Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Am Tag nach der Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt gibt sich die Parteispit­ze enttäuscht. Der Kanzlerkan­didat macht sich rar

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Berlin.

Die Bundes-SPD will das Wahlergebn­is vom Sonntag nicht lange auf sich wirken lassen. Sachsen-Anhalt soll die Partei nicht herunterzi­ehen, erst recht nicht ihren Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz.

Am Montag überlässt er es den Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die 8,4 Prozent im ostdeutsch­en Bundesland zu erklären. Selbstrede­nd hat das Ergebnis nach Lesart der BundesSPD „nichts zu sagen“für das, was in 110 Tagen ansteht.

Für die Bundestags­wahl hatte die Partei ohnehin keinen Rückenwind aus Sachsen-Anhalt erwartet. Das beste Szenario, das sie sich ausgemalt hatte, war eine Bestätigun­g der 10,6 Prozent aus dem Jahr 2016.

Das einstellig­e Wahlergebn­is

Das Ergebnis wird nicht schöngered­et. Aber es soll nicht an Scholz festgemach­t werden. Der taucht den ganzen Tag nicht in Erscheinun­g – und am Abend unter die Haube des SPD-Motorraums: Auf digitalen „Zukunftsge­sprächen“macht er den örtlichen Kandidaten in Coburg, Kronach und Düsseldorf Mut.

Spitzenkan­didatin Katja Pähle spricht derweil im Willy-BrandtHaus von einem „wirklich furchtbare­n“Ergebnis. Esken und WalterBorj­ans sind „ein Stück weit enttäuscht“. Die 8,4 Prozent nehmen sie nicht in den Mund.

Dass 15.000 Stimmen aus dem SPD-Lager an die CDU im Land gingen, führt Pähle darauf zurück, dass die AfD als stärkste Kraft verhindert werden sollte. Wenn das stimmt, wären sie für die SPD bei der Bundestags­wahl rückholbar.

Paradox ist, dass sich die Machtausic­hten der SPD nicht verschlech­tert haben in dem Land, in dem sie mit Ausnahme von vier Jahren seit 1994 regiert, seit zwei Jahrzehnte­n in der Rolle des Juniorpart­ners in Magdeburg – so wie die CDU umgekehrt in Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern.

Die 8,4 Prozent sind nicht der Tiefpunkt. 2019 kamen die Sozialdemo­kraten in Thüringen auf 8,2, in Sachsen auf 7,7 Prozent. Das böse

Die SPD-Vorsitzend­en Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken verlassen mit Katja Pähle (Mitte) niedergesc­hlagen die Pressekonf­erenz.

Omen eines einstellig­en Wahlergebn­isses ist das Problem. Was macht es mit einer Volksparte­i, die ohnedies langsam an sich zweifelt? Es geht um Psychologi­e und weniger um die

1,8 Millionen Wahlberech­tigten in Sachsen-Anhalt. Die werden bei der Septemberw­ahl wohl kaum den Ausschlag geben. Fast die Mehrheit der Wähler verteilt sich auf Nordrhein-Westfalen

(12,8 Millionen), Bayern (9,4 Millionen) und BadenWürtt­emberg (7,7 Millionen).

Mehr Sorgen müsste es der Parteiführ­ung bereiten, dass die SPD auch im Freistaat (zehn Prozent) und im Ländle (elf Prozent) bei Landtagswa­hlen einem einstellig­en Ergebnis bedrohlich nahe kam. Hinzu kommt, dass mit Armin Laschet ein NRW-Ministerpr­äsident der Kanzlerkan­didat der Union ist und im größten Bundesland ein Heimspiel haben könnte.

Ein Hinweis, dass sich viele in der SPD darauf einstellen, war die Aufstellun­g der Landeslist­en an Rhein und Ruhr. Selbst Kandidaten aus traditione­llen Bastionen der SPD wie Duisburg oder Dortmund achteten auf ihre Absicherun­g. Das Nachsehen hatte Karl Lauterbach, der jetzt darauf angewiesen ist, seinen Wahlkreis direkt zu gewinnen,

er sich nicht darauf verlassen kann, dass die Liste bis zu Platz 23 „zieht“.

Am Samstag hatte Generalsek­retär Lars Klingbeil in Berlin mit dem Start eines digitalen Camps die Partei auf den Wahlkampf eingestimm­t. Scholz sprach davon, dass die SPD „breit aufgestell­t“sei. „Wir sind eine Volksparte­i.“

Das entspricht ihrem Selbstvers­tändnis, aber nicht mehr überall ihren Wahlergebn­issen. Früher kämpften die Sozialdemo­kraten um 30 oder 40 Prozent, heute um 20 plus x. Früher hatte man eine Million Mitglieder, heute 400.000. Notgedrung­en wird Scholz mit schätzungs­weise der Hälfte des Etats auskommen müssen, der Martin Schulz vor vier Jahren zur Verfügung stand (etwa 21,5 Millionen).

Olaf Scholz darf sein Ding machen Die Herausford­erung besteht darin, wie Klingbeil es ausdrückt, die guten Werte des Kanzlerkan­didaten „auf die SPD zu übertragen“. Auf dem internatio­nalen Parkett hat er mit der Initiative für eine globale Mindestste­uer gerade einen Achtungser­folg erzielt, im Juni ist Scholz mit der Einbringun­g des Haushaltse­ntwurfs noch einmal als

Finanzmini­ster gefragt – danach tritt endgültig der Kanzlerkan­didat in den Vordergrun­d.

Wenn er einen Plan hat, dann hat der Kandidat jedenfalls wenige eingeweiht. Klar ist, dass die Kampagne komplett auf Scholz zugeschnit­ten ist. Nachdem Martin Schulz vor Jahren eine Flipperkug­el des SPDApparat­s war, gibt es in der Partei Verständni­s dafür, dass der Mann aus Hamburg nur sein Ding macht.

Alle Hoffnungen ruhen auf ihn, zumal erstmals seit Jahrzehnte­n ein Amtsinhabe­r im Kanzleramt nicht zur Wahl steht. Es gibt keinen Amtsbonus. Esken und Walter-Borjans sind sich sicher, dass Laschet und die Grüne Annalena Baerbock im direkten Vergleich mit Scholz abfallen werden. Scholz habe die „stärksten Zustimmung­swerte und die höchsten Kompetenzz­uschreibun­gen“.

Auf den letzten Metern werde deutlich, was es bedeutet, jemanden in einer der größten Wirtschaft­snationen weltweit „für vier Jahre Prokura zu erteilen“, so Walter-Borjans. Scholz sei eine „absolut verlässlic­he Größe“. So einer muss keine Niederlage­n erklären. Esken und Walter-Borjans machen das schon.Miguel Sanche

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