Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Lokführer kündigen Streiks an
Berlin.
Kunden der Deutschen Bahn müssen sich auf Streik einstellen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer erklärte am Dienstag ihre Tarifverhandlungen mit dem Unternehmen für gescheitert und beschloss die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen. Einen Termin nannte die Gewerkschaft noch nicht. Sie ließ auch offen, welche Bereiche des Unternehmens zunächst betroffen sein könnten. Von einer Urabstimmung unter den Mitgliedern war in der Mitteilung keine Rede. Die vierte Verhandlungsrunde hatte am Montag keine Einigung gebracht.
Brüssel.
Es ist ein gigantisches Investitionsprogramm, einmalig in der Geschichte der Europäischen Union: Mit einem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds will die EU die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bewältigen und einen großen Modernisierungssprung einläuten. Fast ein Jahr nach der Grundsatzeinigung der Regierungschefs geht es los: EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Dienstag im EU-Parlament an, die ersten nationalen Ausgabenpläne würden nächste Woche genehmigt.
In den Wochen darauf könnten schon Milliarden in die Hauptstädte überwiesen werden, fügte sie hinzu. Wahrscheinlich, so heißt es in Brüssel, bekommt dann auch Deutschland die erste Rate seines 25,6-Milliarden-Anteils ausgezahlt. „Wir werden unseren Kontinent umwälzen“, meinte von der Leyen.
Europa-Abgeordnete vermissen Reformwillen
Doch kurz vor dem Start wächst die Kritik an der Umsetzung. „Viele der nationalen Aufbaupläne sind eine Enttäuschung“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion, Markus Ferber (CSU). Die Pläne enthielten neue Ausgabenblöcke, aber kaum Reformvorschläge. „Wenn Investitionen nicht von Reformanstrengungen flankiert werden, droht die Wirkung zu verpuffen“, warnte Ferber. Parteiübergreifend gibt es Kritik daran, dass die meisten Mitgliedstaaten überwiegend keine neuen Projekte auflegen, sondern mit dem EU-Geld ohnehin geplante Vorhaben bezahlen. Auch Deutschland gehört dazu. Das sei zwar kein Verstoß gegen die Regeln, sagt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni unserer Redaktion, doch natürlich gehe es um die Finanzierung zusätzlicher Projekte – sonst werde der wirtschaftliche Impuls geschwächt. In einem Brandbrief an die Kommission warnen Abgeordnete der Grünen-Fraktion sogar vor dem „Scheitern“des
Deutschland und andere Länder wollen mit den EU-Milliarden den Verkauf „veralteter“Hybrid-Autos unterstützen, kritisiert ein Gutachten der Grünen.
Fonds: Es gebe bei vielen Vorhaben ernste Zweifel, dass sie den rechtlichen Vorgaben entsprächen. Während diese Kritiker Regelverstöße bemängeln, den Fonds im Prinzip aber gutheißen, kommen grundsätzliche Bedenken vom Bund der Steuerzahler: „Mit dem Wiederaufbaufonds droht ein neues Umverteilungsinstrument, das die Steuerzahler in Deutschland über Jahrzehnte belasten wird“, sagt Verbandspräsident Reiner Holznagel unserer Redaktion.
Der Rahmen ist klar: Von den 750 Milliarden Euro, die die EU durch Schuldenaufnahme mobilisiert, fließen 312 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse – Spanien, Italien und Frankreich erhalten davon zusammen die Hälfte. Der Rest wird als Darlehen ausgereicht. Die Mitgliedstaaten müssen mindestens 37 Prozent für den Klimaschutz einsetzen und 20 Prozent für die Digitalisierung. Parallel müssen sie Reformpläne vorgelegen, auf der Basis früherer Kommissionsempfehlungen. 23 Mitgliedstaaten haben solche Pläne bislang zur Genehmigung bei der Kommission eingereicht. Von der Leyen rechnete im Parlament vor, dass die Regierungen zusammen allein 185 Milliarden Euro aus den EU-Mitteln in saubere Energie, Gebäuderenovierung und nachhaltigen Verkehr investieren wollten. „Das sind genau die Investitionen, die wir wollen.“
Spanien und Frankreich etwa wollen viel Geld in Ladestationen für E-Autos einsetzen oder ihr Schienennetz ausbauen. Italien will darüber hinaus endlich sein Müllproblem in den Griff bekommen, den Energieverbrauch in der Landwirtschaft reduzieren oder Fahrradwege ausbauen. Deutschland setzt seinen Schwerpunkt eher auf Digitalisierung, etwa bei der Infrastruktur, in der öffentlichen Verwaltung oder in Schulen. Die Befürchtung der Kritiker ist, dass von der Leyen nach den Pannen bei der Impfstoffbeschaffung die Fonds-Milliarden für eine Imagekampagne in eigener Sache nutzen will – und deshalb im Zweifel nicht so genau hinschaut: „Frau von der Leyen fährt in die Hauptstädte und verteilt Schecks, bevor es überhaupt eine ernsthafte Prüfung gegeben hat“, beklagt CSUMann Ferber.
Ein Gutachten der Grünen-Fraktion im EU-Parlament listet Dutzende von Vorhaben der Mitgliedstaaten auf, die genau besehen den Vorgaben nicht entsprechen würden. So verbuche Italien etwa die Förderung von Gaskesseln als Klimainvestition, Deutschland und andere Länder bezuschussten mit den EUMilliarden den Verkauf von „veralteten“Hybrid-Autos, obwohl es inzwischen genug reine E-Autos gebe. Mindestens zehn Milliarden Euro würden durch „Greenwashing“für schmutzige oder veraltete Technologie „in den Sand gesetzt“, schätzen die Grünen. Auch das „Institut für zukunftsfähige Ökonomien“warnt , die Pläne blieben hinter der Notwendigkeit tiefgreifender Reformen zurück.
Der deutsche EU-Abgeordnete Damian Boeselager (Volt) moniert zudem, die Kommission sehe großzügig darüber hinweg, dass ihre Reformempfehlungen in den Hauptstädten ignoriert würden: Deutschland müsste demnach etwa eine Rentenreform auflegen oder das Ehegattensplitting abschaffen, davon aber sei nicht die Rede. Die EUKommission ficht das nicht an. Der Aufbaufonds werde die Union weiter zusammenbringen, verkündet von der Leyen. „Europa“, sagt sie, „ist bereit für den Neustart.“
750 Milliarden Euro,