Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Das Furchtbare wirkt nach
Alles Geschichte. Der Mauerbau. Und die Öffnung der Mauer. Die Abriegelung liegt zwei Generationen zurück, die Öffnung eine. Überholt. Überwunden. Vorbei?
Alles, was passiert, wirkt nach. Und zwar nicht nur bei denen, die sagen können, sie seien dabei gewesen. Die Wirkung geht weit darüber hinaus. Erlebtes wird an Kinder und Kindeskinder weitergegeben. Wie immer wir uns im Leben eingerichtet haben, das prägt als Lebenserfahrung die nächste und übernächste Generation. Deshalb dauert es auch so lange, bis zusammenwächst, was zusammen gehört. Wir sollten uns mittlerweile besser darauf konzentrieren, dass sich gemeinsam entwickelt, was so lange nur ein Nebeneinander war.
60 Jahre Mauerbau ist auch deshalb in diesem zweiten Coronajahr zu so einem wichtigen Erinnerungsanlass geworden, weil die meisten Menschen bisher die Geschichte nur vom Ende her betrachtet und also vorrangig den Mauerfall 1989 in den Blick genommen hatten. Jetzt wird verstärkt auf die Anfänge geschaut und die liegen in den damaligen Randbezirken wie Erfurt, Suhl und Gera sehr viel länger zurück als der Mauerbau 1961. Wer an der innerdeutschen Grenze lebte, musste bereits spätestens seit
1952 fürchten, ins Hinterland abgeschoben zu werden und die Heimat zu verlieren. Die ganze Verachtung kommt damals schon in der Aktion „Ungeziefer“zum Ausdruck. Wer redet so über seine Bürger?
Und heute? Bei all den Erinnerungsreden soll vor allem der Menschen gedacht werden, die an den Zuständen im Unrechtsstaat verzweifelten. Deren Biografie verbogen und deren Leben zum Spielball einer furchtbaren Politik gemacht wurde.