Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Wo soll der Bayern-Profi spielen? Die Antwort könnte entscheidend sein für den Erfolg
Herzogenaurach.
Joachim Löw sah nicht aus wie ein Trainer, dessen Mannschaft gerade ein Fußballspiel
7:1 gewonnen hat, als er in der Düsseldorfer Arena zur Pressekonferenz erschien. Man kann das so genau sagen, weil man den Bundestrainer ja schon mal nach einem 7:1Sieg erlebt hat – im WM-Halbfinale
2014 gegen die Fußballgroßmacht Brasilien. Jetzt war es nur ein Testspiel und der Gegner hieß Lettland,
138. der Weltrangliste, dort umrahmt von Tansania und Myanmar.
Da war es nicht weiter verwunderlich, dass Löw zwar ein bisschen pflichtschuldig lobte nach durchaus hübsch herauskombinierten Toren durch Gosens (20.), Gündogan
(21.), Müller (27.), Ozols (Eigentor,
39.), Gnabry (45.), Werner (50.) und Sané (76.) bei einem Gegentreffer durch Saveljevs (75.).
Aber Lettland war kein Maßstab für die deutsche Nationalmannschaft,
das hatte Löw schon vor dem Spiel erklärt – und so fand er trotz des Kantersiegs im letzten Spiel vor der Europameisterschaft: „Wir haben immer noch Luft nach oben.“Die zweite Halbzeit hatte dem Bundestrainer nicht sonderlich gefallen, das Gegentor ärgerte ihn: „Das war ein ruhender Ball, ein Einwurf, das muss man besser verteidigen.“
Daran wird nun weiter zu arbeiten sein im EM-Basislager in Herzogenaurach. Und für Löw wird die Frage aller Fragen akut: Wen soll er aufstellen, wenn es am 15. Juni gegen Frankreich geht? Die Testspiele haben schon Hinweise gegeben, wenngleich Löw widersprach, als er gefragt wurde, ob seine Startelf schon steht. Er sagte aber auch: „Natürlich weiß man, dass die meisten Spieler gegen Frankreich auf dem Platz stehen werden.“
Ziemlich sicher wird Löw auf eine Dreierkette in der Defensive setzen und ziemlich sicher wird diese mit Matthias Ginter, Mats Hummels
und Antonio Rüdiger besetzt. Links dürfte sich Robin Gosens mit beherzten Auftritten festgespielt haben. Vorne spricht viel für die Lettland-Besetzung mit Thomas Müller, Kai Havertz und Serge Gnabry, die die richtige Mischung aus Spielstärke und Robustheit mitbringen. Im Tor ist Manuel Neuer ohnehin unumstritten.
Bleibt als große Frage: Wohin mit Joshua Kimmich? Der Bayern-Profi fühlt sich im Zentrum am wohlsten, lief gegen Lettland aber auf der rechten Seite auf. Er ist ja auch der beste Rechtsverteidiger in Löws Kader, der einzige, der offensiv und defensiv gehobenes Niveau verkörpert. Dummerweise ist er auch der beste Sechser, der beste Abräumer vor der Abwehr also. „Joshua benötigt keine lange Anlaufzeit, egal ob im Mittelfeld oder rechts, das macht seine Klasse aus“, sagte Löw.
Kimmichs Körperlichkeit, seine Bissigkeit könnte man im Zentrum gut gebrauchen, wenn es gegen
Frankreich geht und dort N’golo Kanté und Paul Pogba herumlaufen – zumal der ebenfalls robuste Leon Goretzka wegen eines Muskelfaserrisses noch fehlen wird. Auch im Mittelfeld ist Defensivarbeit das Maß der Dinge, das hat der Bundestrainer deutlich wie nie betont: „Wer das nicht leisten kann, wird vielleicht in dem einen oder anderen Spiel nicht auf dem Platz stehen.“
Es war eine deutliche Warnung an die Feinfuß-Fraktion um Toni Kross und Ilkay Gündogan und ein Argument für Kimmich im Zentrum. Andererseits würde sich auch Löw nicht wohlfühlen bei dem Gedanken, einen seiner Weltklassespieler für den allenfalls soliden Lukas Klostermann zu opfern – einen anderen Rechtsverteidiger hat er ja nicht im Kader.
Die Kimmich-Frage gehört zu den kompliziertesten für die kommenden Tage – und sie könnte für den Erfolg der deutschen Mannschaft die entscheidende sein.