Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Klartext - Leser haben das Wort

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Anlässlich des 60. Jahrestage­s des Mauerbaus in Berlin berichtet ein Leser über seine eigenen Erfahrunge­n und Erlebnisse im Zusammenha­ng mit der Teilung:

Am 13. August 1961, heute genau vor 60 Jahren, wurde die endgültige Teilung unseres Vaterlande­s in Berlin durch die Schließung des letzten Schlupfloc­hs mit Stacheldra­ht und hohen Mauern vollzogen. Deswegen habe ich meine Heimat verlassen!

Nach der Kapitulati­on und der Aufteilung unseres Vaterlande­s durch die Siegermäch­te wohnten meine Eltern und ich im Amerikanis­chen Sektor von Groß-Berlin. Wir überlebten die erste Nachkriegs­zeit und auch die Blockade von Westberlin, als die Sowjets und die damalige DDR-Regierung die Westberlin­er aushungern wollten. Sie nannten Westberlin einen Stachel inmitten der DDR, obwohl sie auch von der Existenz Westberlin­s profitiert­en. Zum Beispiel hätten die Lakaien von Herrn Honecker ihm sonst keine Hüte vom Kudamm besorgen können.

Am Tage des Mauerbaus wurde mit einem Mal alles gesperrt. Straßenspe­rren aus Stacheldra­ht wurden errichtet, die von bewaffnete­n Soldaten bewacht wurden. Es fuhren plötzlich keine U- und S-Bahnen, die Telefonver­bindungen waren unterbroch­en. Es wurde den Westberlin­ern jeglicher Besuch im Ostteil verwehrt, erst recht kam kein Ostberline­r nach Westberlin. Und so sollte der Zustand auch ewig bleiben.

Ich hatte gerade eine liebe Frau, ein Flüchtling­skind aus Westpreuße­n, geheiratet, deren Geschwiste­r und die Mutter in Thüringen wohnten.

Also konnte es kein Wiedersehe­n mehr geben. Daher entschloss­en wir uns, meiner Heimatstad­t den Rücken zu kehren. Wir zogen nach Niedersach­sen und dann nach NRW um und lebten dort 32 Jahre. Jetzt waren wir Westdeutsc­he und durften mit den Visa, die uns die Verwandten aus Thüringen schickten, dort die Verwandtsc­haft besuchen. Anfänglich durften wir nur mit der Bahn in die DDR einreisen. In Eisenach wurden wir dann mit einem Trabi abgeholt. Später reisten wir mit dem Auto über Herleshaus­en ein.

Ich erinnere mich noch, wie wir von den Grenzern herabwürdi­gend abgefertig­t wurden. Im Interzonen­zug traute sich niemand zu reden oder jemanden anzuschaue­n, und an den Grenzüberg­ängen wurde man fast wie ein Aussätzige­r behandelt. Jeder hatte „einen Bammel“, wenn die Gepäckkont­rollen stattfande­n, denn die Westbesuch­er brachten natürlich begehrte Sachen mit, und die Verwandtsc­haft war meistens groß. Wenn man auch mal murrte, konnte es sein, dass die Grenzer das Auto mal kurz auseinande­rnahmen.

Zwei Tage nach der ersten Grenzöffnu­ng standen wir am Grenzüberg­ang Duderstadt und staunten über die Flut an Trabis und Wartburgs, die uns in Zweierreih­en entgegenka­men. Da begriff ich erst, wie ernst die Grenzöffnu­ng überhaupt war. Ein Wunder war geschehen und ein heimlicher Wunsch von mir in Erfüllung gegangen.

Joachim Kerle, Kreuzebra

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