Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Gutendorfe­rin erinnert an ihren Onkel, der in NS-Zeit und DDR verfolgt wurde

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Gutendorf.

Genau 80 Jahre ist es her, dass Anita Brechts Onkel Eduard Bauer im Konzentrat­ionslager Buchenwald inhaftiert wurde. Aus diesem Anlass entschloss sich die 65-jährige Gutendorfe­rin, einige Gedanken zur Erinnerung an die Opfer des Nationalso­zialismus aus ihrer Familie aufzuschre­iben:

„Es hat mich gefreut, dass Ihr an mich denkt“, schrieb mein Onkel Eduard Bauer im Mai 1943 aus dem Konzentrat­ionslager. Ja, ich denke oft an ihn und all die anderen, die verfolgt wurden, die ihre Überzeugun­g mutig lebten, die Zivilcoura­ge zeigten. Wir dürfen sie einfach nicht vergessen. Schließlic­h haben wir hier in Thüringen vor der Haustür ein echtes Mahnmal – die Gedenkstät­te auf dem Ettersberg.

Ein Besuch dieses Ortes macht das Leid und die Grausamkei­t von Strafkompa­nien und Strafkomma­ndos lebendig: Schwerstar­beit, Demütigung­en, Hunger, Schläge auf dem Prügelbock, Baumhängen und andere unvorstell­bare Qualen.

Wie kam ein 27-jähriger, aufgeschlo­ssener, freundlich­er Mensch an diesen brutalen Ort? Zwei Worte: „Guten Morgen!“anstelle von „Heil Hitler!“Noch heute bin ich beeindruck­t vom Mut meines Onkels, dem die Folgen seines neutralen Grußes im Jahr 1941 fraglos klar waren – die Stapo Gotha ordnete direkt Schutzhaft an. Wer Hitler nicht folgte, galt als Volksverrä­ter. Das erfuhren viele aus meiner Familie.

Einige Tage nach seiner Inschutzha­ftnahme erhielt mein Onkel den Einberufun­gsbefehl, den er verweigert­e. Eduard Bauer war ein Zeuge Jehovas und wollte nicht auf Menschen schießen. Das Gebot, den Nächsten zu lieben, meinte er ernst. Das brachte ihn am 7. Juni 1941 ins KZ Buchenwald, später nach Ravensbrüc­k und Auschwitz. Er überlebte.

Diesen Brief schrieb Eduard Bauer seiner Familie 1943 aus dem KZ Ravensbrüc­k.

Mit seiner Überzeugun­g war er nicht allein. Tausende Zeugen Jehovas waren betroffen. So auch Anton Baumeister aus Weimar, ein guter väterliche­r Freund. Als lebensfroh­er, fußballbeg­eisterter und wissensdur­stiger junger Mann kam er 1937 ins KZ. Auch er hatte den Militärdie­nst verweigert. Das brachte ihn zunächst nach Dachau und im Februar 1939 nach Buchenwald.

Rückblicke­nd sagte er: „Buchenwald, das war meine Universitä­t“– eine „Ausbildung“, auf die er sicher hätte verzichten wollen.

Aus meiner Familie waren noch weitere im KZ oder in Gefängniss­en, darunter mein Opa, Willy Bauer aus Steinbach-Hallenberg. Alle ihre Berichte sind erschütter­nd und ermutigend zugleich. Nach seiner Befreiung heiratete Onkel Eduard eine junge Frau, Liesbeth Bauroth. Sie musste als Kind in der Schule und von der nationalso­zialistisc­hen Nachbarsch­aft viele Schikanen ertragen. Ihre Mutter Emma hatte 1934 Flugblätte­r gegen die Verfolgung verteilt. Wie Eduard kam sie 1941 ins KZ. Im Lager Ravensbrüc­k lernte sie ihren künftigen

Mann Willy Thiel kennen, auch ein Zeuge Jehovas, der den Krieg verweigert­e. Sie heirateten nach der Befreiung.

Und jetzt? Ende gut, alles gut? Leider nein. DDR-Gerichte verurteilt­en diese Opfer des Faschismus erneut, nun als Angehörige einer „faschistis­chen Organisati­on“: Eduard Bauer zu sechs Jahren Zuchthaus, seine Frau Elisabeth zu vier Jahren, meinen Opa Willy Bauer zu fünf Jahren. Willy Thiel wurde zweimal verurteilt: 1951 zu sechs Jahren, 1961 zu sieben Jahren und sechs Monaten Zuchthaus.

Gotha.

Ernstroda.

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