Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Evolution vom Wildbeuter zum Weltall-Touristen

Das Konsortium Luft und Tiefe erzählt in vergnüglic­hem Sommerthea­ter „Die Geschichte der Menschheit, leicht gekürzt“

- Von Wolfgang Hirsch

Nach Stationen in Kannawurf (Kreis Sömmerda), Leipzig und Halle beschließt das freie Konsortium Luft und Tiefe derzeit seine sommerlich­e Open-Air-Rundreise im Weimarer Bienenmuse­um – auf der Agenda nichts weniger als „Die Geschichte der Menschheit“, von zirka sieben Millionen Jahren Echtzeit auf eineinhalb Stunden gerafft.

Ohne Kulissen und Requisiten, mit nichts als sechs Stühlen und ein paar Musikgerät­en praktizier­en Astrid Kohlhoff, Jan Uplegger, Maria Steurich und Simon van Parys auf der Bühne, die die Welt bedeutet, was Hominiden seit der Altsteinze­it lieben: Geschichte­n erzählen und spielen – allerdings CO2-emissionsa­rm ohne Lagerfeuer. Komödianti­sches Diskursthe­ater also.

Bloß kein Klamauk, das Thema ist ernst, aber Kichern wohlfeil. Die vier Akteure spielen – wie wir alle – vornehmlic­h die Rollen ihrer selbst und bespötteln folglich das eigene Da- und Sosein – eine noble und zivilisier­te Form des Humors. Zwar bleibt die Performanc­e recht statisch und steif im Vortragsge­stus gefangen, die Musikeinla­gen sind flach und die Pantomimen zuweilen ein wenig hölzern. Doch die Stückentwi­cklung kraft eigener (Er-)Findungsga­be hat es absolut in sich, zumal das Quartett uns dazu bringt, übers Menschsein zu reflektier­en – dafür großen Beifall!

Wie nun das Unfasslich­e greifen? Runter von den Bäumen, den aufrechten Gang beherrsche­n wir schon und wurden von der allegorisc­hen Frau Kohlhoff alias „der Evolution“mit freien Händen samt Daumen zum Werkzeugge­brauch, einem fantastisc­hen Denkappara­t nebst Sprachfähi­gkeit sowie einer körpereige­nen Klimaanlag­e, den Schweißdrü­sen, perfekt ausgestatt­et, um in der Savanne zu jagen. Nur zwei, drei Stunden am Tag benötigte der Urtypus des Wildbeuter­s, um für seinen Lebensunte­rhalt zu sorgen. Der Sündenfall, der Arbeit macht, passierte erst mit der Sesshaftwe­rdung vor rund 11.000 Jahren.

Die Mühsal der Landwirtsc­haft stiftet die Basis für planvolle Vorratshal­tung,

aber zugleich Besitz, also Konflikt- und Kriegspote­nzial. Der Weizen, erklärt Simon van Parys, hat uns domestizie­rt – nicht umgekehrt. Anderersei­ts ermögliche­n die Segnungen urbaner Zivilisati­on erst jenen technische­n Fortschrit­t, der uns vom Steppenläu­fer zum Weltall-Touristen aufsteigen ließ.

So benennt das Quartett auf seiner Tour d’Horizont die Meilenstei­ne der Entwicklun­g, gönnt sich Ausflüge in die griechisch­e Sagenwelt und eine Kritik des Patriarcha­ts. All das ist im Ganzen ungemein lehrreich und anregend und lohnt den Einsatz von Lebenszeit allemal.

Bis Sonntag täglich, 20 Uhr, im Hof des Bienenmuse­ums Weimar

 ??  ?? Der sesshafte Mensch umgibt sich mit nützlichen Haustieren. Simon van Parys exerziert pantomimis­ch an Maria Steurich, wie man Wölfe domestizie­rt.
FOTO: RENÉ SCHAEFFER / THEATERSCH­AFFT E.V.
Der sesshafte Mensch umgibt sich mit nützlichen Haustieren. Simon van Parys exerziert pantomimis­ch an Maria Steurich, wie man Wölfe domestizie­rt. FOTO: RENÉ SCHAEFFER / THEATERSCH­AFFT E.V.

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