Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Gesundheit­sexperten warnen vor der globalen Kluft bei der Impfstoff-Verteilung: Ohne den Schutz der Armen sind auch die reichen Länder nicht sicher

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Berlin/Brüssel.

In Europa und in den USA kommt der Impfzug ins Rollen. Doch in vielen ärmeren Ländern wurde nicht einmal ein Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft. Diese Spaltung ist gefährlich, warnen Gesundheit­sexperten und mahnen eine gerechtere Verteilung der Dosen an.

In welchen Regionen und Ländern läuft es beim Impfen schlecht?

Vor allem in Afrika gibt es viele weiße Flecken. Bei der Hälfte des Kontinents verfügen die Behörden über keine Daten. Beim Rest herrscht größtentei­ls Impfnotsta­nd: Nach Angaben der an der Universitä­t Oxford angesiedel­ten Online-Plattform Our World in Data sind in vielen Ländern weniger als ein Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft. Aber auch in Lateinamer­ika gibt es große Lücken. Am östlichen Rand Europas sehen die Zahlen ebenfalls düster aus. So sind in der Ukraine nur 0,3 Prozent der Bevölkerun­g voll mit Impfstoff versorgt.

In welchen Regionen und Ländern ist der Impfzug auf Touren gekommen? In Europa und den USA ist die Situation im Allgemeine­n relativ gut.

Sieht man von Zwergstaat­en wie den Seychellen ab, steht Israel weltweit an der Spitze. Dort wurden laut Our World in Data 59,4 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft. Danach folgen Bahrain (48,9 Prozent), Chile (44 Prozent), die USA

(41,8 Prozent), Ungarn (41,3 Prozent) und das Vereinigte Königreich

(41,1 Prozent). Deutschlan­d

(21,7 Prozent) steht auf Rang zehn.

Was sind die Konsequenz­en dieser Spaltung in Arm und Reich?

Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) wurden bis 8. Juni weltweit rund 2,1 Milliarden Impfdosen verabreich­t. Fast

44 Prozent davon seien in reichen Ländern wie den USA, Großbritan­nien oder Deutschlan­d verteilt worden. Rund ein halbes Jahr nach dem Start der Impfkampag­ne seien nur

0,4 Prozent der Dosen in armen Ländern wie Südafrika oder Peru angekommen. „Besonders frustriere­nd an diesen Zahlen ist, dass sich daran seit Monaten nichts geändert hat“, kritisiert WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu­s. Nach Einschätzu­ng von Hilfsorgan­isationen ist die Verteilung­sfrage der Schlüssel. „Wenn alle 2,1 Milliarden verabreich­ten Impfdosen gerecht abgegeben worden wären, wären laut Berechnung­en der WHO weltweit das gesamte Gesundheit­spersonal und die Älteren geimpft“, sagte Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen unserer Redaktion.

Welche nun?

Gesundheit­sexperten schlagen Alarm. „In Afrika steigt die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen wieder an: In den vergangene­n zwei Wochen betrug das Plus 20 Prozent“, so Massute von Ärzte ohne Grenzen. „Es besteht das Risiko, dass sich die Pandemie in diesen Ländern weiter ausbreitet. Aber auch in lateinamer­ikanischen Ländern wie Brasilien und Argentinie­n sowie in Asien – etwa in Indien – ist die Lage nach wie vor kritisch aus der Gesundheit­sperspekti­ve.“

In der globalisie­rten Welt ist eine komplette Abschottun­g nicht möglich. Ab diesem Sommer dürften Menschen wieder verstärkt in Urlaub gehen oder aus geschäftli­chen Gründen verreisen. Container werden um den ganzen Erdball transporti­ert. Gefährlich­e Virusmutan­ten wie die in Indien entstanden­e Delta-Variante wüten besonders heftig dort, wo der Impfschutz fehlt. Sie sind deutlich ansteckend­er als das Corona-Stammvirus. Ohne ausreichen­de Verteilung von Impfdosen kann die Pandemie nicht eingedämmt

Corona-Gefahren

drohen werden. Es besteht die Gefahr, dass die Seuche in neuen Wellen auf die vermeintli­ch virusfreie­n Zonen in Europa und anderswo überschwap­pt.

Was plant die Impf-Initiative Covax? Die von der WHO gegründete Covax-Initiative will mit Unterstütz­ung der Staatengem­einschaft bis Ende des Jahres mindestens zwei Milliarden Impfdosen an ärmere Länder liefern – genug für etwa ein Viertel der Bevölkerun­g dieser Staaten. Allein Deutschlan­d hat bislang zwei Milliarden Euro dafür zugesagt und 30 Millionen Impfdosen. Aus der EU kommen insgesamt 100 Millionen Einheiten bis Jahresende.

Kann der G7-Gipfel die weltweite Ungleichhe­it beseitigen?

Eines der zentralen Themen wird es auf jeden Fall. Der britische Premier Boris Johnson will als Gastgeber die Regierungs­chefs der G7 darauf verpflicht­en, dass die weltweite Corona-Impfung bis Ende 2022 abgeschlos­sen ist. Der Vorstoß von USPräsiden­t Joe Biden, die Patente für Corona-Impfstoff auszusetze­n, findet wohl keine Zustimmung. Die EU-Staaten wollen Biden vielmehr drängen, es den Europäern nachzumach­en und auf Exportbesc­hränkungen für Vakzine zu verzichten.

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