Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Bücher kommen in den Knast
Thüringer Literaturrat initiiert Spenden des Großhändlers Zeitfracht für fünf Gefängnisbibliotheken
Ferdinand von Schirach kommt ins Gefängnis –also, sein Roman: „Der Fall Collini“, der ja auch hinter Gittern spielt. Hier aber befindet er sich in illustrer Runde: mit Bernhard Schlinks „Abschiedsfarben“, einem „Grundkurs Oberfräse“und dem Set „Die Handlesekarten. Die Kunst der Liniendeutung“oder dem FBI-Agenten und Körpersprache-Experten Joe Navarro, der erklärt, wie man Menschen „liest“.
„Lesen ist ja ein Thema für alle“sagt derweil Jens Kirsten vom Thüringer Literaturrat, der Exemplare der Anthologie „Der Weg entsteht im Gehen“mitbringt. Ansonsten führen Justizvollzugsbeamte am
Mittwoch Bestände des Großbuchhändlers Zeitfracht GmbH ab. Vom Literaturrat angeregt, packte der im Logistikzentrum Erfurt jeweils zwei Kartons für die JVAs in Hohenleuben, Tonna, Arnstadt, Untermaßfeld und Goldlauter zusammen.
Die Spenden stammen aus dem Lager für Remittenden und sonstige Retouren der Einzelhändler. Es sind nicht nur, aber auch sogenannte Mängelexemplare, wie klein der Mangel auch ist. Ihr neues Zuhause sind nun Gefängnisbibliotheken.
Jene in Tonna begann vor zwanzig Jahren mit 3000 Bänden und umfasst inzwischen fast 15.000, erzählen die Vollzugsbeamten Lars Böhnhardt und Alexandra AntonDollhofer. Drei Insassen arbeiten dort als Bibliothekare. Und das Interesse ist offenbar groß. Über 300 Gefangene, und damit mehr als die Hälfte, nutzen die Bibliothek. Romane und Krimis werden demnach ebenso ausgeliehen wie Fachbücher, CDs und DVDs. Auch Atlanten seien gefragt, insbesondere, wenn sich die Haftzeit dem Ende zuneigt. Der Zugang zum Internet ist ihnen schließlich verwehrt.
Immer noch mehrere tausend Bücher und andere Medien sind es laut Sport- und Freizeitkoordinator Ronny Rüdiger in der JVA Arnstadt. Die Nutzung der dortigen Bibliothek hat sich demnach aber mit den Insassen verändert. Inzwischen ist dort die Hälfte der deutschen Sprache (noch) kaum mächtig.
Für die Anschaffung von Büchern gibt es zwar grundsätzlich durchaus Mittel. Die reichen aber selten. Man ist auf Spenden angewiesen, wie sie unter anderem der Literaturrat organisiert, bei Buchhändlern und Verlagen etwa. Seit zehn Jahren bringt er aber auch Autoren in die Gefängnisse: „Lesefluchten“heißt die Reihe, die im Corona-Lockdown pausieren musste und jetzt allmählich wieder anlaufen soll.
Zeitfracht beliefert laut Selbstauskunft über 5500 Buchhändler allein im deutschsprachigen Raum sowie Kunden weltweit. Man hatte das Zentrum mit 1000 Mitarbeitern und insgesamt 120 Millionen Büchern 2019 vom insolventen Logistiker KNV übernommen.