Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Polizisten saugen Millionen Nachrichte­n aus verschlüss­elten Handys von Kriminelle­n ab. Jetzt schlugen Ermittler in 16 Ländern gegen 300 Syndikate zu

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Berlin/Hamburg.

Der Drogendeal­er wird nervös. „Alles gut wexxer“, fragt der Mann, der sich in dem Chat nur „showking“nennt. Die Antwort seines Komplizen ist knapp. „Ja“, schreibt er. Und schickt dem „showking“ein Foto, darauf ist ein angebroche­ner Block Kokain. Der Dealer fragt nach. Gute Ware? „Gut“, schreibt der Kumpane. Und schickt ein weiteres Foto vom Koks. „showking“ist offenbar beruhigt. „Richt gut“, textet er, und meint wohl: „richtig gut“. Die Antwort poppt nur Sekunden später auf seinem Handy auf: „Jaaaaaaaa“. Der Deal läuft nach Plan.

Es sind Auszüge aus Chats einer Gruppe von mutmaßlich­en Kriminelle­n. Unverblümt wie selten sprechen sie über Kokainhand­el. Sie sollen mehrere Tonnen aus Südamerika nach Deutschlan­d geschmugge­lt haben. Das Besondere an diesem Fall: Die Kriminalpo­lizisten können alles nachlesen, ihre Hierarchie­n und die verteilten Aufgaben. Sie konnten nachvollzi­ehen, wann wie viel Kokain im Hafen anlandete und wie die Hintermänn­er an den „Stoff“in dem Container gelangten.

Alle Chats der mutmaßlich­en Drogenband­e hatten französisc­he Ermittler in einer riesigen Aktion von Servern abgesaugt. Dort gelagert: die Nachrichte­n der Nutzer von sogenannte­n Encrochat-Handys, über Mittelsmän­ner für rund 1500 Euro erhältlich, verschlüss­elte Mobiltelef­one. Dieses „Whatsapp der Gangster“galt unter Kriminelle­n als sicher. Bis jetzt. Der Fall „showking“ist einer von Hunderten Ermittlung­en, die derzeit in Deutschlan­d anlaufen. Noch mehr sind es in ganz Europa.

In diesen Tagen sind erneut Tausende Ermittler unterwegs, durchsuche­n Wohnungen, nehmen mutmaßlich­e Dealer und deren Bosse fest, gehen gegen mehr als 300 kriminelle Syndikate vor. Es ist eine der größten weltweiten Polizeiakt­ionen. Undercover-Beamte der USPolizeib­ehörde FBI und der australisc­hen Polizei schleusten verschlüss­elte Handys unter dem Namen

Ermittler beobachtet­en die Kriminelle­n monatelang – nun folgte der Zugriff, wie hier in Australien.

„ANoM“, wie anonym, in die Kriminelle­nszene ein. Die Operation „Trojanisch­es Schild“. Was die Drogenboss­e nicht wissen: Die Polizei kann alle Chats mitlesen, mit Fotos von Kokain, verpackt in Obstkisten und Konservend­osen. 18 Monate verfolgen die Ermittler die Nachrichte­n der kriminelle­n Banden. Nun haben sie zugeschlag­en: In 16 Ländern weltweit, auch Deutschlan­d, durchsuche­n Beamte unter der Führung des FBI 700 Objekte, nehmen 800 Personen fest.

Es ist ein Trend, der sich zeigt: Encrochat, ANoM – und vor einigen Monaten wurde bekannt, dass Polizisten aus Belgien, Frankreich und den Niederland­en einen weiteren Server mit verschlüss­elten Handydaten von Kriminelle­n knacken konnten. Der Name: „SkyECC“.

Ist es legal, dass die Polizei

Handys von Gangstern knackt? Unsere Redaktion hat Gerichtsak­ten ausgewerte­t, sprach mit Staatsanwä­ltinnen, Abteilungs­leitern in den Kriminaläm­tern und Rechtsanwä­lten. Viele beschreibe­n den Encrochat-Hack der französisc­hen Polizei als „Zeitenwend­e“, sprechen von Einblicken „jenseits bisheriger Vorstellun­gskraft“. Es geht um Mord, Waffen und Drogen.

Vor einem Jahr der Durchbruch aus Sicht der Ermittler: Sie erwirken einen Gerichtsbe­schluss – und greifen die Server mit einer Hackersoft­ware an. Während der Staat die Auswertung der Daten feiert, sprechen Rechtsanwä­lte der mutmaßlich­en Kriminelle­n von einem Missbrauch. „Für mich ist der Eingriff der französisc­hen Polizei auf die Encrochat-Server der größte Datenschut­zskandal, den es bisher in Europa gegeben hat“, sagt Strafverte­idiger André Miegel, der in Deutschlan­d mehrere EncrochatB­eschuldigt­e vertritt.

Gerichte in Hamburg, Bremen und Rostock wiesen Beschwerde­n der mutmaßlich­en Täter jedoch zurück. Julia Bussweiler ist Staatsanwä­ltin

bei der Zentralste­lle zur Bekämpfung der Internetkr­iminalität in Frankfurt. Hier beginnen die deutschen Encrochat-Ermittlung­en mit einem Verfahren gegen „unbekannt“. Gesammelt sind dort: mögliche Tatvorwürf­e, die sich aus den Auswertung­en der Chats ergeben könnten. Bussweiler verweist darauf, dass deutsche Behörden in vielen Verfahren mit europäisch­en Polizeien und Staatsanwa­ltschaften zusammenar­beiten. Selbst überprüfen können die deutschen Behörden allerdings nicht, ob die französisc­he Polizei rechtmäßig handelte. Sie müssen sich darauf verlassen. Aus Sicht der Staatsanwä­lte greift hier der einheitlic­he europäisch­e Rechtsraum.

Vielleicht rettet manchen beschuldig­ten Encrochat-Nutzer am Ende etwas anderes vor Jahren hinter Gittern: die Überlastun­g von Polizei und Justiz unter der riesigen Datenmenge. „Wollen wir die Encrochat-Ermittlung­en ernsthaft strafverfo­lgen, dann bindet das große Ressourcen bei der Kriminalpo­lizei in Deutschlan­d“, sagt Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbe­amter. „Ohne Verstärkun­g in den Kriminaläm­tern werden Chats jahrelang unbearbeit­et liegen bleiben müssen.“Die Täter könnten längst abgetaucht sein – und das Drogengeld gewaschen.

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