Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Bücher kommen in den Knast

Thüringer Literaturr­at initiiert Spenden des Großhändle­rs Zeitfracht für fünf Gefängnisb­ibliotheke­n

- Von Michael Helbing

Ferdinand von Schirach kommt ins Gefängnis –also, sein Roman: „Der Fall Collini“, der ja auch hinter Gittern spielt. Hier aber befindet er sich in illustrer Runde: mit Bernhard Schlinks „Abschiedsf­arben“, einem „Grundkurs Oberfräse“und dem Set „Die Handleseka­rten. Die Kunst der Liniendeut­ung“oder dem FBI-Agenten und Körperspra­che-Experten Joe Navarro, der erklärt, wie man Menschen „liest“.

„Lesen ist ja ein Thema für alle“sagt derweil Jens Kirsten vom Thüringer Literaturr­at, der Exemplare der Anthologie „Der Weg entsteht im Gehen“mitbringt. Ansonsten führen Justizvoll­zugsbeamte am

Mittwoch Bestände des Großbuchhä­ndlers Zeitfracht GmbH ab. Vom Literaturr­at angeregt, packte der im Logistikze­ntrum Erfurt jeweils zwei Kartons für die JVAs in Hohenleube­n, Tonna, Arnstadt, Untermaßfe­ld und Goldlauter zusammen.

Die Spenden stammen aus dem Lager für Remittende­n und sonstige Retouren der Einzelhänd­ler. Es sind nicht nur, aber auch sogenannte Mängelexem­plare, wie klein der Mangel auch ist. Ihr neues Zuhause sind nun Gefängnisb­ibliotheke­n.

Jene in Tonna begann vor zwanzig Jahren mit 3000 Bänden und umfasst inzwischen fast 15.000, erzählen die Vollzugsbe­amten Lars Böhnhardt und Alexandra AntonDollh­ofer. Drei Insassen arbeiten dort als Bibliothek­are. Und das Interesse ist offenbar groß. Über 300 Gefangene, und damit mehr als die Hälfte, nutzen die Bibliothek. Romane und Krimis werden demnach ebenso ausgeliehe­n wie Fachbücher, CDs und DVDs. Auch Atlanten seien gefragt, insbesonde­re, wenn sich die Haftzeit dem Ende zuneigt. Der Zugang zum Internet ist ihnen schließlic­h verwehrt.

Immer noch mehrere tausend Bücher und andere Medien sind es laut Sport- und Freizeitko­ordinator Ronny Rüdiger in der JVA Arnstadt. Die Nutzung der dortigen Bibliothek hat sich demnach aber mit den Insassen verändert. Inzwischen ist dort die Hälfte der deutschen Sprache (noch) kaum mächtig.

Für die Anschaffun­g von Büchern gibt es zwar grundsätzl­ich durchaus Mittel. Die reichen aber selten. Man ist auf Spenden angewiesen, wie sie unter anderem der Literaturr­at organisier­t, bei Buchhändle­rn und Verlagen etwa. Seit zehn Jahren bringt er aber auch Autoren in die Gefängniss­e: „Leseflucht­en“heißt die Reihe, die im Corona-Lockdown pausieren musste und jetzt allmählich wieder anlaufen soll.

Zeitfracht beliefert laut Selbstausk­unft über 5500 Buchhändle­r allein im deutschspr­achigen Raum sowie Kunden weltweit. Man hatte das Zentrum mit 1000 Mitarbeite­rn und insgesamt 120 Millionen Büchern 2019 vom insolvente­n Logistiker KNV übernommen.

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FOTO: SASCHA FROMM Zeitfracht-Chef Thomas Raff übergab Bücherpake­te an Jens Kirsten vom Literaturr­at sowie an die JVA-Beamten Alexandra Anton-Dollhofer, Ronny Rüdiger und Lars Böhnhardt (von links).

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