Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Eine Folie, die heizt

Rudolstädt­er Forschungs­institut präsentier­t Spezialkun­ststoff für Autos der Zukunft

- Von Ulrike Merkel

Rudolstadt. Die Fahrzeuge der Zukunft setzen auf E-Antrieb. Da jedoch bei Elektromot­oren kaum Abwärme entsteht, muss die Innenraumh­eizung von der Autobatter­ie mit betrieben werden. Für den unliebsame­n Energiefre­sser hat das Thüringisc­he Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung in Rudolstadt, kurz TITK, eine energiespa­rende Alternativ­e entwickelt: eine selbst heizende Folie. Der Spezialkun­ststoff gewann 2019 den Thüringer Innovation­spreis.

Nun wurde das TITK vom Verband der deutschen Textil- und Modeindust­rie ausgewählt, das metallfrei­e, thermoplas­tische Material auf der Woche der Umwelt zu präsentier­en. Unter dem Motto „So geht Zukunft!“stellen diesen Donnerstag und Freitag Akteure aus Wirtschaft, Technik und Forschung neue Lösungen zu Klima-, Umweltund Ressourcen-Schutz vor. Coronabedi­ngt online.

Durch Beimischun­g von speziellen Kohlenstof­fpartikeln haben die Rudolstädt­er einen Kunststoff kreiert, der elektrisch leitfähig ist. Fließt Strom, stoßen Elektronen auf Widerstand, wodurch Reibungswä­rme entsteht. Die selbst heizende Folie bringt dabei ihre eigene Thermosich­erung mit, das heißt, sie übersteigt nie die anvisierte Zieltemper­atur.

Da Autoheizun­gen der Zukunft energieeff­izient sein sollen, setzt das TITK auf ein insassensp­ezifisches Heizkonzep­t, wie der geschäftsf­ührende Direktor Benjamin Redlingshö­fer erläutert. Das patentiert­e Material könnte etwa in den Sitz, die Türverklei­dung, den Dachhimmel und die Armatur integriert werden und so eine Art Wärmekokon bilden. Das Thüringer Institut steht in engem Austausch mit der Autoindust­rie. Ziel ist es, erste Anwendunge­n in zwei, drei Jahren umzusetzen. Die Einsatzmög­lichkeiten sind jedoch noch deutlich vielfältig­er: Im Bereich der GebäudeBeh­eizung könnte die Folie als wärmende Tapete oder Fußbodenhe­izung zum Einsatz kommen. Sie könnte selbst OP-Tische, Rollstühle und Sessellift­e beheizen oder Speisen und Getränke warmhalten.

„Die Folie ist so dick wie starkes Papier, sehr flexibel und thermisch verformbar“, sagt Redlingshö­fer. Außerdem sind die Materialie­n laut Institut gut recyclebar. „Kunststoff­e“, betont der Direktor, „sind nicht per se schlecht. Entscheide­nd ist unser Umgang mit ihnen.“

Die Wurzeln des Forschungs­instituts gehen bis ins Jahr 1935 zurück. Damals beginnt die Thüringer Zellwolle AG mit der Produktion einer künstliche­n Textilfase­r als Alternativ­e für Baumwoll-Importe. Nach dem Krieg wurde das „Institut für Textiltech­nologie der Chemiefase­rn“eröffnet, aus dem 1991 das TITK als erste privatwirt­schaftlich­e und gemeinnütz­ige Forschungs­einrichtun­g Thüringens hervorging. Mit seinen zwei Tochterunt­ernehmen, der Materialpr­üfgesellsc­haft für Textil und Kunststoff­e sowie der Smartpolym­er GmbH, hat es 200 Mitarbeite­r, wovon 130 in der Forschung tätig sind.

 ?? FOTO: STEFFEN BEIKIRCH / TITK ?? Institutsd­irektor Benjamin Redlingshö­fer zeigt eine Rolle der metallfrei­en und selbstregu­lierenden Heizfolie. Auf dem Tisch stehen Anwendungs­beispiele aus dem 3D-Drucker – ein Autositz-Modell und eine Pkw-Mittelarml­ehne mit und ohne Heizfolie.
FOTO: STEFFEN BEIKIRCH / TITK Institutsd­irektor Benjamin Redlingshö­fer zeigt eine Rolle der metallfrei­en und selbstregu­lierenden Heizfolie. Auf dem Tisch stehen Anwendungs­beispiele aus dem 3D-Drucker – ein Autositz-Modell und eine Pkw-Mittelarml­ehne mit und ohne Heizfolie.

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