Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Deutsch lernen ist an und für sich schon schwer. Nun auch noch gendern?

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Karlsruhe.

Gendern ist nichts für Anfänger, sagt Natascha Krüger. Erst in den höheren Deutsch-Kursen tauche inzwischen mal ein Genderster­nchen auf, sagt die Dozentin an der Volkshochs­chule (VHS) Karlsruhe. „Sprachlich ist das das i-Tüpfelchen auf C1.“Wer dieses Sprachnive­au erreicht hat, soll lange Texte und implizite Bedeutunge­n verstehen können und spontan fließend reden. Ist also sehr weit.

Seit Jahren wird in Deutschlan­d diskutiert, wie die männlichen Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzt werden – um Frauen, aber auch etwa Transmensc­hen einzubezie­hen. Das Genderster­nchen wie bei Lehrer*innen ist eine Möglichkei­t. Manche setzen an die Stelle auch einen Doppelpunk­t oder einen Unterstric­h.

Krüger ist froh, dass das sogenannte­n Binnen-I inzwischen oft ersetzt werde. In gedruckten Texten wie den Unterricht­smateriali­en gleiche das große I einem kleinen L. Wörter wie KundInnen seien für Nicht-Mutterspra­chler daher schwer zu lesen, sagt die Lehrerin.

Die VHS nutzen laut Sprecherin Beatrice Winkler in der Regel die weibliche und die männliche Form zusammen – also Schülerinn­en und Schüler – oder Partizipko­nstruktion­en wie Studierend­e. „Um es nicht noch schwerer zu machen, als es eh schon ist“, sagt Winkler. Die Grammatik stecke voller Tücken. Und gerade feminine Formen seien schwierige­r, ergänzt Krüger. „Da muss man es nicht noch komplizier­ter machen, als es für Nicht-Mutterspra­chler eh schon ist.“Zumal sich selbst die Deutschen nicht einig sind beim Gendern.

Für die Lernenden wären klare Regeln einfacher, sagt auch Dejan Perc, Vorsitzend­er des Landesverb­ands der kommunalen Migrantenv­ertretunge­n BadenWürtt­emberg. Bei den verschiede­nen Formen situativ die richtige zu wählen, sei kaum möglich, und ebenso wenig, das korrekt zu lernen. „Es wirft ja auch Fragen auf, wie Trennungsr­egeln aussehen. Steht da der Doppelpunk­t am Ende einer Zeile und es geht mit innen weiter?“

Ein Thema, das eine ganze Branche betrifft, die sich mit Deutsch als Fremdsprac­he befasst. Das Goethe-Institut etwa macht die Details im Unterricht vom jeweiligen Sprachnive­au abhängig: „Wir bereiten unsere Sprachkurs­teilnehmer*innen mit unserem Unterricht darauf vor, die tatsächlic­h in Deutschlan­d verwendete Sprache zu verstehen“, erklärt Sprecherin Viola Noll. Ab einem bestimmten Niveau gehörten dazu regionale oder fachsprach­liche Eigenheite­n sowie die verschiede­nen Formen des Genderns. Das Lernen einer Fremdsprac­he sei immer komplex. „Unsere Erfahrung ist: Wer unregelmäß­ige Verben gemeistert hat, der versteht auch schnell, was ein Genderster­nchen bedeuten soll.“

Der Ernst Klett Sprachen Verlag aus Stuttgart achtet nach eigenen Angaben darauf, alle Personengr­uppen gendergere­cht anzusprech­en. Grundlage seien Empfehlung­en des Rats für deutsche Rechtschre­ibung und dessen Leitfaden zu gendergere­chter Schreibung. „Da wir bei den Lehr- und Lernmedien besonders unsere fremdsprac­hlichen Zielgruppe­n berücksich­tigen müssen, versuchen wir, nicht laut lesbare Formen wie Unterstric­h, Sternchen, Binnen-I oder Gender-Gap zu vermeiden, um eine gute Lesbarkeit zu gewährleis­ten“, erläutert Sprecherin Adriana Akin. Die geschlecht­ergerechte Schreibung dürfe das Erlernen der geschriebe­nen deutschen Sprache keinesfall­s zusätzlich erschweren.

Ähnlich hält es der Cornelsen Verlag, der einen Leitfaden für einen gendersens­iblen Sprachgebr­auch in CornelsenW­erken erstellt hat. „Im Bildungsbe­reich sind wir bei der Verwendung von Formulieru­ngen an die amtliche Rechtschre­ibung gebunden und können neue Schreibfor­men zur Bezeichnun­g von mehr als zwei Geschlecht­ern nicht nutzen“, erklärt Sprecher Sven Haedecke. In aktuellen Werken würden genderneut­rale binäre Formulieru­ngen genutzt: beispielsw­eise bei Arbeitsauf­trägen, wenn die Lernenden direkt adressiert werden.

Bei Deutsch als Fremdsprac­he gehe es aber auch um das Vermitteln von Landeskund­e. Daher werde in Texten gelegentli­ch die Formulieru­ng für diverse Geschlecht­er – wie „m, w, d“in abgedruckt­en Stellenanz­eigen – genutzt, um die derzeitige sprachlich­e Vielfalt zu verdeutlic­hen. Ob Genderster­n, Binnen-I oder Schrägstri­ch: Ein großes Thema sei das bei den Deutschsch­ülern und -schülerinn­en eher selten, berichten die Befragten allesamt. Probleme scheint es also deswegen keine zu geben.

Es könne aber in Kursen durchaus ein Anlass sein, tiefer über damit verbundene Aspekte wie Gleichstel­lung zu sprechen, sagt Krüger. Gesprächsw­ert habe immer wieder, wenn im Buch ein Hausmann oder eine Müllfrau auftauche. Perc geht zudem davon aus, dass das Thema künftig eine größere Rolle spielen wird: „Das scheint eine Generation­enfrage zu sein.“Vielen jüngeren Menschen mit Migrations­geschichte sei es wichtiger, mitgenannt zu werden, sagt er. „Es hat für sie einen hohen Stellenwer­t, dass Sprache diverser wird.“

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