Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Den Anderen besser zuhören

- Klare Kante Miriam Hollstein zur Wahl in Sachsen-Anhalt

Urteile nie über einen Menschen, solange du nicht sieben Meilen in seinen Schuhen gelaufen bist! In diesem Sprichwort steckt eine Botschaft des Mitfühlens, die aktueller denn je ist.

Das zeigt das Beispiel der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt. Normalerwe­ise interessie­rt das ostdeutsch­e Flächenlan­d mit seinen

2,2 Millionen Einwohnern den Rest der Republik wenig. Weil die AfD aber in einer Umfrage vor der CDU landete, ist die Aufregung groß. Prompt diskutiere­n wieder alle darüber, ob „der Osten“ein rechtsextr­emes Problem hat. Umfragen zeigen, dass in Ostdeutsch­land die Skepsis gegenüber der Demokratie als Staatsform größer ist als im Westen.

Oft unterschei­det sich die Frustratio­n der Ostdeutsch­en in den ländlichen Gebieten auch gar nicht so sehr von jener im Westen der Republik. Jemand, der in einer industries­chwachen Gegend wohnt und stundenlan­g zur Arbeit pendeln muss, wird kein Verständni­s für die Forderung der Grünen haben, den Spritpreis um 16 Cent anzuheben. Wer sich trotz aller Mühe den Traum vom kleinen Eigenheim nicht erfüllen kann, wird die Diskussion um die Genderspra­che befremdlic­h finden.

Bei vielen politische­n Auseinande­rsetzungen geht es weniger um den Inhalt als um das Gefühl, vergessen und nicht wertgeschä­tzt zu sein. Womit wir wieder bei der Lebensweis­heit sind. Warum nicht den Pandemieso­mmer nutzen, um – von West nach Ost, von Ost nach West – einmal an jene Orte im eigenen Land zu fahren, die man am wenigsten versteht? Um zu entdecken und zuzuhören. In den Schuhen der anderen ist man damit noch nicht gelaufen. Aber man hat sie ein kleines Stück begleitet.

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