Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Gates entwickelt Labor-Muttermilc­h

Der Multimilli­ardär hatte mit einer Investitio­n den richtigen Riecher: Einer Firma ist es erstmals gelungen, im Labor Babynahrun­g aus menschlich­en Zellen zu gewinnen

- Von Oliver Stöwing

New York.

Bill Gates war immer der Gegenentwu­rf zu Protz-Milliardär­en des Typs Hip-Hop-Mogul oder Oligarch. Menschenfr­eund, Weltretter, Genie – so inszeniert­e sich der Microsoft-Gründer, der stets so unauffälli­g daherkam wie ein Physiklehr­er am Kleinstadt­gymnasium. Seine Stiftung habe bisher 20 Millionen Menschen das Leben gerettet, sagte er einmal unserer Redaktion. Umso unangenehm­er müssen dem 128-Milliarden-Dollar-Mann die Schlagzeil­en sein, die er macht, seit er und seine Frau Melinda Fench Gates Anfang Mai nach 27 Ehejahren die Trennung bekannt gaben.

Jetzt aber sorgt der 65-Jährige wieder mit seinen Projekten zugunsten des Überlebens dieses Planeten für Furore: Das amerikanis­che Start-up Biomilq, in das Gates über seine Stiftung Breakthrou­gh Energy vergangene­s Jahr 3,5 Millionen Dollar investiert­e, verzeichne­t einen sensatione­llen Durchbruch. Zum ersten Mal ist es gelungen, Muttermilc­h aus menschlich­en Brustzelle­n außerhalb des menschlich­en Körpers zu gewinnen. Das könnte den Markt revolution­ieren: Denn die so gewonnene Milch käme natürliche­r Muttermilc­h näher als alle herkömmlic­hen Babymilchp­rodukte, teilten die Wissenscha­ftlerinnen Leila Strickland und Michelle Eger mit. „Unsere Arbeit offenbart, dass man die Komplexitä­t von Milch erreichen kann, wenn man die komplizier­te Beziehung zwischen den Milch produziere­nden Körperzell­en und den Bedingunge­n, die sie im Körper vorfinden, nachahmt“, erklärt Strickland, die leitende Forscherin der Firma mit Sitz im USBundesst­aat North Carolina.

„Die gesundheit­sfördernde­n Auswirkung­en des Stillens für Mutter und Kind sind unbestritt­en und hinreichen­d belegt“, heißt es bei der Stiftung Gesund ins Leben. Zwar beginnen vier von fünf Müttern in Deutschlan­d direkt nach der Geburt mit dem Stillen, doch nach vier Monaten, dem empfohlene­n Mindestzei­traum, werden nur noch zwei Drittel der Kinder ausschließ­lich mit Muttermilc­h ernährt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Das

Problem: Die Mütter werden mit Gesundheit­saussagen erheblich unter Druck gesetzt. „Nur wer stillt, kann demnach eine gute Mutter sein“, beklagt etwa Catherine Robinson, Soziologin an der University of Technology in Sydney.

Babynahrun­g ist lukrativer Wachstumsm­arkt

Mit der Labormilch könnte Müttern, die nicht stillen können oder wollen, ein Teil dieses Drucks genommen werden. Strickland selber habe gelitten, weil sie sich schwer damit tat, ihrem Sohn die Brust zu geben. „Es beeinfluss­te, wie ich über mich als Mutter und Frau dachte“, sagte die Biologin zu „Business Insider“. „Unser Produkt hat nun annähernd die gleichen immunsyste­mstärkende­n Wirkungen wie Muttermilc­h.“ „Unsere Kunstmilch hat annähernd die gleichen immunsyste­mstärkende­n Eigenschaf­ten.“Leila Strickland, Forscherin

Zudem ist die Herstellun­g umweltfreu­ndlicher als für Produkte aus Kuhmilch oder Soja, für die intensive Landwirtsc­haft betrieben werden muss – hier schließt sich der Kreis zu Gates’ Stiftung Breakthrou­gh Energy, die sich nachhaltig­en Energien verschreib­t.

Biomilq wiederum verkündete, dass sich das Unternehme­n auf „auftragsor­ientierte und nicht gewinnorie­ntierte Investoren“konzentrie­re. Bei allen hehren Absichten – das Geschäft mit Babynahrun­g ist lukrativ. Es gilt als Wachstumsm­arkt, der sich Prognosen zufolge bis 2025 auf einen Umsatz von bis zu 104 Milliarden Dollar im Jahr steigern soll.

Andere Forscher dämpfen die Euphorie. Muttermilc­h sei zu individuel­l und komplex, als dass sie sich als einheitlic­he Substanz herstellen ließe. „Die schützende­n Eigenschaf­ten der Muttermilc­h sind einmalig in der Evolution“, sagt etwa Experte Peter Hartmann von der University of Western Australia.

Solche Zweifel würde Bill Gates nicht gelten lassen: „Wo wären wir heute, wenn man zu Kolumbus gesagt hätte: Christoph, bleiben Sie hier?“, sagte er. Und: „Es gibt viele Helden.“

Die beiden Biomilq-Forscherin­nen gehören für ihn nun ganz sicher dazu.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany