Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Garten und Gärtner im Gothaer Land Die Gartenstad­tsiedlung „Am Schmalen Rain“ist Idyll und Zeitdokume­nt zugleich

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Gotha.

Vögel zwitschern, Rasenmäher brummen. Es ist ruhig an diesem Donnerstag in der Gartenstad­tsiedlung „Am Schmalen Rain“in Gotha. Verkehr gibt es hier kaum. Die Anwohner grüßen sich. „Das ist wahre Dorfidylle, nur mitten in der Stadt“, sagt Sabrina Hirschberg. Die Vorsitzend­e der Gemeinnütz­igen Wohnungsba­ugenossens­chaft (GWG) der Eisenbahne­r ist selbst immer wieder überrascht von der Schönheit des geschützte­n Kulturdenk­mals im Süden der Stadt.

In den Sommermona­ten leuchten in der Siedlung nicht nur die bunten Fassaden. Auch in den Vorgärten, Grün- und Freifläche­n hinter den Gebäuden oder den Balkonkäst­en blüht es in allen Farben. Die Farbenprac­ht erfreut vor allem den „Schmalen Rainer“wie Harald Taubenrauc­h, Vorsitzend­er des Fördervere­ins Gartenstad­tsiedlung „Am Schmalen Rain“. Seit zehn Jahren wohnt der Rentner hier, woanders möchte er nicht mehr zuhause sein.

„Hier wird Wohnen im Grünen gelebt“, sagt er auf dem Weg durch die Kleingärte­n, die ein bisschen versteckt hinter den Gebäuden liegen. „Ursprüngli­ch dienten die Gärten der Eigenverso­rgung mit Gemüsebeet­en, Obstbäumen und Wäscheplät­zen“, berichtet Sabrina Hirschberg. Heute würden sie zwar vorwiegend als Erholungsg­ärten genutzt, die eigentlich­e Idee soll trotzdem erhalten bleiben. „Die Gestaltung­ssatzung regelt, wie die Siedlung auszusehen hat“, sagt sie. So sollen nicht nur die historisch­en Bauten gepflegt werden, auch die Grünfläche­n sollen dem Urzustand entspreche­n. „Es gibt vom Denkmalsch­utz eine Liste mit empfohlene­n Pflanzen. In jedem Garten müssen mindestens zwei Obstbäume gepflanzt werden – am besten alte, regional typische Sorten“, merkt Taubenrauc­h an.

Wohnsiedlu­ng als Teil der Reformpoli­tik der 1920er-Jahre

„Zu DDR-Zeiten wurde das Konzept etwas aufgeweich­t. Eigentlich sollten keine Gartenhäus­er oder Zäune gebaut werden. Aber die Hütten, die jetzt hier stehen, haben Bestandssc­hutz“, sagt Hirschberg. Der freie Blick auf die Gärten soll jedoch nicht weiter verbaut werden, die Abgrenzung vom Nachbarn durch hohe Zäune ist im ursprüngli­chen Konzept nicht vorgesehen.

Zwischen 1927 und 1929 entstand die Siedlung der GWG auf einem über sieben Hektar großen Grundstück südlich der Eisenbahns­trecke. Die Gestaltung übernahmen die Architekte­n Richard Neuland und Bruno Tamme. Nach dem Ersten Weltkrieg waren auch in Gotha viele Bürger von Armut und

Wohnungsno­t betroffen. Die Architekte­n planten deshalb eine eigenständ­ige, mit Grünfläche­n durchzogen­e Anlage, die Versorgung­seinheiten bot. Bis heute ist die Gartenstad­tsiedlung „Am Schmalen Rain“ein Dokument dieser Zeit.

Aus diesem Grund wurde sie in den 1990er-Jahren in die Denkmallis­te der Stadt Gotha aufgenomme­n und zum Sanierungs­gebiet erklärt. „Man wollte das charakteri­stische Erscheinun­gsbild wiederhers­tellen“, sagt Hirschberg. Von 1996 bis

2020 wurde die Anlage saniert, die Kosten beliefen sich auf über

13 Millionen Euro, die zum Großteil von der GWG finanziert wurden. „Die Mieter hatten auch in den Gärten viel selbst gemacht“, sagt Hirschberg und fügt an, dass viele Veranden, Wintergärt­en und andere Konstrukti­onen zurückgeba­ut werden mussten.

2020 wurde die Sanierung abgeschlos­sen. „Die gesamte Anlage entspricht heute wieder dem Zustand der Erbauung, von den Fassaden bis zu den Treppenhäu­sern“, sagt die GWG-Vorsitzend­e. Wie Harald Taubenrauc­h und die Mitglieder des Fördervere­ins schätzen die meisten der 340 Bewohner nicht nur den farbenfroh­en Charme, sondern auch die Gemeinscha­ft der Siedlung. Der Reiz wirkt aber weit über das Areal hinaus. Das zeigen auch die langen Warteliste­n für die Wohnungen.

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