Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Elitesoldaten als letzte Rettung Die Taliban rücken vor. US-Präsident schickt 3000 Mann, um bis Ende August die Botschaftsmitarbeiter in Kabul zu evakuieren
Washington.
Kaum sechs Wochen ist es her, dass Joe Biden die Frage schroff abtat, ob der von ihm verfügte US-Truppenabzug aus Afghanistan die Taliban wie ein Rollkommando durch das geschundene Bürgerkriegsland wüten lassen würde. Das wird nicht passieren, sagte der Präsident vor laufender Kamera. Da sei schon die bestens ausgebildete afghanische Armee vor. Was für ein Irrtum.
Nachdem die Taliban in Rekordzeit fast alle Landesteile unter ihre Kontrolle gebracht haben und kurz vor Kabul stehen, hat der Demokrat eine Kehrtwende mit internationaler Folgewirkung vollzogen. Mit kurzfristig eingeflogenen 3000 USElitesoldaten und 4000 weiteren, die in Kuwait und Katar geparkt werden, soll bis Ende August die schrittweise Evakuierung von rund 4000 Angestellten der US-Botschaft in Kabul und deren Abflug abgesichert werden. Bei Biden regiert die nackte Angst.
Das Weiße Haus fürchtet eine Wiederholung der Schmach von 1975. Damals mussten am Ende des Vietnamkrieges Hunderte Amerikaner per Hubschrauber vom Dach der US-Botschaft in Saigon ausgeflogen werden, um den Nordvietnamesen zu entgehen. Die Fotos machten Weltgeschichte und sind ein Stachel im Fleisch der Supermacht.
Die afghanische Armee streckt die Waffen
Bidens Anweisung hat in vielen Hauptstädten und in der Nato Dringlichkeitssitzungen ausgelöst. Auch in Europa bastelt man an Abzugsplänen für die eigenen Diplomaten. Deutschland und Nielande reduzieren ihr Botschaftspersonal in Kabul. Dänemark und Norwegen schließen vorübergehend ganz ihre Botschaften in der afghanischen Hauptstadt. In der Zivilbevölkerung wächst unterdessen die Verzweiflung. Hunderttausende sind auf der Flucht. Aus vielen Landesteilen wird berichtet, dass afghanische Soldaten exekutiert wurden, die sich ergeben haben. Darüber hinaus sollen die Taliban in eroberten Gebieten verlangen, dass Mädchen ab 15 zur Zwangsheirat mit Kämpfern zur Verfügung gestellt werden.
Bidens Auftrag – Abzug des diplomatischen Personals (bis auf eine Rumpftruppe) bis zum 31. August unter militärischen Hochsichercher
US-Soldaten 2011 auf dem Weg zum Einsatz nach Afghanistan. Jetzt will US-Präsident Joe Biden Elitesoldaten nach Kabul schicken, um die Evakuierung der US-Botschaft abzusichern.
heitsbedingungen – wird in einigen Armeekreisen als „unehrenhaft“empfunden, berichten US-Medien. Dort wird der Umstand, dass die afghanische Armee seit Tagen überrannt wird oder gleich die Waffen streckt, neben einer „psychischen Demoralisierung“auch so erklärt: Die Amerikaner haben ihre wichtige Luftunterstützung im Kampf gegen die Taliban massiv zurückgefahren. Zudem sei die afghanische Luftwaffe fast lahmgelegt.
Dazu kommt die seit Jahren gepflegte Lüge vom fähigen afghanischen Militär. Offiziell stehen rund 300.000 Männer im Sold. Dagegen werden die Taliban auf 75.000 bis 100.000 Köpfe taxiert. In Wahrheit
nEroberung von Pul-iAlam, ist die Zahl der Armeeangehörigen laut John Sopko, dem Generalinspektor für den Wiederaufbau in Afghanistan, geringer. 2020 fand seine Watchdog-Organisation rund 60.000 „Geister“-Soldaten in den Büchern. Das für sie bestimmte Geld – insgesamt haben die USA in den vergangenen Jahren über 80 Milliarden Dollar in Aufbau und Unterhalt der Armee gesteckt – floss in dunkle Kanäle des korrupten Staatsapparates.
Im Weißen Haus heißt es, niemand wolle ein „zweites Bengasi“erleben. 2012 töteten islamistische Extremisten in der US-Botschaft in Libyen Botschafter Christopher Stevens und drei Mitarbeiter. Die Tragödie wurde zum Politikum, weil die Republikaner die damalige demokratische Außenministerin Hillary Clinton für schwere Pannen bei der gescheiterten Rettung ihrer Landsleute verantwortlich machten. Auch diesmal positionieren sich die Republikaner wahltaktisch, obwohl der von Biden exekutierte Truppenabzug auf ein weithin als fahrlässig bezeichnetes Abkommen von Ex-Präsident Donald Trump mit den Taliban zurückgeht. Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums, versuchen die Taliban Kabul vom Rest des Landes abzuschneiden. Die afghanische Hauptstadt sei momentan aber nicht „unmittelbar bedroht“, sagte der Spre
Evakuierung der US-Botschaftsmitarbeiter 1975 in Saigon.
des Pentagons, John Kirby, am Freitag.
Dass die Amerikaner dennoch ziemlichgroße Sorge um ihre Botschaft haben, beweist die Initiative von Zalmay Khalilzad. Der US-Sonderbeauftragte bettelte laut „New York Times“bei Gesprächen mit den Taliban darum, die US-Vertretung zu verschonen. Sonst drohe der Entzug von Finanzhilfen. Und internationale Ächtung. Im Kongress sagen Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand, die Drohung mit dem Geldhahn dokumentiere „Hilflosigkeit“. Mit Russland und China stünden Kontrahenten parat, die den Radikalislamisten „unter die Arme greifen würden, wenn Amerika dadurch weiter geschwächt wird“. Zudem bleibe den Taliban ja die wichtigste Einnahmequelle für den Kampf um die Wiedererlangung der Macht: der Opium-Anbau.