Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Wir drehen hier gern jeden Stein um“
Prozess um Missbrauch kleiner Kinder am Landgericht Gera: Unzählige Sprachnachrichten werden noch ausgewertet
Im Prozess um die Missbrauch mehrerer kleiner Kinder am Geraer Landgericht wird neues Beweismaterial ausgewertet. Es könnte erneut Erkenntnisse bringen, die bisher im Verborgenen geblieben sind.
Angeklagt sind Daniel P. und seine Partnerin Jessica M. Beide sollen sich an der Nichte von M. vergangen haben. Der Vorwurf: Sie hätten das Kind in ihr „Liebesspiel“einbezogen. P. sitzt bereits mit der dritten Frau auf der Anklagebank. Bereits 2019, damals vor der 2. Strafkammer, wurde er verurteilt.
Das Verfahren ist auch der Ausgangspunkt der jetzt vor der 9. Kammer laufenden Verhandlung. Denn damals wurde während der Hauptverhandlung festgestellt, dass nicht ein sondern mindestens zwei Kinder Opfer von P. und seinen sexuellen Vorlieben gewesen sein könnten – das bestätigte sich und führte zu einem weiteren Prozess. In dem Verfahren wurde bei P. und der neuen Partnerin M. Beweismaterial sichergestellt – und ein dritter Fall offenbar. Um diese drei Fälle geht es jetzt bei P., M. ist wegen eines Falles und Falschaussage angeklagt.
Am Freitag wartet Richter Harald Tscherner mit einer deutlichen Ansage an die beiden Angeklagten auf. „Wir sind gewillt, hier jeden Stein umzudrehen“, macht er klar. Was ist der Hintergrund? Am vergangenen Hauptverhandlungstag wurde noch dargestellt, dass zahlreiche Sprachnachrichten, die die beiden Angeklagten ausgetauscht haben, nicht mehr existieren oder nicht sichergestellt werden konnten. Dabei handelt es sich offenbar um eine Fehlinformation mit der Tscherner jetzt aufräumt – die Polizei, sagt er, befinde sich bei der Auswertung. „Die Angeklagten können jetzt darüber nachdenken, was in diesen Sprachnachrichten verborgen ist“, sagt er. Gibt es Anhaltspunkte für weitere Fälle? Davon ist bisher nicht die Rede. Allerdings: Es wäre in dem Verfahren nicht das erste Mal, dass mit der Sichtung und Auswertung von digitalen Daten neue Beweise auf den Tisch kommen.
Auf ähnliche Weise ist bereits das
Lügengebäude der Angeklagten M. zusammengebrochen, die bei der zweiten Verhandlung gegen ihren Partner noch als Zeugin ausgesagt hatte, nichts von den Taten gewusst zu haben und dabei auch nicht mitgemacht zu haben.
Staatsanwältin als Zeugin
Die sichergestellten Speichersticks zeigten ein anderes Bild. Daraufhin gestand M. in der vergangenen Woche das, was man ihr zur Last legt. Sie gab allerdings an, nur mitgemacht zu haben, weil sie dem Angeklagten P., ihrem Partner, gefallen wollte. Mit Blick auf diese Einlassung sieht das Gericht, wie Tscherner jetzt bekanntgab, weiteren Aufklärungsbedarf. Erkenntnisse dazu könnten die Sprachnachrichten bringen, die „möglicherweise weitere Straftatvorwürfe aufdecken oder sonstige belastende Tatbbestände zu Tage fördern könnten“, so der vorsitzende Richter. Heißt im Klartext: Die Kammer schließt weitere Taten aktuell nicht aus.
Als Zeugin ausgesagt hat am Freitag auch die ursprünglich verantwortliche Staatsanwältin Dagmar Weber, die aber im zweiten Verfahren ersetzt werden musste, weil sie dort bereits als Zeugin gehört wurde und ihre eigene Aussage später nicht im Plädoyer einbeziehen kann.
Auch zwei Ex-Freundinnen von P. wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört.