Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Der Junge mit dem Comic-Heft

- Frank Quilitzsch über einen Traum, der für manchen keiner ist

Mir träumte, dass ich in einem fremden Zimmer lag, lauter Gerät um mich herum, und meinen Todestag wusste. Es war der

28. August. Um Himmels Willen, dachte ich, nicht zu Goethes Geburtstag, und fragte, als ein Mann im weißen Kittel hereintrat, welches Datum wir hätten. Er sagte: Den 14. August.

Da erst fuhr die Panik in mich. Nur noch zwei Wochen! Ich überlegte fieberhaft, was ich alles zu Ende schreiben und wen ich unbedingt noch sehen wollte – verdammt, wieso diese Reihenfolg­e?! Dann fragte ich, wer das eigentlich bestimme, das sei ja – doch, doch, ich träumte dieses Wort – eine Hinrichtun­g. Der Mann, es war nicht der Arzt, sondern ein guter Freund, zeigte wortlos auf die Geräte.

Ich unterdrück­te meine Tränen, als ein kleiner blasser Junge neben mich gelegt wurde, auch er gefesselt an Schläuche, und mich anlächelte. Man hatte ihm seinen Lieblingsc­omic gebracht, und er wollte seine Freude mit mir teilen…

Als ich aufwachte, schien die Sonne. Auch wenn ich einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass ich nur geträumt hatte, wusste ich sofort, dass dieser Albtraum für einige von uns Wirklichke­it ist. Ich dachte an Kinderhosp­ize, an unheilbar Kranke und sah Menschen in meinem Alter mit dem Gesicht nach unten, die noch ein paar Abschiedsz­eilen hatten schreiben dürfen, ehe sie an den Beatmungsa­pparat angeschlos­sen wurden. Ich sah sogar Sophie Scholl, die jetzt

100 Jahre alt sein könnte, wie sie einsam unters Fallbeil der Nazis schritt, und sah eine verwirrte junge Frau auf einer Querdenker-Demo, die von der Bühne in die Menge rief, dass sie sich ein bisschen wie Sophie Scholl fühle und für sie weiterkämp­fen wolle.

Während ich noch überlegte, woher mein Traum rührt, vielleicht von den vielen Nachrufen und Trauerfeie­rn in jüngster Zeit, stand ich auf und kramte meine alten Mosaik-Comic-Hefte aus der Kiste.

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