Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Kokain im Westen, Crystal Meth im Osten – und Cannabis überall: Rauschgift-Konsum bleibt auf hohem Niveau
Brüssel/Berlin.
Drogenfahnder hatten es schon befürchtet: Die mindestens 30 Millionen Konsumenten illegaler Drogen in Europa haben sich auch durch die Corona-Pandemie nicht von ihrem riskanten Verhalten abbringen lassen. Im Gegenteil: Kokain ist weiter auf dem Vormarsch. Und der anhaltend hohe Cannabis-Konsum birgt zum Teil neue, schwere Risiken, was jetzt auch deutsche Behörden alarmiert.
Die Trends gehen aus dem EUDrogenreport 2021 hervor, den EUInnenkommissarin Ylva Johansson mit der zuständigen europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) am Mittwoch vorstellte. Der Bericht bestätigt für Deutschland zudem einen bizarren Verdacht: Beim Konsum besonders gefährlicher Drogen gibt es eine tiefe Ost-West-Kluft – im Westen wird offenbar mehr gekokst, in ostdeutschen Städten wird eher Crystal Meth genommen.
In Dortmund sind besonders starke Kokainspuren im Abwasser
Dieses Bild ergibt sich aus Abwasseranalysen, die die EU-Drogenbeobachter aus 80 europäischen Städten
Drogenfund der Polizei in Berlin. Die Dealer haben sich der Corona-Lage schnell angepasst.
erhielten, darunter zehn Kommunen in Deutschland. Die Daten zeigen nicht nur, dass 2020 in Europa kaum weniger Drogen konsumiert wurden als in den coronafreien Vorjahren. Sie belegen auch im europäischen Vergleich recht starke Kokainspuren im Abwasser Hamburgs (täglich im Durchschnitt
459 Milligramm pro 1000 Einwohner), beachtliche Nachweise in Dortmund (305 mg), München
(191 mg), Saarbrücken (167 mg) oder dem westfälischen Dülmen (134 mg) – in den ostdeutschen Metropolen Erfurt (71 mg), Dresden (42 mg) oder Chemnitz dagegen ist deutlich weniger Kokain nachweisbar. Zum Vergleich: In Europas Drogenhauptstadt Amsterdam zeigten die Wasserproben im
Schnitt 768 mg Kokain pro 1000 Einwohner. Anders das Bild bei der synthetischen Droge Crystal Meth, die unter anderem in tschechischen Laboren hergestellt wird: In Erfurt wurden 435 mg pro 1000 Einwohner ermittelt, einer der höchsten gemessenen Belastungswerte in ganz Europa, in Chemnitz 328 mg, in Dresden 201 mg – und nur 7,6 mg in Hamburg und 9,3 mg in München.
Die deutschen Labore verzichteten auf die Suche nach CannabisSpuren im Abwasser. Klar ist aber: Hierzulande wie auch in ganz Europa bleibt Cannabis die bedeutendste illegale Droge: Von den 15- bis 24Jährigen in der EU hat sich voriges Jahr etwa jeder Fünfte schon mal mit Cannabis berauscht.
Ein Trend, der Alexis Goosdeel, den Direktor der Beobachtungsstelle, besorgt, denn Cannabis enthält zunehmend relativ hohe Anteile des Wirkstoffs THC, was die Risiken erhöht. Noch bedenklicher sei aber, dass Haschisch und Marihuana öfter mit synthetischen Cannabinoiden versetzt seien. „Solche Produkte bergen ein Vergiftungsrisiko für Konsumenten“, so der Report. Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), ist alarmiert. Sie sagte unserer Redaktion: „Immer wieder werden synthetische Cannabinoide als vermeintlich legaler und harmloser Ersatz für herkömmliche Drogen im Netz verkauft. Dabei sind sie alles andere als legal, sondern zum größten Teil seit Jahren verboten.“
Drogengeschäfte laufen verstärkt über das Internet
Von bunt verpackten Kräutermischungen gingen „völlig unkalkulierbare Gesundheitsrisiken“aus: Schwindel, Herzrasen, ja selbst Kreislaufzusammenbrüche und Wahnvorstellungen. Besorgniserregend sei der Trend, angeblich reine Cannabidiol-Produkte oder auch natürliches Gras mit synthetischen Cannabinoiden anzureichern.
Beunruhigt sind die EU-Drogenexperten von der Geschwindigkeit, mit der sich kriminelle Gruppen an die Corona-Auflagen mit Reiseverboten und Grenzkontrollen angepasst hätten. In Europa würden neue Labore aufgebaut, es werde weniger auf menschliche Kuriere gesetzt, die Dealer setzten verschlüsselte Nachrichtendienste und Smartphone-Apps ein. Innenkommissarin Johansson fürchtet, dass die kriminellen Drogengeschäfte dauerhaft über das Internet abgewickelt werden, was die Fahndung erschweren könnte.