck, als käme er nicht hinterher. Haben Sie sich mit Gräfe eigentlich jemals ausgesprochen?
Nein. So weh es uns allen auch tat, er hat es damals in Sekundenbruchteilen so entschieden. Mit den heutigen Hilfsmitteln hätte er seinen Pfiff wahrscheinlich korrigiert. Wo laden Sie aktuell den Akku auf?
Wir sind mit dem Wohnwagen unterwegs. Da sind wir flexibel, können Freunde sowie die Familien in Erfurt und Sömmerda besuchen. Zwischen 2005 und 2011 waren Sie Torhüter des FC Rot-Weiß. Haben Sie noch Kontakt zum Verein?
Gar nicht. Aber ich verfolge ihn natürlich. Und zweimal habe ich bei der Traditionself mitgespielt, als sie in Warnemünde zu Gast war. Nächste Woche startet die EM. Was trauen Sie dem DFB-Team zu?
Ich denke, wenn die Jungs das Halbfinale erreichen, wäre das okay. Und wer wird Europameister?
Frankreich ist der große Favorit – sicherlich nicht nur für mich.