Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Von Vorfreude auf die Olympischen Spiele ist in Japan nichts zu spüren
Tokio.
Ausländische Fans ausgesperrt, die Athleten im Olympischen Dorf wie eingesperrt und eine Bevölkerung, die überhaupt keine Lust auf sündhaft teure Spiele in Corona-Zeiten hat – Japans hochfliegender Traum von Olympia als nationaler Neuanfang droht zum Alptraum zu werden. Eigentlich wollte sich Japan als ein Land präsentieren, das die jahrzehntelangen wirtschaftlichen Folgen der gesellschaftlichen Überalterung überwunden und es wieder an die Spitze der Welt geschafft hat.
Doch der extrem spät und langsam angelaufene Impfprozess, die ständig nötige Verlängerung des Corona-Notstands, der zugleich den erstaunlichen Rückstand in Sachen Digitalisierung offengelegt hat – all das passt so gar nicht zum coolen Image, das Japan eigentlich der Welt vermitteln will.
Zwar werden Japans OlympiaMacher und das Internationale Olympische Komitee nicht müde zu versichern, dass die Spiele „sicher“und „geschützt“sein werden. Doch allen Beteuerungen zum Trotz halten sich Zweifel und Sorgen. Auch unter den Zehntausenden Freiwilligen, die die größte Gruppe der Teilnehmer
stellen. Sie wissen weniger als zwei Monate vor Beginn nicht einmal, ob sie auf Corona getestet, geschweige denn geimpft werden. „Darüber gibt es null Informationen“, beklagt Barbara Holthus.
Die stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio hat sich als Freiwillige für die Spiele angemeldet. „Wir haben zwei Masken erhalten, sollen zu den Athleten zwei Meter und zu allen anderen Leuten einen Meter Abstand halten, unsere Hände desinfizieren und 14 Tage vor Beginn unserer Arbeit ein Tagebuch über unseren Gesundheitszustand führen. Das ist alles“, erklärt Holthus.
Im Olympischen Dorf in Tokio gelten strikte Verhaltensregeln
Die Deutsche kann über derlei „Schutzmaßnahmen“nur den Kopf schütteln. Während die 15.000 Athleten täglich Corona-Tests unterzogen werden, seien Tests für die Freiwilligen bislang „nicht auf der Agenda“. Genauso wenig eine Impfung außerhalb der offiziell nach Alter festgelegten Reihenfolge. Ohnehin wird der größte Teil der japanischen Bevölkerung bis zu den Spielen noch nicht geimpft sein.
Zwar sind für die Athleten äußert strikte Verhaltensregeln vorgesehen, so strikt, dass das Olympische Dorf manchem schon wie ein Gefängnis anmutet. Das Heer der Freiwilligen ist derweil auf die öffentlichen Bahnen angewiesen. Und die sind in Tokio selbst während des Corona-Notstands hoffnungslos überfüllt.
1000 freiwillige Helfer haben sich schon wieder zurückgezogen
In den vergangenen Tagen haben denn auch wiederholt Ärzte vor den Risiken gewarnt, so auch davor, dass während der Spiele eine neue „Super-Mutante“aus dem Zusammentreffen der bisherigen Virus-Varianten entstehen könnte. Auch Holthus befürchtet, dass sich das Virus rasant ausbreiten könnte.
Dennoch gilt für sie und all die anderen freiwilligen Helfer die oberste Maxime: „Immer schön lächeln“. Und das, obwohl jeder Maske tragen muss. „Das ist schon arg unsensibel“, kritisiert Holthus. „Da fühlt man sich irgendwie auf den Arm genommen.“Medienberichten zufolge haben sich bereits rund 1000 Freiwillige zurückgezogen, aus Protest über frauenfeindliche Äußerungen des zurückgetretenen OlympiaOrganisationschefs. Wenn sich die Lage nicht bessere, könnten noch mehr abspringen, so Holthus. Auch sie selber wisse noch nicht, ob sie am Ende teilnimmt. „Das hängt vom Infektionsgeschehen ab“.
Dabei hatte Japans Regierung eigentlich gehofft, mit den Olympischen Spielen eine neue Kultur der Freiwilligenarbeit schaffen zu können, um nach dem riesigen Spektakel viele der sozialen Probleme des Landes beheben zu können. Freiwilligenarbeit wurde lange in Japan als eine Pflicht an der Gesellschaft beziehungsweise des Staates angesehen. Jetzt soll der Spaßfaktor in den Vordergrund rücken. Olympia sei ein cooles Erlebnis, bei dem man neue Leute treffe, die man in Japans festgefahrenen Strukturen sonst nicht kennenlernen würde.
Eine solche positive Olympiaerfahrung, so war bislang die Hoffnung der Regierung, würde in Zukunft mehr Bürger dazu bringen, sich auch für andere, weniger coole Aufgaben freiwillig einzusetzen. Und auf diese Weise zu einem stärkeren Zusammenhalt in Japans rasant alternder Gesellschaft führen, in der immer mehr Menschen allein leben. Ob dieser Wunsch des Staates in Erfüllung gehen wird, ist kurz vor Olympia mehr als fraglich. „Ich fürchte, dass das Ganze noch zu einem Imageschaden führen könnte“, meint auch Holthus.