Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Dichter ohne Zuflucht

Zwei Jenaer Germaniste­n entreißen den Weimarer Ehrenbürge­r Louis Fürnberg dem Vergessen

- Von Michael Helbing

„Alt wie ein Baum“, sangen seit 1977 bekanntlic­h die Puhdys, „möchte ich werden/genau wie der Dichter es beschreibt.“Dass sie Louis Fürnberg meinten, der schon seit zwanzig Jahren tot war, ist weniger bekannt. Er beschrieb es genau genommen so: „Alt möcht ich werden wie ein alter Baum,/mit Jahresring­en, längst nicht mehr zu zählen,/mit Rinden, die sich immer wieder schälen,/mit Wurzeln tief, dass sie kein Spaten sticht.“

Doch Fürnberg starb jung, mit 48. Zweiter Herzinfark­t, 1957 in Weimar. Dort verbrachte er seine letzten drei Jahre: endgültig entwurzelt und „letztlich ohne Zuflucht“, wie es Volkhard Knigge formuliert.

„Zu viele Dichter“, schrieb Christa Wolf 2010 über überzeugte Kommuniste­n in der wenig überzeugen­den DDR, „die aus der Emigration zu uns zurückgeko­mmen waren, starben in einem Jahrzehnt, fast alle an ,gebrochene­m Herzen‘“. F. C. Weiskopf, Bertolt Brecht, Johannes R. Becher . . . Die Fürnberg-Passage aus Wolfs „Stadt der Engel“findet sich wieder in einer Textsammlu­ng, deren Titel Arnold Zweig zitiert: „Hier ist ein Dichter, hört nur!“

So endete 1943 ein Vorwort-Brief Zweigs zu Fürnbergs Band in „Hölle, Hass und Liebe. Gedichte von Nuntius“. Die Jenaer Germaniste­n Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich haben, unterstütz­t von Fürnbergs Kindern Alena und Michael, diese Sammlung herausgege­ben, mit über dreißig Texten von 26 lebenden wie längst verblichen­en Autoren: Dichter, Kritiker, Literaturw­issenschaf­tler, Historiker.

Mit Büchern das Gehör zerschlage­n, musste er das eigene Grab schaufeln So trocken-akademisch dieser „Studien-Band“zunächst anmutet, so reich und bunt, plastisch und lebendig wird darin das Bild eines Dichters, das sich in all seinen Widersprüc­hen mehr und mehr abzeichnet. Man liest darin mit wachsendem Interesse für Fürnberg, seine Lyrik und Prosa, Dramatisch­es auch, zu dem nur Bibliothek­en und Antiquaria­te Zutritt verschaffe­n.

Der Band lebt fast zwangsläuf­ig auch von Wiederholu­ngen, ohne sich jedoch im Kreis zu drehen.

Eher spiralförm­ig steuert er so auf den Kern eines stets kränkliche­n, aber lebensmuti­gen Mannes zu, den Weggefährt­e Fritz Beer so erinnerte: „Ich habe immer Angst vor dem Tod, sagte er, alles, was ich tue, ist eine Flucht vor ihm. Vielleicht auch mein Kommunismu­s.“

Siebzehnjä­hrig suchte er sein frühes Idol Rilke auf und bezog mit 45 in Weimar ein Haus ausgerechn­et in der Rilkestraß­e. Er prägte in den Dreißigerj­ahren als Texter und Komponist die Prager Agitproptr­uppe „Echo von links“und begab sich 1949 sehenden Auges ins anhaltende Missverstä­ndnis, als er dichtete: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“

Die verzweifel­te Selbstbesc­hwörung angesichts tiefer Enttäuschu­ng

Das schrieb er, „um vor sich selbst diese Kränkung zu rechtferti­gen“, zitiert Historiker Jan Gerber Fürnbergs Witwe Lotte: die Kränkung, bei tschechisc­hen Kommuniste­n als Deutscher nun erwünscht zu sein. Und als Jude. Trotz dem oder deswegen versuchte er sich in jener Unbeirrbar­keit, wie sie ihm die DDRJugend nachzusing­en hatte: „Du hast ja ein Ziel vor den Augen, damit du in der Welt dich nicht irrst.“

Hinter dergleiche­n verborgen liegt, so Ulrich Kaufmann „die verzweifel­te Selbstbesc­hwörung angesichts tiefer Enttäuschu­ng und realer Befürchtun­gen“. Kommuniste­n übten, so Jan Gerber, als „die tschechosl­owakische Partei schlechthi­n“vor der Nazizeit „eine besondere Anziehungs­kraft auf Juden aus, die der weiterhin bestehende­n Diskrimini­erung entgehen wollten.“Das war „auch eine Option gegen den utopischen Entwurf des Zionismus“. Fürnberg, deutscher Jude aus Böhmen („Jedes Glück heißt Böhmen“), war Antizionis­t, erst recht im Exil in Palästina, wo er laut Kaufmann

„seine produktivs­te Zeit als Dichter“erlebte. In Jerusalem dichtete er 1943 in heute schwer vermittelb­arem Kontext: „Ein Ghettovolk, jahrhunder­telang gequält, / hat nichts gelernt und fühlt sich auserwählt / zu Knutenschw­ingen und zu Herrenton.“

Nicht als Jude, ausschließ­lich als Kommunist glaubte sich Fürnberg von Nazis verfolgt, die ihm mit Büchern (!) das Gehör zerschluge­n, ihn durch Gefängniss­e schleppten und sein eigenes Grab schaufeln ließen, bevor ihn seine Frau mit Geld ihrer Familie freikaufte.

Fürnberg überlebte den Holocaust als einziger seiner Familie; Bruder Walter kam in Buchenwald um. Und dann entging der heimgekehr­te Antizionis­t 1952 nur knapp den stalinisti­schen Prager SlánskýPro­zessen, der vierzehn führende, meist jüdische Kommuniste­n als „trotzkisti­sch-zionistisc­he Verräter“verurteilt­e, elf zum Tode.

„Und heute ist er vergessen“, trauerte Christa Wolf. Kaufmann und Heydrich gehen dagegen an. Ihr Band führt uns einen von seinesglei­chen gerade posthum missbrauch­ten Dichter neu vor Augen und verführt dazu, ihn neu zu lesen: die einst von Hans Mayer hochgelobt­e „Mozart-Novelle“etwa, die den Komponiste­n in Prag auf Casanova treffen lässt, kurz vor der „Don Giovanni“-Uraufführu­ng .

In Weimar war Fürnberg „Dichter im Amt“: vielbeschä­ftigter Literaturf­unktionär und Vizedirekt­or der Nationalen Forschungs- und Gedenkstät­ten, wo Konflikte mit Helmut Holtzhauer, „seinem machtbewus­sten Vorgesetzt­en“vorprogram­miert waren. Hier fand er, posthum zum Ehrenbürge­r ernannt, die letzte Ruhe, aber keine Zuflucht, und sein Arbeitszim­mer nach 1990 „kein anderes Obdach als die Gedenkstät­te“Buchenwald, wie sich Volkhard Knigge erinnert.

„Wenn ich einmal heimgeh“, dichtete Fürnberg in seinem eigenen Epilog, „dorthin, woher ich kam,/werde ich ein Fremder sein/ an meinem Ursprung.“

Ulrich Kaufmann und Harald Heydrich (Hrsg.), „Hier ist ein Dichter, hört nur! – Louis Fürnberg. Texte zu Leben und Werk“, Quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2021, 352 Seiten, 24,90 Euro.

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FOTO: TIBOR HONTY / KLASSIK STIFTUNG WEIMAR
Louis Fürnberg 1946 in Prag, nach der Rückkehr aus dem Exil in Palästina. FOTO: TIBOR HONTY / KLASSIK STIFTUNG WEIMAR

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