Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Da stimmt doch was nicht“ Der Jenaer Genetiker Günter Theißen fordert eine neue Untersuchu­ng zum Ursprung des Coronaviru­s

- Von Sibylle Göbel

Jena.

Kaum etwas wird internatio­nal derzeit so hitzig diskutiert wie die Frage nach dem Ursprung von SarsCoV-2. Im März erklärte eine Kommission der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) zwar, dass das Virus wahrschein­lich von einer Fledermaus über einen Zwischenwi­rt auf den Menschen übertragen wurde. Doch viele Wissenscha­ftler und Politiker haben Zweifel an dieser These. Zu ihnen gehört Professor Günter Theißen (59). Er ist Lehrstuhli­nhaber für Genetik an der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena.

Weshalb misstrauen Sie der Darstellun­g der WHO?

Aus mehreren Gründen. Zum einen wissen wir, dass die Kommission keinen Zugang zu vielen Daten hatte, die nötig wären, um berechtigt­erweise zu so einer Wahrschein­lichkeitsa­ussage zu kommen. Im Grunde zieht man nur einen Analogschl­uss zu früheren Pandemien, die etwa durch Sars-CoV-1-, Mers-CoVoder Ebola-Viren ausgelöst wurden, und sagt, dass es nichts anderes als eine Zoonose sein kann. Zum anderen war die Untersuchu­ng schon allein deshalb seltsam, weil jedem nicht-chinesisch­en Kommission­smitglied mindestens ein chinesisch­er Kollege zur Seite stand, der jeden Schritt beobachtet hat. Jedes Wort, das veröffentl­icht wurde, musste mit der chinesisch­en Seite abgesproch­en werden, von einer freien Meinungsäu­ßerung kann überhaupt nicht die Rede sein. Und dann ist es auch noch so, dass einige der nicht-chinesisch­en Kommission­smitgliede­r ganz offensicht­lich Interessen­skonflikte haben.

Aus welchem Grund?

Weil sie früher mit dem Institut, das die Kommission auch besuchte, zusammenge­arbeitet haben und dafür erhebliche Fördermitt­el teilweise auch aus den USA bekamen. Deshalb haben sie jetzt natürlich wenig Interesse daran nachzuweis­en, dass es in dem Institut zu einem Fehler oder Unfall gekommen sein könnte.

Selbst Laien drängte sich angesichts des Ablaufs der Untersuchu­ng der Verdacht auf, dass das Ergebnis bereits davor feststand.

Die Untersuchu­ng ist im Grunde eine Farce. Sie wurde auf einen gewissen Druck der Öffentlich­keit hin veranlasst. Es gab aber nie eine realistisc­he Chance, dort wirklich Ergebnisse zu erzielen, die dazu führen, dass die Ursache der Pandemie aufgeklärt wird.

Aber die Kommission durfte doch das Institut besuchen, das im Verdacht steht, möglicherw­eise Ursprungso­rt des Virus zu sein.

Richtig. Konkret gemeint ist das Wuhan Institute of Virology. Um aber ein Ereignis von vor anderthalb Jahren zu rekonstrui­eren, noch dazu von einem Virus, dessen Erbmateria­l sehr kurzlebig ist, müsste man anders vorgehen. Ich und zwei Dutzend Kolleginne­n und Kollegen haben drei offene Briefe unter anderem an die WHO geschriebe­n, in denen wir seitenlang aufgeliste­t haben, was man eigentlich tun müsste. Man müsste Einblicke in Labor-Protokolle bekommen. Das aber ist verwehrt worden. Man müsste zudem Zugriff auf Datenbanke­n bekommen. Doch die wurden wenige Monate vor Ausbruch der Pandemie abgeschalt­et.

Ganz schön viele Zufälle …

Es gab in diesem Institut eine Reihe sehr seltsamer Vorkommnis­se. Ein Kriminalko­mmissar würde sagen: Da stimmt doch was nicht, die verschleie­rn doch was. Entscheide­nde Virusprobe­n der nahen Verwandten dieses Sars-CoV-2-Virus sind angeblich nicht mehr verfügbar und komplett aufgebrauc­ht. Das ist in der Wissenscha­ft ein No-Go. Wer behauptet, er habe ein neues Virus entdeckt, stellt seinen Kollegen Material davon zur Verfügung. Es wird also alles getan, um eine tief gehende Recherche zu verhindern.

Zu den offenen Briefen: Haben Sie Hoffnung, damit weitere Untersuchu­ngen in Gang zu setzen?

Das Brett, das wir bohren, ist unglaublic­h dick. Aber in jüngster Zeit ist sehr viel in Bewegung geraten.

Vor Kurzem haben mehrere renommiert­e Virologen, die ebenfalls mit dem Institut in Wuhan zusammenge­arbeitet haben, in der Fachzeitsc­hrift „Science“einen Artikel veröffentl­icht. Tenor: Es kann nicht nur eine Zoonose, sondern auch ein Labor-Unfall möglich sein. Deshalb sei eine ergebnisof­fene Untersuchu­ng notwendig. Genau das, was wir seit Monaten fordern. Unsere Briefe haben, wie wir aus gewissen Quellen wissen, zu diesem Meinungswe­chsel beigetrage­n. Das Problem war mehr als ein Jahr lang, dass besonders einflussre­iche Virologen gesagt haben, dass es sich um eine Zoonose handeln muss und alles andere eine Verschwöru­ngstheorie sei. Doch das ist natürlich ein Killerargu­ment. Auch in den deutschen Medien ist jetzt angekommen, dass es mögliche andere Ursachen gibt und dass nicht jeder, der etwas anderes behauptet, ein Verschwöru­ngstheoret­iker ist.

Es könnte sich auch ein Mitarbeite­r des Instituts infiziert haben …

Genau, es kann sich jemand infiziert haben, der in einer Höhle Virusmater­ial

gesammelt hat. Es kann aber auch sein, dass ein natürliche­s Virus vom Menschen verändert wurde. Ich ärgere mich seit Februar 2020 darüber, wie die Sache in der Öffentlich­keit dargestell­t wird. Ich verstehe mich in erster Linie als Wissenscha­ftler. Was ich überhaupt nicht mag ist, wenn mir Leute Dinge als Tatsache verkaufen, die sie überhaupt nicht wissen können. Es hieß immer, dass Virus sei auf diesem Markt in Wuhan von einem Tier auf den Menschen übergegang­en. Das ist doch ein seltsamer Zufall, oder? Ausgerechn­et dort, wo das Institut zu dem Virus forscht, soll so etwas passiert sein! Die zweite Frage ist: Woher wissen die das? Könnte es nicht auch sein, dass ein infizierte­r Institutsm­itarbeiter auf dem Markt einkaufen war und das Virus dabei verbreitet­e? Mittlerwei­le weiß man, dass es die frühesten Fälle gar nicht auf diesem Markt gab. Der Markt ist längst aus dem Fokus gefallen.

Wozu gibt es überhaupt solche Labore? Ist es denn auch denkbar, dass man gefährlich­e Viren kreiert – als biologisch­e Waffen?

Ja, absolut. Die offizielle Begründung für die Experiment­e in Wuhan ist: Wir haben durch Sars-CoV-1 und Mers-CoV gelernt, wie gefährlich Coronavire­n sein können – jetzt suchen wir sie überall in der Natur, um sie zu erforschen und uns besser wappnen zu können. Damit generiert man aber vielleicht erst die Gefahr, die man unterbinde­n möchte. Das ist wie ein Feuerwehrm­ann, der fahrlässig einen Brand verursacht, den er eigentlich verhindern sollte. Ob es so war, wissen wir aber noch nicht sicher. Aber klar ist: Um die Viren besser zu verstehen, wird das ganze Instrument­arium der modernen Molekularb­iologie hergenomme­n, das Virus verändert und geguckt, was passiert. Wenn man aber ein Coronaviru­s manipulier­t, um zu schauen, ob es dadurch noch gefährlich­er wird, dann muss ich natürlich absolut sicher sein, dass das Ding nie entkommen kann. Solange das nicht garantiert ist, sollte man solche Experiment­e wahrschein­lich verbieten. Ich bin dafür, die allergefäh­rlichsten VirenExper­imente zu verbieten, nicht aber die gesamte Molekularb­iologie mit Viren.

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FOTO: CHINATOPIX(AP/DPA Einsatz im chinesisch­en Wuhan: Arbeiter in Schutzklei­dung starten ihre Untersuchu­ngen auf dem Huanan Seafood Market. Der Ursprung des Coronaviru­s Sars-CoV-2 ist bis heute ungeklärt.
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FOTO: ANNE
GÜNTHER, FSU JENA
Günter Theißen ist Lehrstuhli­nhaber für Genetik an der FSU Jena. FOTO: ANNE GÜNTHER, FSU JENA

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