Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Klage gegen Kinderpsychiater
In seinen Bestsellern warnte Michael Winterhoff vor Kindern, aus denen „Tyrannen“werden. Jetzt erheben Ex-Patienten schwere Vorwürfe und wollen Schmerzensgeld
Berlin. Anfang Juli sah Michael Winterhoff schwarz. Die Schwierigkeiten der Heranwachsenden in Deutschland hätten sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt, sagte der Kinderpsychiater dem Lokalsender RTF: „50 Prozent haben Probleme, in den Beruf zu kommen.“Es mangele ihnen an „Arbeitshaltung, Sinn für Pünktlichkeit“. Es sind Thesen wie diese, die ihm Besteller wie „Deutschland verdummt“oder „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“bescherten und Auftritte in Talkshows von Markus Lanz bis Sandra Maischberger. Einer, der den Finger auf die Wunde legt, jubeln Anhänger. Kritiker sprechen dagegen von Populismus oder gar einem guruhaften „System Dr. Winterhoff“.
Jetzt sorgte eine WDR-Reportage „Warum Kinder keine Tyrannen sind“, die erstmals am Montag zu sehen war und in der Mediathek abrufbar ist, für großes Aufsehen. Rund 20 ehemalige Patientinnen und Patienten werfen dem Arzt mit Praxis in einer Bonner GründerzeitStadtvilla fragwürdige Behandlungsmethoden
vor. Es geht um ruhigstellende Neuroleptika, die er verschrieben haben soll, insbesondere Pipamperon, angeblich über Jahre. Das Mittel ist wirksam bei aggressiven psychotischen Schüben, gilt als „Notfallmedikament“und hat zahlreiche mögliche Nebenwirkungen. Der Siegburger Anwalt Mehmet Daimagüler, der im NSUProzess in München Angehörige der Opfer vertrat, hat nun als Privatperson eine Strafanzeige gegen den Arzt eingereicht. Die Betroffenen wiederum haben sich zusammengeschlossen und wollen jetzt gemeinsam gerichtlich gegen Winterhoff vorgehen. „Unsere Mandanten sind sehr bewegt und erleichtert, dass sie endlich Gehör finden“, sagt Rechtsanwalt
Sascha Medra-Teuber. Man bereite eine Klage vor und sei dazu bereits im Besitz belastender Dokumente. Das Ziel sei Schmerzensgeld. Das Jugendamt in Sankt Augustin bei Bonn kündigte die Zusammenarbeit mit dem Arzt bereits auf. Man sehe aufgrund der Reportage Hinweise auf eine schadenverursachende Arbeitsweise des Psychiaters.
Weitere Betroffene melden sich nach WDR-Bericht
„Wir haben ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass die Reaktionen auf den Film so stark sein würden. Es haben sich nicht nur viele weitere Betroffene gemeldet, sondern auch Sozialpädagoginnen und Therapeutinnen,“sagt die Autorin der Reportage, Nicole Rosenbach.
Winterhoff teilte mit, dass Pipamperon auch für Kinder zugelassen und verwendbar sei. „Das Arzneimittel soll Kinder in die Lage versetzen, ihre Aggressionen kontrollieren zu können und im Konflikt erreichbar zu sein. Dies funktioniert in der Praxis gut und wir konnten so viele unserer jungen Patienten erfolgreich therapieren.“Sedierung, also eine Ruhigstellung der Nervenfunktionen, sei dabei nicht das Ziel. Über den Einsatz des Neuroleptikums finde umfassende Aufklärung statt. „Grundsätzlich verordne ich keine Medikamente ohne Zustimmung der Eltern.“
Winterhoffs Anwaltskanzlei macht auf Anfrage diese Redaktion darauf aufmerksam, dass die WDRBerichterstattung Falschbehauptungen enthalte. Entlastende Aussagen seien nicht oder sinnentstellend berücksichtigt worden. Man wolle nun juristisch gegen den WDR vorgehen.