Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Linke zieht mit Hennig-Wellsow in den Bundestagswahlkampf
Ramelow kritisiert Ministerpräsidentenkonferenzen als Casting-Show um Inzidenzwerte. Renner setzt sich in Kampfabstimmung um Platz 3 durch
Die Thüringer Linke zieht mit Susanne Hennig-Wellsow als Spitzenkandidatin in den Bundestagswahlkampf. Der Landesvorstand konnte am Samstag auf einer Vertreterversammlung seine Personalvorschläge für die aussichtsreichen ersten drei Listenplätze durchsetzen.
Die Bundesvorsitzende der Linkspartei erreichte in Seebach (Wartburgkreis) aber nur ein schwaches Ergebnis. Ohne Konkurrenz votierten gerade einmal 76,1 Prozent für sie. Beim Verkünden dieser Zahl herrschte kurzzeitig betretenes Schweigen. 20 der 117 Delegierten hatten gegen sie gestimmt.
Thüringen zeige, welches Potenzial die Linke habe, wenn sie Verantwortung übernehme, betonte die Spitzenkandidatin mit Blick auf die Arbeit der Landesregierung unter Führung ihrer Partei. „Es gibt Millionen Menschen in diesem Land, die uns brauchen, wenn wir es ernst damit meinen, niemanden zurücklassen zu wollen.“Die Linke stehe für soziale Gerechtigkeit, versicherte Hennig-Wellsow und rief die Parteimitglieder auf, um ein linkes Bündnis auf Bundesebene zu kämpfen.
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) unterstützte ihre Spitzenkandidatur. Sie habe ihm sieben Jahre lang als Parteichefin und Fraktionsvorsitzende im Landtag den Rücken frei gehalten. Solidarität müsse „bestimmen, was wir tun“, erklärte der Regierungschef, der ein Minderheitskabinett führt. Wichtig sei, dass man die Gesellschaft als Ganzes sehe und die Menschen nicht gegeneinander ausspiele und zu Feindbildern erkläre.
Deutlich kritisierte er das Pandemiemanagement der Bundesregierung und forderte einen bundesweiten Krisenstab sowie ein bundesweit agierendes Krisenmanagement. „Wir müssen lernen, aus einem Guss und einer Hand zu handeln und nicht Ministerpräsidentenkonferenzen abzuhalten, die aller drei Wochen neue Entscheidungen treffen.“Mit Blick auf die Videokonferenzen der Regierungschefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach Ramelow vom Gefühl, in einer Casting-Show um Inzidenzwerte zu sitzen.
Ein Traumergebnis erzielte mit
94 Prozent für Listenplatz 2 der Linke-Politiker Ralph Lenkert. Mit lautem Jubel gratulierten die Delegierten. Der Umweltpolitiker hatte die Thüringer Linke bereits zwischen 2009 und 2017 als Abgeordneter im Bundestag vertreten.
Um Listenplatz 3 wurde mit einer Kampfkandidatur gerungen. Gegen die Bundestagsabgeordnete Martina Renner als Vorschlag der Parteiführung trat Sigrid Hupach an. Die Kommunalpolitikerin unterlag mit
43 zu 73 Stimmen. Später wurde sie mit 79 Prozent auf Listenplatz 5 gewählt. Der Kampf um Platz 3 und das schwache Abschneiden der Spitzenkandidatin hat gezeigt, dass die Parteibasis Vorschläge des Thüringer
Landesvorstandes durchaus infrage stellt.
Auf Listenplatz 4 konnte sich der Kriminalbeamte Frank Tempel gegen den Schauspieler Björn Harras durchsetzen. Tempel forderte ein Entkriminalisieren der Drogenpolitik und das Legalisieren von Cannabis mit gesundheitspolitischer Begleitung.
Die Wahl der Kandidaten für die Landesliste der Linkspartei fand in Seebach als Präsenzveranstaltung mit entsprechenden Hygieneauflagen statt. 20 Delegierte und einige wenige Gäste waren geladen. Alle mussten sich vor Beratungsbeginn auf das Corona-Virus testen lassen oder einen aktuellen Negativtest vorweisen.