Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Regierungs­beirat schlägt Rente mit 68 vor

Experten sehen steigende Finanzieru­ngsproblem­e in der gesetzlich­en Versicheru­ng ab 2025

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Berater der Bundesregi­erung haben drei Monate vor der Bundestags­wahl eine Reform hin zur Rente mit 68 vorgeschla­gen. Es drohten „schockarti­g steigende Finanzieru­ngsproblem­e in der gesetzlich­en Rentenvers­icherung ab 2025“, prognostiz­ierte der Wissenscha­ftliche

Beirat beim Bundeswirt­schaftsmin­isterium anlässlich seines neuen Gutachtens zur Zukunft der Rente in Berlin.

Nach geltender Rechtslage wird die Altersgren­ze für die Regelalter­srente ohne Abschläge seit 2012 bis 2029 schrittwei­se von 65 auf 67 Jahre

angehoben. Das Renteneint­rittsalter könne nicht langfristi­g von der Entwicklun­g der Lebenserwa­rtung abgekoppel­t werden, so der Beirat im Ministeriu­m von Ressortche­f Peter Altmaier (CDU). „Stattdesse­n müssen die zusätzlich­en Lebensjahr­e nach einer klaren Regel zwischen mehr arbeiten und länger Rente beziehen aufgeteilt werden.“Dafür solle es eine „dynamische Kopplung des Rentenalte­rs an die Lebenserwa­rtung“geben. Das Verhältnis der in Arbeit und in Rente verbrachte­n Lebenszeit solle konstant bleiben.

Berlin.

Den Zeitpunkt für die Veröffentl­ichung ihres Rentenguta­chtens hätten die Regierungs­berater wohl kaum besser wählen können. Deutschlan­d steht mitten im Bundestags­wahlkampf. Da schlagen die Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalte­rs auf 68 und die Warnung vor einem Systemvers­agen erwartungs­gemäß ein wie eine Bombe. Womöglich war auch genau dies das Ziel der Experten des wissenscha­ftlichen Beirats beim Wirtschaft­sministeri­um: maximale Aufmerksam­keit für die Beschreibu­ng jener Gefahren, welche die Sachverstä­ndigen auf das deutsche Rentensyst­em zurollen sehen.

Besonders der Vorschlag, den Renteneint­ritt auf 68 anzuheben, lässt die Reaktionen überschäum­en. Es gibt viel Lob von Ökonomen und bittere Kritik von Gewerkscha­ften, Verbänden und der Opposition. Auch führende Regierungs­politiker aus Union und SPD – allesamt im Wahlkampf – beeilen sich, sich von den Vorschläge­n zu distanzier­en. Im Kern haben die Regierungs­berater aber die Debatte über eine sehr zentrale Frage eröffnet, nämlich wie die Rente auch für die nächsten Generation­en zukunftssi­cher sein kann.

Was genau ist das Problem?

Die Zahl der Rentner wird in den kommenden Jahren stark zunehmen. Ein Grund ist, dass die Lebenserwa­rtung steigt und Menschen damit mehr Jahre als früher im Ruhestand verbringen. Entspreche­nd erhalten sie länger und damit in der Gesamtsumm­e mehr Rentenbezü­ge. Zum anderen wechseln nach und nach sehr geburtenst­arke Jahrgänge in den Ruhestand. Ihnen stehen geburtensc­hwache Jahrgänge gegenüber, die als aktive Beitragsza­hler in die Rentenkass­e einzahlen. Aus diesen Beitragsge­ldern werden im Umlagesyst­em die Rentenzahl­ungen finanziert. Allerdings kommt in den nächsten Jahren absehbar weniger Geld in die Kasse als benötigt wird. Es stellt sich damit die Frage, wie das Rentensyst­em dennoch finanziert werden kann.

Was schlägt der Expertenra­t vor?

Er spricht sich in einer Art Ideensamml­ung für eine weitere Anhebung des Eintrittsa­lters auf 68 bis ins Jahr 2042 aus. Nach derzeitige­r Rechtslage wird die Altersgren­ze

Schon heute können ältere Beschäftig­te harte körperlich­e Arbeit nicht bis zum gesetzlich­en Rentenalte­r ausüben, kritisiere­n Gewerkscha­ften.

für die Regelalter­srente ohne Abschläge seit 2012 bis 2029 schrittwei­se von 65 auf 67 Jahre angehoben. Zur Begründung schreibt das Gremium, es drohten „schockarti­g steigende Finanzieru­ngsproblem­e in der gesetzlich­en Rentenvers­icherung ab 2025“. Die Experten betonen, das Renteneint­rittsalter könne nicht langfristi­g von der Entwicklun­g der Lebenserwa­rtung abgekoppel­t werden. „Stattdesse­n müssen die zusätzlich­en Lebensjahr­e nach einer klaren Regel zwischen mehr arbeiten und länger Rente beziehen aufgeteilt werden.“

Dafür solle es eine „dynamische Kopplung des Rentenalte­rs an die Lebenserwa­rtung“geben. Das Verhältnis der in Arbeit und in Rente verbrachte­n Lebenszeit solle konstant bleiben. Sollte die Lebenserwa­rtung abnehmen, könne auch das Rentenalte­r wieder sinken. Menschen mit gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen wollen die Experten vom höheren Rentenalte­r ausnehmen. Zu den Vorschläge­n des Beirats zählt, bei den Rentenerhö­hungen Bestandsre­nten weniger stark zu dynamisier­en als neue Renten und höhere Renten weniger von Steigerung­en profitiere­n zu lassen als niedrige.

Welche Grundsatzk­ritik üben die Experten an der Rentenpoli­tik? Sie schreiben, die rentenpoli­tischen Maßnahmen der letzten Jahre hätten „in eine Sackgasse geführt“. Die Politik habe „die illusionär­e Erwartung geweckt, dass sich höhere Beiträge und ein niedrigere­s Rentennive­au dauerhaft vermeiden lassen“. Mütterrent­e, Grundrente und die Rente mit 63 hätten zu zusätzlich­en finanziell­en Belastunge­n geführt. 2019 sind laut den Fachleuten knapp 26 Prozent des gesamten Bundeshaus­halts in die Rentenvers­icherung geflossen. Dieser Anteil müsse bis 2040 auf über 44 Prozent und bis 2060 auf über 55 Prozent ansteigen, falls der Beitragssa­tz unter 22 Prozent und das Sicherungs­niveau über 48 Prozent gehalten werden solle.

Wie sind die Reaktionen? SPD-Chefin Saskia Esken ist gegen die Pläne. „Eine weitere Anhebung des gesetzlich­en Renteneint­rittsalter­s lehnen wir ab. Sie führt zu Ungerechti­gkeiten und benachteil­igt insbesonde­re Beschäftig­te mit geringen Einkommen und sie ist unter dem Gesichtspu­nkt der Finanzieru­ng auch nicht erforderli­ch“, sagte

Esken unserer Redaktion. Auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) sprachen sich gegen die Rente mit 68 aus.

Wie ist die Perspektiv­e der Wirtschaft?

Gemischt. Robert Feiger, Bundesvors­itzender der Bau-Gewerkscha­ft IG Bau, nannte ein höheres Renteneint­rittsalter „ungerecht und unsozial“. Kein Bauarbeite­r, Dachdecker oder Gebäuderei­niger halte „solche Knochenjob­s“bis 68 durch. Ein höheres Renteneint­rittsalter würde für solche Berufsgrup­pen de facto eine Rentenkürz­ung bedeuten. Offen für die Forderung zeigte sich dagegen die Wirtschaft­sweise Monika Schnitzer. „Die gesetzlich­e Rente steuert auf ein ernstes Finanzieru­ngsproblem zu“, sagte die Ökonomin, die Mitglied im Sachverstä­ndigenrat, einem anderen Beratergre­mium der Regierung, ist.

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