Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Gegen alle Widerstände Leidenschaft, Emotionen, Teamgeist: Die deutsche U21-Elf belohnt sich mit dem EM-Titel
Es ist vier Jahre her, da schoss Lukas Nmecha schon einmal das entscheidende Tor bei einer Fußball-EM. Es war das kontinentale Endspiel der U19 im georgischen Gori, Nmecha traf zum 2:1 gegen Portugal. Alles erinnert im Rückblick ein wenig an das U21-Finale am Sonntag im slowenischen Ljubljana: Nmecha erzielte den Treffer zum 1:0 – das Siegtor. Und der Gegner hieß wieder Portugal. Der Unterschied: 2017 spielte der heute
22-Jährige noch im englischen Trikot. Nun machte er Deutschlands
U21 zum Europameister.
Es sind Geschichten wie diese, die den Triumph der deutschen U21 bei der EM in Slowenien und Ungarn so besonders machen. Die Geschichte von Lukas Nmecha, als Sohn einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters in Hamburg geboren und in England aufgewachsen. Der als Toptalent von Manchester City verpflichtet wurde, in den Folgejahren aber als Leihspieler auf Fußball-Wanderschaft ging und derzeit beim belgischen Erstligisten RSC Anderlecht Erfahrungen sammelt.
Oder die Geschichte von Niklas Dorsch, dem Profi vom belgischen KAA Gent, der bei der Endrunde nicht mit Spielzeit rechnete, der dann im Finale aber bis zum Umfallen rannte, grätschte und passte. „Kann sein, dass das Tor das schönste und wichtigste in meiner Karriere war“, sagte Nmecha. „Oma, ich liebe dich“, rief Dorsch und freute sich auf die für den Enkel versprochenen „Sauerbraten und eine Haxe“.
Anderlecht, Gent. Andere frischgebackene Europameister spielen in Salzburg (Mergim Berisha, Karim
Adeyemi), bei Greuther Fürth (David Raum, Anton Stach) oder dem englischen Premier-LeagueAufsteiger FC Brentford (Vitaly Janelt). Es sind Klubnamen, die nicht wirklich für große Hoffnungen stehen. Die eher Durchgangsstationen für Talente oder Auffangbecken für ernüchterte Spieler sind, denen einmal eine größere Zukunft vorhergesagt wurde.
Kein Wunder, dass dem Team von Bundestrainer Stefan Kuntz bei dieser EM nicht viel zugetraut wurde. Es waren keine Özils, keine Hummels, keine Sanés, Neuers oder Goretzkas in Sicht. Keine goldene, eher eine blecherne Generation. Der aktuelle U21-Jahrgang galt als einer der schwächsten seit langem. „Ich weiß nicht, was ich aus dem machen soll“, hatte Kuntz einmal über Fürths David Raum gesagt. Und nun lieferte der 23-jährige eine punktgenaue Hereingabe nach der anderen – künftig wird er für Hoffenheim in der Bundesliga spielen.
Die Konkurrenz wartete mit Spielern aus größeren Vereinen und mit höheren Marktwerten auf. Aber, wie Turnier-Toptorschütze Nmecha vor dem Finale anmerkte: „Die sind alle schon wieder zu Hause.“Und auch Raum meinte: „Wir wollten allen beweisen, dass der Transferwert nicht wichtig ist. Wichtiger ist es, eine Einheit auf dem Platz zu sein.“So schlug sich Deutschland als Außenseiter durch die schwierige Gruppenphase und einen packenden Elfmeterkrimi im Viertelfinale gegen Dänemark. Es folgten das 2:1 gegen die Niederlande und der Endspielsieg gegen Portugal. Als verschworener Haufen, der als Team jegliche Widerstände überwand.
Und nun? Auf Trainer Kuntz wartet mit Olympia das nächste Highlight, danach beginnt schon der lange Weg zur EM 2023. Für Tokio muss Kuntz bis Ende Juni eine 18köpfige U23-Auswahl berufen, in der sich einige der U21-Europameister wiederfinden dürften. Ob ihnen allerdings eine ähnlich große Zukunft bevorsteht wie den U21Europameistern von 2009, von denen sechs später in Rio Weltmeister wurden, bleibt fraglich. „Der Weg von der U21 zur A-Nationalmannschaft ist sehr weit“, sagte Kuntz Doch Nmecha kündigte schon selbstbewusst an: „Wenn wir weiter so unser Talent zeigen, treffen sich einige von uns irgendwann bei der A-Nationalmannschaft.“