Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Dichter ohne Zuflucht
Zwei Jenaer Germanisten entreißen den Weimarer Ehrenbürger Louis Fürnberg dem Vergessen
„Alt wie ein Baum“, sangen seit 1977 bekanntlich die Puhdys, „möchte ich werden/genau wie der Dichter es beschreibt.“Dass sie Louis Fürnberg meinten, der schon seit zwanzig Jahren tot war, ist weniger bekannt. Er beschrieb es genau genommen so: „Alt möcht ich werden wie ein alter Baum,/mit Jahresringen, längst nicht mehr zu zählen,/mit Rinden, die sich immer wieder schälen,/mit Wurzeln tief, dass sie kein Spaten sticht.“
Doch Fürnberg starb jung, mit 48. Zweiter Herzinfarkt, 1957 in Weimar. Dort verbrachte er seine letzten drei Jahre: endgültig entwurzelt und „letztlich ohne Zuflucht“, wie es Volkhard Knigge formuliert.
„Zu viele Dichter“, schrieb Christa Wolf 2010 über überzeugte Kommunisten in der wenig überzeugenden DDR, „die aus der Emigration zu uns zurückgekommen waren, starben in einem Jahrzehnt, fast alle an ,gebrochenem Herzen‘“. F. C. Weiskopf, Bertolt Brecht, Johannes R. Becher . . . Die Fürnberg-Passage aus Wolfs „Stadt der Engel“findet sich wieder in einer Textsammlung, deren Titel Arnold Zweig zitiert: „Hier ist ein Dichter, hört nur!“
So endete 1943 ein Vorwort-Brief Zweigs zu Fürnbergs Band in „Hölle, Hass und Liebe. Gedichte von Nuntius“. Die Jenaer Germanisten Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich haben, unterstützt von Fürnbergs Kindern Alena und Michael, diese Sammlung herausgegeben, mit über dreißig Texten von 26 lebenden wie längst verblichenen Autoren: Dichter, Kritiker, Literaturwissenschaftler, Historiker.
Mit Büchern das Gehör zerschlagen, musste er das eigene Grab schaufeln So trocken-akademisch dieser „Studien-Band“zunächst anmutet, so reich und bunt, plastisch und lebendig wird darin das Bild eines Dichters, das sich in all seinen Widersprüchen mehr und mehr abzeichnet. Man liest darin mit wachsendem Interesse für Fürnberg, seine Lyrik und Prosa, Dramatisches auch, zu dem nur Bibliotheken und Antiquariate Zutritt verschaffen.
Der Band lebt fast zwangsläufig auch von Wiederholungen, ohne sich jedoch im Kreis zu drehen.
Eher spiralförmig steuert er so auf den Kern eines stets kränklichen, aber lebensmutigen Mannes zu, den Weggefährte Fritz Beer so erinnerte: „Ich habe immer Angst vor dem Tod, sagte er, alles, was ich tue, ist eine Flucht vor ihm. Vielleicht auch mein Kommunismus.“
Siebzehnjährig suchte er sein frühes Idol Rilke auf und bezog mit 45 in Weimar ein Haus ausgerechnet in der Rilkestraße. Er prägte in den Dreißigerjahren als Texter und Komponist die Prager Agitproptruppe „Echo von links“und begab sich 1949 sehenden Auges ins anhaltende Missverständnis, als er dichtete: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“
Die verzweifelte Selbstbeschwörung angesichts tiefer Enttäuschung
Das schrieb er, „um vor sich selbst diese Kränkung zu rechtfertigen“, zitiert Historiker Jan Gerber Fürnbergs Witwe Lotte: die Kränkung, bei tschechischen Kommunisten als Deutscher nun erwünscht zu sein. Und als Jude. Trotz dem oder deswegen versuchte er sich in jener Unbeirrbarkeit, wie sie ihm die DDRJugend nachzusingen hatte: „Du hast ja ein Ziel vor den Augen, damit du in der Welt dich nicht irrst.“
Hinter dergleichen verborgen liegt, so Ulrich Kaufmann „die verzweifelte Selbstbeschwörung angesichts tiefer Enttäuschung und realer Befürchtungen“. Kommunisten übten, so Jan Gerber, als „die tschechoslowakische Partei schlechthin“vor der Nazizeit „eine besondere Anziehungskraft auf Juden aus, die der weiterhin bestehenden Diskriminierung entgehen wollten.“Das war „auch eine Option gegen den utopischen Entwurf des Zionismus“. Fürnberg, deutscher Jude aus Böhmen („Jedes Glück heißt Böhmen“), war Antizionist, erst recht im Exil in Palästina, wo er laut Kaufmann
„seine produktivste Zeit als Dichter“erlebte. In Jerusalem dichtete er 1943 in heute schwer vermittelbarem Kontext: „Ein Ghettovolk, jahrhundertelang gequält, / hat nichts gelernt und fühlt sich auserwählt / zu Knutenschwingen und zu Herrenton.“
Nicht als Jude, ausschließlich als Kommunist glaubte sich Fürnberg von Nazis verfolgt, die ihm mit Büchern (!) das Gehör zerschlugen, ihn durch Gefängnisse schleppten und sein eigenes Grab schaufeln ließen, bevor ihn seine Frau mit Geld ihrer Familie freikaufte.
Fürnberg überlebte den Holocaust als einziger seiner Familie; Bruder Walter kam in Buchenwald um. Und dann entging der heimgekehrte Antizionist 1952 nur knapp den stalinistischen Prager SlánskýProzessen, der vierzehn führende, meist jüdische Kommunisten als „trotzkistisch-zionistische Verräter“verurteilte, elf zum Tode.
„Und heute ist er vergessen“, trauerte Christa Wolf. Kaufmann und Heydrich gehen dagegen an. Ihr Band führt uns einen von seinesgleichen gerade posthum missbrauchten Dichter neu vor Augen und verführt dazu, ihn neu zu lesen: die einst von Hans Mayer hochgelobte „Mozart-Novelle“etwa, die den Komponisten in Prag auf Casanova treffen lässt, kurz vor der „Don Giovanni“-Uraufführung .
In Weimar war Fürnberg „Dichter im Amt“: vielbeschäftigter Literaturfunktionär und Vizedirektor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten, wo Konflikte mit Helmut Holtzhauer, „seinem machtbewussten Vorgesetzten“vorprogrammiert waren. Hier fand er, posthum zum Ehrenbürger ernannt, die letzte Ruhe, aber keine Zuflucht, und sein Arbeitszimmer nach 1990 „kein anderes Obdach als die Gedenkstätte“Buchenwald, wie sich Volkhard Knigge erinnert.
„Wenn ich einmal heimgeh“, dichtete Fürnberg in seinem eigenen Epilog, „dorthin, woher ich kam,/werde ich ein Fremder sein/ an meinem Ursprung.“
Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich (Hrsg.), „Hier ist ein Dichter, hört nur! – Louis Fürnberg. Texte zu Leben und Werk“, Quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2021, 352 Seiten, 24,90 Euro.