Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Aufbruch ins Zeitgenössische
DNT stellt den Spielplan 2021/22 vor. Andrea Moses wird neue Operndirektorin
Mit Andrea Moses, einer der avanciertesten Regietheaterregisseurinnen unserer Zeit, als neuer Operndirektorin startet das Deutsche Nationaltheater Weimar in die nächste Spielzeit. Moses‘ intellektuell herausfordernde Handschrift wird in der Klassikstadt sehr geschätzt; zuletzt inszenierte sie dort als Gast Vollmers „The Circle“und Webers „Freischütz“. Einen besonderen Akzent will die gebürtige Dresdnerin fortan beim zeitgenössischen Musiktheater setzen.
Damit hat Intendant Hasko Weber eine der beiden Vakanzen im Leitungsteam fulminant besetzt; Moses‘ Amtsvorgänger HansGeorg Wegner wechselt als Intendant ans Staatstheater Schwerin. Offen bleibt unterdessen vorerst die Weimarer GMD-Position: „Die Suche läuft, sobald wir mit dem Orchester in voller Besetzung spielen können, wieder an“, sagte Weber am Dienstag. Kurz vor dem Abschluss stehen nach seinen Worten die Verhandlungen mit einem neuen Ersten Kapellmeister. Dominik Beykirch, Weimars 30-jähriges „Eigengewächs“, führt als Chefdirigent die Geschicke der Staatskapelle.
So darf weidlich spekuliert werden, welcher der Gäste in Sinfoniekonzerten als künftiger „General“in Frage kommt: etwa Patrick Lange, der zurzeit in Wiesbaden die Chefposition hält, Kevin John Edusei aus Bern oder Clemens Schuldt, der wie Beykirch der längst namhaften Dirigentenschmiede an der Franz-Liszt-Hochschule entstammt? Oder der gelernte Posaunist Joseph Bastian aus München oder gar die blutjunge Litauerin Giedrė Šlekytė, beide noch ohne Leitungserfahrung? Nur einer arbeitet nächste Saison garantiert „außer Konkurrenz“: Kirill Karabits selbst – er kehrt zurück, um den Weimarer Liszt-Zyklus auf CD mit der Beethoven-Kantate und der Faust-Sinfonie zu vollenden.
Andrea Moses hat unterdessen ihren ersten Weimarer Spielplan mit zwei enorm vielversprechenden Opern unserer Tage gewürzt: mit „Electric Saint“von Ex-„Police“-Drummer Stewart Copeland, das als Biopic des Physikers Nikola
Tesla beim Kunstfest seine Uraufführung feiert, und mit Detlev Glanerts „Caligula“(UA 2006) nach Camus. Zudem initiiert sie im Verein mit dem Dramaturgen Michael Höppner im März ein Mini-Festival „Passion :Spiel“, um in Kooperation mit den Musikhochschulen Weimar und Leipzig Experimente zu wagen und neue Formate auszuprobieren. Dazu gibt’s Musik von Kurtàg, Berio, Maxwell Davies und Stockhausen. So wird Weimar modern.
Moses selbst knöpft sich als Regisseurin ein vermeintliches Repertoire-Schlachtross – Verdis „Aida“– vor und apostrophiert es als „Meisterwerk, das sich mit Fragen des Kolonialismus beschäftigt“. Da glaube niemand, dass ihre Inszenierung in einer konventionellen Ausstattungs-Orgie erstickt oder dass Moses sich mit oberflächlichen Blackpainting-Disputen aufhält. Außerdem programmiert sie Monteverdis „Heimkehr des Odysseus“, Bizets „Carmen“, die Offenbach-Operette „Die Prinzessin von Trapezunt“sowie eine Rekonstruktion des Singspiels „Aurora“von Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer.
Im Schauspiel politisiert Hasko Weber nach dem bei Christa Wolf entlehnten Spielzeitmotto „Geteilte Zukunft“offensichtlicher in OstWest-Dimensionen. Er bringt „Plattenbauten – Inseln der Gegenwart“(UA) von Maximilian Hanisch und Sarah-Marleen Methner mit dem Stichwort Klimagerechtigkeit in
Verbindung, lässt mit Dirk Lauckes „Hannibal“(UA) den Mechanismen der Macht nachspüren und gönnt dem Publikum Plenzdorfs „Legende von Paul und Paula“sowie – in eigener Regie – die RenftStory „Zwischen Liebe und Zorn“als ostalgische Reverenzen. Dazu „Treuhandkriegspanorama“(UA) von Thomas Freyer und die Komödie „Paarlaufen II“von Jean-Michel Räber.
Auch im Sprechtheater überwiegen also zeitgenössische Stücke. Eine Reihe kleinerer Corona-Produktionen sowie Klassiker wie Thomas Manns „Buddenbrooks“– in der Regie Christian Weises – und Shakespeares „Sturm“– inszeniert von der neuen Hausregisseurin Swaantje Lena Kleff – runden den Spielplan ab. Im Juni 2022 widmet Jan Neumann sich Schillers „Räubern“als Sommertheater open-air. Die einzige Tanzproduktion stemmt man vereint mit Erfurter Kräften auf die DNT-Bühne: „Die Göttliche Komödie“nach Dante choreografiert Ester Ambrosino.
So darf man gespannt sein auf eine hoffentlich viral wenig gestörte DNT-Spielzeit. Intendant Hasko Weber preist zumindest eine „auffällige Kontinuität“, „verlässliche Zusammenarbeit“und den „guten Mut nach vorne“. Zwar schwant ihm in pandemischem Kontext: „Wir sind aus dem Problemfeld noch nicht raus.“Dennoch wird’s Zeit, dass das DNT wieder mit Kunst von sich reden macht.